Vom Sommer im Dunkel

Gefangen irgendwo im Dunkel.
So finster war es lange nicht mehr. Sehr lange.

In anderthalb Wochen wird es ein Jahr. Das wird ein langer Brief. Ich schreibe jetzt schon ab und an Schnipsel.
Und ich frag mich, ob das so alles seine Berechtigung hat. Auf der einen Seite tut es mit einer kaum händelbaren Brutalität weh, auf der anderen Seite… - kämpfe ich auch seit fast einem Jahr damit,  mich zu erklären, was er für mich war. „Langsam fängst Du mal an, ihn Deinen Freund zu nennen“, habe ich letztens von einer Teilnehmerin in der Selbsthilfegruppe gehört.
Wenn ich gefragt wurde, ob ich einen Freund habe, habe ich immer mit „nein“ geantwortet. Weil ich es nicht besser wusste. Weil ich dachte „Freund“ heißt, man teilt ein Bett. Und das konnte ich nicht, weil ich meinen Körper so sehr hasse. Weil ich nicht mal im Sommer mit kurzer Hose herum laufe, auch wenn es so warm ist, dass man fast zerfließt. (Okay, ein bis zwei Tage im Jahr sehe ich mich gezwungen…). Und wenn ich mich nicht anschauen mag, dann sollte er das auch nicht tun. Das war das ganze Geheimnis. Ende der Geschichte. Nicht so kompliziert, wie die Leute denken.

Therapiemittwoch. „Also mit dem Suizid Ihres Freundes, das ist ja wie mit einem Autounfall…“, fängt die Frau Therapeutin an. Bitte was… ??? Ich könnte Kotzen, echt. Sie will nicht ernsthaft einen Autounfall mit den Tod eines Menschen vergleichen? „Da hat man ja auch manchmal einen Schock“, erklärt sie weiter.
Nun ja, ich habe Beides erlebt. Mit elf oder 12 Jahren, ich weiß es nicht mehr genau. In Italien einen Crash mit einem Auto auf der linken Fahrbahn einer Autobahn in heftigen Gewitter; beide Autos hatten Totalschaden, ernsthaft verletzt war zum Glück keiner der Beteiligten. Und ja, ich steige bis heute wenig gern in Autos und die Fahrschule hat mich die ein oder andere Panikattacke gekostet. Aber das ist nichts - absolut nichts - im Vergleich zum unwiederbringlichen Verlust einen Menschen.
Bin ich so empfindlich oder redet sie so einen Müll? 

Lieblingspark

Und vielleicht will ich eigentlich einfach sagen: Ich kann nicht mehr. Ich habe mich in den letzten Wochen versucht zu schonen wo es geht, war teilweise um 19 Uhr im Bett und fühle mich trotzdem wie vom LKW überrollt. Mich nervt grundsätzlich alles. Das Telefon in der ZNA, das nie aufhört zu klingeln, die Menschen in der ZNA die ständig Ansprüche haben. Ich kann nicht nach Hause gehen, bevor dort keine Ruhe ist. Für die Patienten kann ich auch nachts um drei die potentielle Bezugsperson anrufen, für mich selbst natürlich nicht. Früher hatte ich zumindest die Nächte für mich, wenn man 24 – Stunden – Dienste schiebt, gehören mir auch die Nächte nicht mehr. Wenn ich nicht so kraftlos wäre, dann könnte ich den ganzen Tag nur die Leute anschreien mich doch bitte einfach in Ruhe zu lassen.
Das Helfersystem funktioniert Null, niemand hat irgendeine Ahnung, wie es mir geht – ich posaune es halt auch nun nicht herum, denn was sollen die alle machen? Die Therapeutin und ich; da fehlt mir das Vertrauen, die potentielle Bezugsperson mag das nicht, wenn es mir schlecht geht.
Und ich frag mich, warum sich in wenigen Tagen alles wiederholen muss. Nur die Entlastung von diesem Drama, die wiederholt sich natürlich nicht. So eins, zwei Wochen Psychiatrie, nicht länger – so langsam wäre es echt mal eine Option. Ob nun hier oder in der Ferne, keine Ahnung, es ist mir egal; nicht auf die Station auf der ich letztes Jahr war, das hat keinen Sinn mehr. Vielleicht hätte der sehr geschätzte Herr Psychiater noch Ideen; er hat meistens noch irgendetwas aus dem Ärmel geschüttelt, wenn die anderen ratlos den Kopf hin und her gewogen haben.
Ich möchte eigentlich nur, dass man mich mal in Ruhe lässt, dass ich mal wieder wach werden kann, dass ich irgendwo sicher bin mit meinem Kopf.

Es geht seit Wochen bergab mittlerweile. Aber so einfach wie früher ist es nicht mehr. Da gibt es niemanden mehr, der mal kurz helfen kann, den Kopf zu sortiere. Am Freitag der nächste 24 - Stunden - Dienst und weil es irgendwie Umorganisation gab, weiß ich nicht mal, wer mein Oberarzt im Hintergrund ist.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen