Von einer Dienstplanbesprechung

Es gibt Diskussionen, über die muss ich eine Weile nachdenken.
Der Freitag ist chaotisch.
Das sind Freitage oft, aber dass es der Freitag nach einem Feiertag ist, macht es nicht unbedingt besser.

„Wir haben ein straffes Programm für das Großteam“, sagt die Chefin am Mittag. „Zuerst den allgemeinen Teil, dann die Fortbildung des Internisten, dann die Übergabe für das Wochenende und dann Dienstplan.“ Dienstplan… ? Ich habe doch gar keine Mail bekommen. Alle um mich herum sind aber mit Kalendern bewaffnet. Ich leihe mir den einer Kollegin. Wann wir im Juli Urlaub haben weiß ich, dass der Kardiochirurg davor Nachtdienstwoche hat auch und somit auch, dass es eine intelligente Idee wäre, am Sonntag davor Dienst zu machen – da hat er nämlich ohnehin Nachtdienst und ist tagsüber zu Nichts zu gebrauchen. Vielleicht wäre es dann noch sinnvoll in seiner Nachtdienstwoche einen Dienst zu machen – vielleicht schaffen wir es ja mal nach seinem Nachtdienst und meinem 24 – Stunden – Dienst noch gemeinsam zu frühstücken oder uns gar – ganz verrückt – gemeinsam hinzulegen - aber wenn nicht, hat man es zumindest versucht. Den gewünschten Sonntag bekomme ich sogar,  den Rest verteile ich einfach irgendwie, wie es in die Lücken passt. Wenn man keine Wünsche angegeben hat, hat man leider auch nicht ganz so viel zu melden, aber am Ende passt das sogar recht gut. Ich hätte lieber noch einen Samstags- statt einen Sonntagdienst gehabt, aber es ist okay.

Wieder im Büro schaue ich die Mails durch. Ich kann mir kaum vorstellen, eine Dienstplan – Mail überlesen zu haben, aber vielleicht kam die mal im letzten Dienstfrei oder so und bei meiner aktuellen Verfassung ist das nicht unbedingt auszuschließen, etwas zu übersehen. (Ratet wer heute Morgen einfach seine eigene Gruppe verpennt hat, weil er in Gedanken bei Montag statt Freitag war? Yes, ist’s me…) Ich finde keine Mail. Tendenziell lösche ich zu selten Mails, weshalb ich mir auch nicht vorstellen kann, dass die im Papierkorb gelandet ist. Deshalb frage ich eine Kollegin, ob sie mal schauen kann, von wann die Mail war. „Mondkind Du standest nicht im Verteiler“, meldet sie mir zurück.

Ich schreibe der Dienstplanbeauftragten eine Mail und frage sie, ob sie mich wieder in den Verteiler nehmen kann, irgendwie bin ich da rausgefallen. Wenig später habe ich sie an der Strippe und sie entschuldigt sich wortreich.
„Das ist okay, ich denke ich habe es aus dem Kopf schon gut hinbekommen“, beschwichtige ich sie. „Kann es sein, dass etwas nicht passt?“, fragt sie. Ich zögere kurz. „Naja, ich habe jetzt nicht mit MEINEM FREUND gesprochen, aber ich wüsste jetzt erstmal nicht, dass er etwas Großes vorhat und seine Arbeitszeiten habe ich ungefähr im Kopf.“ „Ist er auch Arzt?“, fragt sie. „Ja“, entgegne ich. „Dann ist es schwer mit Dienstplänen“, bekräftigt sie mich. „Katastrophe“, entgegne ich. „Okay, Du meldest Dich bei mir, wenn etwas doch nicht passt, okay?“, sagt sie. Ich bedanke mich, sage nochmal, dass alles passen müsste und es mir nur darum ging, beim nächsten Mal auch Bescheid zu wissen.

Ich denke am Nachmittag eine Weile über dieses Telefonat nach. Auf der Spule im Hirn, die nicht mit Patienten beschäftigt ist. Wie schwer es immer noch ist, von „meinem Freund“ zu sprechen. Ich spüre da ganz viel Widerstand, als wollte ich das gar nicht erwähnen. Und wenn ich nicht animiert werde oder wegen ihm etwas klären muss, dann erwähne ich das auch nicht. Und ich glaube, das liegt immer noch an der Unsicherheit, die wir beide haben mit dem, was gerade ist. Ich möchte nicht, dass jemand in ein paar Monaten sagt „Ja Mondkind, mit Deinem Freund…“ und dann muss ich irgendetwas sagen und wir sind vielleicht gar nicht mehr zusammen. Nicht jeder muss das wissen, dieses Chaos. So eine on – off – Geschichte wirkt nach Außen immer super chaotisch.
Auf der anderen Seite ist er aber ein so zentraler Bestandteil meines Lebens, meines Denkens und Fühlens, dass es mir auch irgendwie gefällt, das sagen zu können. So ein „ich kann und will nicht alles alleine entscheiden, da gibt es jemanden, den ich fragen muss, den ich einbeziehen muss, mit dem ich planen muss.“
Und irgendwie denke ich mir auch, irgendwann muss man eine Entscheidung treffen. Man kann eine Beziehung nicht so sehr im Innen halten, dass man im Außen nichts davon sieht. Das haben der verstorbene Freund und ich zu lange gemacht und irgendwie ist es einfach nicht schön. Und ich merke aber, dass ich da auch immer noch mit alten Wertvorstellungen kollidiere. „Man darf keinen Freund haben“, war das Credo der Familie, was diese ganze Geheimhaltung über Jahre erst ausgelöst hat. Ganz krass hat das der Intensivoberarzt sicher nochmal sehr unbewusst befeuert, als er gesagt hat, dass eine hochkomplizierte Beziehung sicher nicht dem Facharzt dienlich ist und ich mir doch vielleicht überlegen soll, das bis dahin auf Eis zu legen. Das ist genau die Argumentation, nur nicht so krass ausgedrückt, wie es aus der Familie kam: „Solange wie Du nicht genug leistet, hast Du Dich nicht mit Nebengeschäften zu vergnügen.“ Rein pragmatisch verstehe ich ihn – ich könnte mir Stunden in der Woche sparen, in denen ich einfach nur über uns nachdenke oder auf den Kardiochirurgen warte und gleichzeitig möchte ich denselben Fehler nicht zwei Mal machen. Nichts, absolut gar nichts auf der Welt kann wichtiger sein, als die wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen. Das ist im Prinzip die Untergrabung eines Grundbedürfnisses und schlichtweg unmenschlich und gleichzeitig muss ich mich immer wieder bewusst erinnern, das anders machen zu wollen.
„Dann ist es schwer mit Dienstplänen“, hat die dienstplanverantwortliche Kollegin gesagt. Und mir gleich erlaubt noch irgendetwas umzuschieben, wenn es sein muss. Manchmal denke ich, es müsste alles gar nicht so schwer sein. Wenn alle ein bisschen runter von ihrem hohen Ross kommen würden, die Arbeit – insbesondere die Chirurgen – nicht über alles stellen würden und man mit Partnerin und Kindern nicht wahrscheinlich sowieso schon mal kritisch beäugt wird, ob man sich denn wirklich sicher ist, der Arbeit damit noch genug Aufmerksamkeit schenken zu können. Ich weiß, das ist jetzt volle Lotte das Chirurgen – Klischee, aber irgendeinen Grund muss es ja auch haben, dass der Kardiochirurg ständig unangenehm berührt ist, wenn wir zusammen gesehen werden.

Mondkind

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