Von Realitäten und einem Wochenende
„Wenn Du dann zum Freund von meiner Schwester möchtest, müsstest Du hier in diese Straße abbiegen“, sage ich. Er tritt auf die Bremse und reißt das Lenkrad rum. „Die Adresse schicke ich Dir noch, ich weiß sie jetzt auch nicht auswendig“, schiebe ich unnötigerweise hinterher. „Dieses Haus dort“, deute ich wenig später auf den Hauseingang.
Meine Schwester und ihr Freund kommen heute aus dem Urlaub zurück. Keine Ahnung, ob sie schon da sind. Das Auto meiner Schwester sehe ich merkwürdigerweise auch nicht.
Eigentlich war der Tag bis hierher ganz schön.
Gestern Abend kam der Kardiochirurg natürlich irre spät vom Fallschirmspringen. Ich war erst gegen halb 10 auf dem Weg zu ihm und eigentlich hätten wir um sieben Uhr heute schon wieder aufstehen müssen. Wenn – ja, wenn nicht das Flugzeug kaputt gegangen wäre und am Montag erstmal in die Werkstatt geflogen werden muss. Also gibt es an diesem Sonntag keinen Sprungbetrieb. Schlecht für den Kardiochirurgen. Gut für mich.
Es ist nur so, dass es mir grundsätzlich nicht besser geht - deshalb ist es hier auch nach wie vor ruhig. Ich finde mich nicht nur ziemlich unkreativ, ich habe auch keine Energie die meisten Dinge zu verschriftlichen. Ich bin unglaublich erschöpft, in der letzten Woche hatte ich – neben zugegebenermaßen drei Diensten – keine Nacht, die länger als vier Stunden war. Der Kardiochirurg und ich haben nochmal geredet und tatsächlich war das ausnahmsweise sogar eher ein Dialog. Es hat sich aber gezeigt, dass wir wahrscheinlich tatsächlich massive Schwierigkeiten haben.
Wir haben einfach grundlegend andere Vorstellungen von Beziehung. Deshalb hat auch die Kommunikation absolut nicht funktioniert. Ich habe jetzt zum ersten Mal wirklich gehört, dass er diese Nähe einfach nicht braucht – im Gegenteil, er erlebt das als Hochstress, wenn er morgens gemütlich neben mir liegend wach werden soll. Er braucht ein Leben auf Zack, er kann nicht zu Hause sein (das Fallschirmspringen und Paragliden kommt wahrscheinlich nicht von ungefähr, auch wenn er das nie zugeben würde). Er sieht das auch so, dass wir abends grundlegend nie verabredet sind. „Außer Kochen und noch ein bisschen auf dem Sofa liegen haben wir doch sowieso nichts vor, dann mache ich einfach meine Arbeit und wenn abends eine OP ist, kann ich die ja auch noch machen. Und dann melde ich mich bei Dir, wenn ich fertig bin.“ Puh… - Verabredung zum Kochen und Abendessen mit der Freundin ist also nichts…? Okay.
Dafür hat er mich kritisiert, dass ich mich zu wenig um die Beziehung kümmere. Ich könnte ja zum Beispiel abends mal etwas planen. Ich war schon kurz davor zu sagen, dass wir doch dann mal gemeinsam zu einem Kochkurs gehen könnten, weil das so ziemlich das Einzige ist, das wir doch ab und an mal zusammen tun, als er sagt: „Ich wüsste dann natürlich nicht, ob ich das schaffe.“ Und genau deshalb wäre ich im Traum auch nicht auf die Idee gekommen, uns abends irgendwelche festen Termine einzuplanen. Er findet allerdings auch, ich beschäftige mich zu wenig mit Ausflugsideen für das Wochenende und Urlaub. Naja, da muss ich mich vielleicht bessern, obwohl ich in meiner Erinnerung oft gehört habe „Mondkind mach Dir mal Gedanken.“ Aber für ihn ist es einfacher, weil er hier groß geworden ist; alles im näheren Umkreis haben wir ja nun gesehen. In der Nähe meines Elternhauses könnte ich vielleicht auch mehr Ideen anbringen (wobei ich ja eigentlich nur gelernt habe…). Und was Urlaub anbelangt… - naja, ich glaube ich habe gesagt, was ich mir wünsche, aber mir war auch bis dato nicht bewusst, dass es neben Paragliden eine andere Option gibt. Aber auch da bin ich sicher etwas schwächer auf der Brust als er, weil ich ja bis vor einem Monat über ein Jahrzehnt nicht mehr im Ausland war. Ich wäre im Leben nicht auf die Idee gekommen, dass man für slowenische Autobahnen eine Plakette braucht und hätte mich dann drum gekümmert. Auch das ist natürlich so ein Erfahrungs – Ding. Jetzt weiß ich, dass ich vielleicht mal nach den Bestimmungen schauen soll.
Er hat das zwar nicht so gesagt in dem Gespräch selbst – da hatten wir uns geeinigt, wir versuchen das erstmal weiterhin mit mehr Kommunikation und jeder soll gut in sich nachspüren und sofort anmelden, wenn ihn etwas stört und dann wird das zeitnah ausdiskutiert – aber ich hatte schon den Eindruck, dass diese Abmachung nicht so ganz seinem Gefühl entspricht. Auf der Türschwelle meinte er dann auch, er könne nicht in der Beziehung bleiben, wenn ein Teil davon so unzufrieden ist.
Ich merke sehr deutlich, dass ein Teil von mir sich jetzt mit diesen ganzen Belastungen aber auch einfach übernommen hat. Mit allem. Beziehung, Facharzt, Stellenwechsel in der Psychosomatik und ein paar kleine Nebenbaustellen. Letzte Woche gab es ein paar Tage, in denen ich dachte, es geht einfach nicht mehr und das alte Helfersystem aktiviert habe. Natürlich mahlen die Mühlen da allerdings langsam, weshalb die Termine alle noch ein wenig in der Zukunft liegen. Ich habe aber auch festgestellt, dass ich mich mittlerweile ein wenig dafür schäme. Ich arbeite in der Psychsomatik und könnte mir selbst kaum beim Reden zuhören ehrlich gesagt.
Nach diesem Gefühl von ganz großer Überforderung wird aber doch meist irgendwann still. Dann, wenn sich irgendein Teil von mir ganz weit zurückzieht.
Der Kardiochirurg ist heute schon ganz früh aus dem Bett gehüpft (als würde dieses Geständnis es jetzt irgendwie legitimieren, dass er schon vor acht Uhr von meiner Seite hüpft und ein gemeinsames Wachwerden nicht drin ist). Dann haben wir gefrühstückt und sind an einen nahe gelegenen See gefahren. Zum Abschluss haben wir noch ein Eis gegessen und dann hat erstmal jeder seinen Kram gemacht – ich musste noch Psychiatrie machen, die Wäsche machen und Blumen umtopfen und eigentlich wollte ich auch mal die Steuererklärung zu einem Abschluss bringen; das habe ich nicht mehr geschafft. Heute Abend haben wir uns dann noch kurz zum Abendessen getroffen.
Und morgen steht ein Treffen bei meiner Schwester und ihrem Freund an. Ich traue mich aber noch nicht zu glauben, dass der Kardiochirurg das auch schafft. Ich werde nach der Arbeit schon rüber fahren, er kommt später nach; so ist der Plan.
Und trotzdem kommt davon fast nichts bei mir an. Man macht es halt einfach. Weiß, dass das eigentlich ganz gut sein soll. Aber spürt davon nicht viel.
Das letzte Mal, dass wir an diesem See waren, war es so ein schöner Tag und heute war es eben einfach okay. Ich spüre ehrlich gesagt gerade kaum noch etwas in seiner Nähe und so generell, aber das darf er natürlich nicht wissen. Ich glaube – hoffe – dass das so ein Depressions – Ding ist. (Wenn man die ICD – 10 – Kriterien daneben legen würde, wäre ich seit mindestens zwei Wochen in den meisten drin). Mit dem ehemaligen Freund habe ich das mal versucht zu diskutieren; der war super gekränkt davon – dann fangen wir mit dem Kardiochirurgen gar nicht erst an. Sondern hoffen einfach, dass es besser wird, wenn es mir wieder besser geht. Ich habe immer so den Eindruck, das ist jetzt so der "Überlebensmodus" für den Alltag. Keine Dekompensationen mehr durch negative Emotionen, dann schalten wir alles mal aus, bis es stabiler ist.
Mondkind
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