Von einem nicht statt gefundenen Café - Date
Atmen.
Einfach irgendwie atmen.
Auch wenn die Seele so weh tut, dass man meint, sie müsse sterben in einem drin.
Samstagmorgen.
Der Kardiochirurg hat Dienst.
Der Wecker klingelt früh, er rotiert durch die Wohnung und als er eine halbe Stunde später weg ist, sieht es wie nach einer verlorenen Schlacht in der Wohnung aus.
Ich stehe auf, springe unter die Dusche und noch mit dem Handtuch auf den Kopf fange ich an, die Küche in Ordnung zu bringen. Irgendwie scheint die Hälfte des Proviantes auf dem Boden gelandet zu sein, der Müll liegt überall herum, die Pfannen liegen unachtsam aufgetürmt in einer Ecke.
Eine halbe Stunde später sieht die Lage schon besser aus. Ich schwinge noch den Besen, fege auch gleich mal den Flur mit, der sicher auch schon lange keinen Besen mehr gesehen hat und dann packe ich meinen Krempel.
Dass er mich letztens ermahnt hat, dass seine Wohnung kein Hotel für mich ist, ist ja wohl der absolute Witz.
Bevor ich die Tür endgültig hinter mir zuziehe, schreibe ich ihm noch einen Zettel. „Guten Morgen“, schreibe ich und male eine Sonne daneben, weil sie gerade zum Fenster herein scheint. Und dann fällt mir ein, dass ich gar nicht weiß, ob sie morgen auch scheinen wird. „ich hoffe, heute scheint die Sonne überhaupt“, schreibe ich darunter und male einen Pfeil zur Sonn und einen Smiley. „Schnell unter die Dusche gehüpft und dann auf zum Café – Date um 10:30 Uhr bei Franzis“.
Irgendetwas daran fühlt sich falsch an. Café – Date. Das war ein Begriff, den eigentlich nur der verstorbene Freund und ich für unsere Treffen im Café benutzt haben. Es ist, als wäre der in meinem Wortschatz irgendwie geschützt. Irgendwie habe ich eine ungünstige Vorahnung. Soll ich das wirklich als Café – Date bezeichnen?
Und doch fühle ich an diesem Morgen ein bisschen Hoffnung.
Ja, wir hatten eine unglaublich schwere Woche hinter uns.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass wir uns bei jeder Eskalation nicht nur immer wieder ein Stück voneinander weg bewegen und ich nicht weiß, wie oft das noch geht, sondern wir bringen auch ab und an neue Themen ein. Die man auch ohne Eskalationen besprechen können sollte, aber das können wir noch nicht.
Er rückt am Ende einer solchen Eskalation nie mit Worten auf mich zu. Aber er lässt dann manchmal seine fürsorgliche Seite raus hängen. Am Freitag nach meinem Dienst stand er mit Kaffee und Brötchen vor dem Dienstzimmer – was ich nie erwarten würde, aber mich natürlich trotzdem freut, weil man mit so einem Kaffee am Morgen meine Welt retten kann. Das weiß er auch. Und dann ist es nur die Kaffeeübergabe und eine stumme Umarmung, die eigentlich sagt: „Hey, gehen wir wieder ein paar Schritte aufeinander zu?“
Samstagabend telefonieren wir noch kurz und ich sage ihm, dass er sich morgens kurz melden soll.
Sonntag.
Ich merke selbst, wie sehr mir die Woche nachhängt. Obwohl ich nicht besonders früh aufstehen muss, komme ich kaum aus dem Bett. Nehme dann noch die Kaffeetasse mit ins Bad, während ich mich fertig mache. Ich habe extra noch schnell Haare gewaschen, damit die einigermaßen anständig liegen, habe einen meiner schönsten Winterpullis raus gezogen und muss jetzt noch ein paar Strähnen zurecht zupfen.
„Schaffst Du es pünktlich?“, frage ich ihn um kurz nach 10.
Kurz vor halb 10 rufe ich ihn dann an. Es ist sofort der Anrufbeantworter dran, er hat es also noch im Flugmodus. Und das heißt, er ist noch oben.
Ich frage mich kurz, was ich machen soll. Er wird doch bestimmt gleich kommen. Ich kann ja schon mal vorgehen und im größten Notfall trinke ich eben schon mal einen Kaffee bevor er kommt.
Es ist das Café direkt neben meiner Wohnung.
„Ich hatte einen Tisch für 10:30 Uhr reserviert. Für zwei Personen. Ich hoffe, die zweite Person kommt noch“, sage ich. „Meistens tauchen die auf“, erwidert die Kellnerin freundlich und bringt mich zum Tisch.
Um kurz vor 11 ruft der Kardiochirurg an. Ich verstehe ihn kaum, weil es so laut ist um mich herum. Er murmelt irgendetwas von OP, genau verstehe ich es nicht. „Es tut mir leid“, höre ich und dann legt er auf.
Ich fühle mich kurz, als hätte mir jemand eine Bratpfanne auf den Kopf gehauen. Plötzlich dreht sich alles, wird zu laut und zu viel, ich spüre die Emotionen, die Wut, die Enttäuschung, die Traurigkeit in mir hoch kochen, ich spüre wie mir unglaublich heiß wird. Ich kann ja hier nicht einfach aufspringen, aber ich muss dringend raus aus diesem Café.
Ich glaube nicht, dass er in der Situation ist, in der er sich das leisten kann. Wie konnte ich auf die Idee kommen, dass es am Ende der Woche ruhiger zwischen uns wird?
Schon wieder hinten angestellt. Schon wieder auf dem Abstellgleis gelandet. Schon wieder sind die Patienten wichtiger.
Ich denk an meinem Zettel auf seinem Küchentisch, auf die Vorfreude, die ich gestern hatte. Ich denke an meine unglaubliche Naivität.
Ich brauche eine knappe halbe Stunde, um das Chaos in mir soweit runter zu regulieren, dass ich mich zumindest einigermaßen zu sozialer Interaktion fähig fühle. Dann stehe ich auf, gehe zur Kellnerin, erkläre, dass meine Begleitung nicht mehr kommt, entschuldige mich und sage, dass ich jetzt gern gehen würde.
Ich hätte zwar trotzdem noch einen Kaffee trinken können und ich frage mich, ob das nicht höflich gewesen wäre, aber ich habe immer noch das dringende Bedürfnis aus diesem Café raus zu kommen.
Und statt zu frühstücken, laufe ich jetzt ein Mal um die Stadtmauer, versuche irgendwie meine Emotionen zu regulieren, ehe ich heim komme und mich an den Schreibtisch setze.
Im Moment fühlt es sich an wie Balancieren auf dem Bergkamm.
Wir tanzen noch Pirouetten, schließen die Augen, schauen nicht hin wohin wir die Füße setzen und können jederzeit abstürzen.
Die ganze Facharztvorbereitung ist ja nun auch ein Fall für sich. Nicht nur wegen des Aufwandes, weil niemand genau weiß, was denn nun gefragt wird, bis man dort war, sondern weil ich mir auch nicht sicher bin, ob das mit den Unterschriften klappt. Ich wäre nicht die Erste, die Probleme hat. „Ich gehe definitiv nicht in die Reha, dann geht es ohne Facharzt zurück in die Psychosomatik“, habe ich letztens postuliert und weiß dennoch genau, wie erpressbar ich an der Stelle bin. Ich hänge so hinten dran, ich habe keine Doktorarbeit, keinen Facharzt und das passt dem Leistungsgedanken in mir gar nicht. Wenn ich jetzt ohne Facharzt aus der Neuro raus gehe… - ich glaube wirklich nicht, dass ich damit gut leben kann.
Und mit dem Freund… - wenn man der Realität ins Auge schaut, dann wird er nicht der Mann sein, den ich heirate. Der der Vater meiner Kinder sein wird. Wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern, bis ich die Abende wieder regelmäßig alleine verbringen. Und das geht auch. Früher saß ich dann manchmal noch eine halbe Stunde mit Buch und Kakao auf dem Sofa. Ich weiß, dass es okay sein wird. Es ist nur jetzt sehr schwer zu glauben.
Die Frage ist: Was machen wir denn jetzt wieder?
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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