Von einer Begegnung nachts um drei
Er schaut starr auf die Kaffeemaschine auf der Theke neben uns.
Seine Kiefermuskeln sind angespannt.
Trotz des Pullovers und der Jacke, die er übereinander trägt, friert er.
Mir fällt auf, wie viel Müdigkeit und Erschöpfung in seinen Augen und in seinen Gesichtszügen liegt.
Wie weit weg das ist von dem Mann, den ich irgendwann mal kennen gelernt habe.
Am liebsten würde ich aufstehen und ihn umarmen. Aber deswegen sind wir nicht dort.
Ich sitze ihm gegenüber.
Auch in meine Fleece – Jacke eingewickelt. Die Arme verschränkt.
Ich brauche Erklärungen, aber ich weiß, dass ich die nicht bekomme.
Telefon.
„Mondkind, was ist denn mit dem Patienten hier in der ZNA?“
„Ich komme gleich. Du kannst sie in der Zwischenzeit zum Röntgen bringen, okay?“
„Ich habe auch viel über Trennung nachgedacht in den letzten Tagen“, sagt er.
Schon komisch, dieses alte Muster. Immer wenn ich gerade mal das Gefühl habe, es läuft gerade irgendwie besser kracht es wenige Tage später so sehr, dass wir nicht wissen, ob die Beziehung das überlebt.
Ich war gestern Abend sogar ein paar Stunden okay damit. Bevor er nach seinem Dienst anderthalb Stunden wie ein unruhiger Tiger durchs Haus gelaufen ist, um am Ende doch zu mir zu kommen. Keine Ahnung, was das sollte. Vermeidung in seiner Reinform. Oder irgendwie so.
Und in dem Moment, in dem ich ihn gesehen habe, habe ich mein Herz schlagen gespürt und gespürt, dass es überhaupt nicht okay ist. Die Emotionen verstehen nicht, was der Kopf längst begriffen hat. Diese Anziehung ist immer noch da; alles an diesem Mann zieht mich zu ihm.
„Manchmal glaube ich, die Situation ist so fest gefahren, dass wir mit Reden nicht mehr raus kommen. Vielleicht müssen wir einfach ein Mal alles auf den Kopf stellen", sage ich.
„Das verstehe ich nicht Mondkind. Wie meinst Du das?“ Naja er versteht grundsätzlich nie, was ich meine.
„Naja, jeder hat 5000 gute Gründe, warum er meint, dass wir unseren Alltag nicht teilen können und je länger man diese Gründe in seinem Kopf hin und her bewegt, desto mehr manifestiert sich das doch. Vielleicht sagen wir: Ab Morgen bleibt der Eine immer eine Woche beim Anderen und in der darauf folgenden Woche umgekehrt.“
„Vielleicht sollten wir erstmal verstehen, warum wir das nicht hinkriegen“, merkt er an
„Das versuchen wir seit einem Jahr und schaffen das nicht. Und ich merke auch, dass mir langsam in Bezug auf uns die Worte fehlen. Ich habe das Gefühl ich kann nichts mehr sagen.“
Ich bin eine Weile still. „Manchmal glaube ich, wir brauchen irgendjemanden, der zwischen uns ein bisschen moderiert. Wir kriegen es doch alleine nicht mehr hin. Und dann müssten wir gucken, ob irgendetwas geht, wenn wir vielleicht zumindest wieder Worte finden können.“ Er schaut mich fragend an. „Naja ich hab Dir doch von der Frau vom Coaching erzählt. Keine Ahnung, ob Sie es machen würde, aber ich könnte sie mal fragen, ob es da irgendeine Möglichkeit gibt. War nur ein Gedanke, den ich schon öfter mal hatte“, sage ich. „Ist die Frau von einem meiner Oberärzte. Nur, damit Du es weißt. Ist sicher etwas suboptimal, aber es ging eigentlich immer recht gut. Ich glaube, es ist nichts durchgesickert“, füge ich hinzu. Natürlich will er das nicht.
Wir sitzen im Neuro – Pausenraum hinterder Notaufnahme. Es ist nachts um 3. Er stand seit dem Nachmittag im OP und ich habe Nachtdienst und anschließenden Tagdienst. Ich denke darüber nach, wie skurril die Situation ist. Wir haben unsere Krisengespräche nie hier auf der Arbeit geführt. Aber jetzt hat es so sehr geknallt, dass es so akut ist, dass es keine Rolle spielt, wo wir sind und ob wir gerade Dienst haben oder nicht.
Wenig später verabschieden wir uns mit einer halben Umarmung. Ich frage mich in den Moment, wie oft ich ihn wohl noch spüren darf und überlege, was es für ein Geschenk ist, wenn das Gegenüber einen so nah an sich und seinen Körper lässt. Ich werde ihn vermissen, so viel steht fest.
Ich weiß nicht, wie ich diese Nacht zu Ende und den Tag gemacht habe. Manchmal fühle ich Emotionen anrollen, die ich dann mit aller Kraft wieder wegdrücke. Weil die mich gerade hoffnungslos überspülen würden. Facharzttheater und Beziehungstheater ist irgendwie gerade zu viel. Es gibt nirgendwo einen Raum zum Atmen. Zum Ausruhen. Zum Fallenlassen.
Am Abend habe ich noch kurz meine Psychosomatik – Oberärztin in der Leitung. Natürlich rede ich mit ihr nicht über die aktuelle private Situation, sondern nur über den Facharzt. „Ihre Nerven, Ihr Durchhaltevermögen und Ihre Hartnäckigkeit werden gerade ganz schön auf die Probe gestellt“, postuliert sie. Wenn sie wüsste, dass das nur die Hälfte ist. Mittwoch habe ich den nächsten Termin beim Chef.
„Ich habe Dienst am Samstag. Wenn Sie wollen, können Sie mal vorbei kommen und wir können mal gemeinsam überlegen, was da eine gute Strategie ist“, bietet sie an. Mal sehen – je nachdem wie der Termin beim Chef läuft, werde ich vielleicht darauf zurückkommen. Auch, wenn es vielleicht nur darum geht, mal irgendwo atmen zu dürfen, gehört und gesehen zu werden. Und an verschiedenen Stellen die verschiedenen Baustellen zu diskutieren, damit verborgen bleibt, wie schlimm es gerade ist und sich niemand Sorgen macht oder meint, ich hätte die Dinge nicht auf der Reihe. Obwohl es wohl nah dran ist.
Und ehrlich gesagt – ich habe keine Ahnung, wie ich jemals diesen Facharzt vorbereiten soll, wenn wir in absoluter Unterbesetzung arbeiten und das Leben eigentlich sowohl im Job als auch im privaten Sektor ein permanentes Krisenmanagement ist und man sich eigentlich lediglich bemüht, den Kopf über dem Wasser zu halten.
Mondkind
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