Beziehungsdinge der letzten Tage

Montagabend. 
Es ist bald 21 Uhr. 
Ich habe mich auf mein Sofa gesetzt, die Wolldecke um mich herum gelegt und das Licht von der Leselampe hinter mir eingeschaltet. 
Auf meinem Schoß liegt ein Buch, aber so richtig kann ich mich nicht darauf konzentrieren. 

Das Handy habe ich in irgendeine Ecke gepfeffert, damit ich es nicht mehr sehen muss. 
Der Freund hat natürlich genau eine Minute angerufen, nachdem ich ihn vehement erinnert habe sich zu melden, aber irgendwie macht mich das wütend. Ich bin doch nicht diejenige, die immer alles für ihn organisieren muss, das irgendetwas mit uns zu tun hat. Er kann sich doch selbst melden, wenn er fertig ist. Und immerhin habe ich ihn auf der Arbeit schon mal angerufen und nach der Abendplanung gefragt – da kam natürlich nichts.
Ich beschließe, dass ich ab jetzt nach 19:30 Uhr die Wohnung nicht mehr verlassen möchte, um irgendwo hin zu fahren. Das ist ja wie dauerhafte Rufbereitschaft und kann gerade jetzt im nahenden Winter ziemlich unangenehm werden. Und Dienste habe ich schließlich genug. Irgendwann braucht der Mensch auch mal Feierabend im Kopf.

„Wir sind sogar gemeinsam weg gefahren“, hat er letztens geschrieben, als ich mich mal wieder beschwert habe, dass wir zu wenig Zeit miteinander verbringen. 
Es stört mich, dass das alles immer eine Rechnung ist. Dass Zeit zusammen verbringen eben keine Normalität ist, sondern ein „pass mal auf – den nächsten Monat beschwerst Du Dich bitte nicht.“ Und wir haben uns seitdem eigentlich auch nicht nennenswert gesehen. Der Preis für gemeinsam verbrachte Zeit ist immer krass hoch. Wahrscheinlich soll der Oktober – Urlaub für die nächsten drei Monate reichen. Wir haben heute drei Sätze auf der Arbeit gewechselt und das war so ziemlich eine meiner ersten Fragen. Ob er sich darum gekümmert hat. Ist eingetragen, sagte er. Natürlich nicht, ohne im Urlaub trotzdem einen Dienst zu haben – man will schließlich auf keinen Fall zu viel Zugeständnis. Ich habe dann gleich auch mal nachgefragt, wie es mit dem Dezember – Urlaub aussieht und das hat er natürlich nicht angesprochen. Ist schon krass, wie sehr er Urlaub als ein Privileg einschätzt, um das man Oberärzte nur sehr dosiert bitten darf und auch nur, wenn die Freundin Stress macht. Es gibt ein Recht auf Urlaub und wenn man das ein bisschen geschickt macht, kann man den sogar mit der Partnerin oder dem Partner verbringen. Aber klar – wie könnte man denn Ende September schon wissen, ob man im Dezember dieses Jahr nochmal in ein Wellness – Hotel in den Bergen fahren kann? Wäre ganz arg zu viel, sich da jetzt schon zu positionieren… Genau wie die Frage, ob man mit aufs Konzert möchte. Lieber lässt man die anderen alles organisieren und entscheidet sich dann eben fünf Minuten vorher – unabhängig davon, ob Karte und Hotel schon organsiert sind, oder nicht. Du planst einfach immer mit einem Phantom. Meistens bleibt es beim Phantom. 

Und so generell hat man ständig das Gefühl, er würde vor mir fliehen. Sonntag musste ich auf der Arbeit noch dokumentieren und habe ihn mal angerufen. Und natürlich genau in dem Moment, in dem wir uns getroffen haben, hat eine Kollegin angerufen. Selbstverständlich hat er gleich die Gelegenheit genutzt und ist wieder geflüchtet, noch bevor ich der Kollegin sagen konnte, dass sie vielleicht in fünf Minuten nochmal anrufen kann. 
Und von Samstag auf Sonntag habe ich mich auch zu ihm ins Bett gekuschelt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Wecker Sonntagmorgen ausgemacht hat. Ich höre normalerweise das erste Weckerpiepen – wieso soll das bei ihm anders sein? Und er sollte ja mittlerweile wissen, dass ich nur für das gemeinsame Kuscheln beim Einschlafen und Aufwachen mit ihm in einem Bett schlafe – da bringt es halt Null, wenn ich erst aufwache, wenn er sich im Bett aufsetzt, behauptet es wäre zu spät und ich hätte den Wecker überhört. 

Und irgendwie war das letzte Woche eine harten Erkenntnis, dass ich auch neben ihm nicht mehr zur Ruhe komme. Weil mehr als ein paar Minuten kuscheln eben nie drin ist. Weil er schon halb wieder auf dem Sprung ist, wenn er auf der Türschwelle steht. Weil ich ihn an alles erinnern muss und das irgendwie einen Unterschied macht, ob jemand mal von alleine an Dinge denkt, Ideen einbringt, wie wir mehr Zeit miteinander verbringen können, sich an mich fran kuschelt, einfach mal da bleibt, Zeit investiert, oder ob das eben nur passiert, wenn ich lange genug gedrängt habe und genau weiß, dass er das nicht für uns tut und nicht weil er das will, sondern weil er eigentlich nur will, dass ich aufhöre zu nerven. 

Ich frag mich langsam, wie viel ich als Mensch eigentlich wert bin. 
Habe ich das verdient mal einen Partner zu haben, von dem mal etwas zurück kommt? Früher kam er wenigstens mal um 19 Uhr nach Hause – diese Zeiten sind lange vorbei. Und dann tut er so, als wäre ich das Problem, dabei macht er jeden Tag vier Überstunden und dann ist es auch seine fucking Aufgabe mal zu organisieren, wie wir uns dann trotzdem sehen können. Nur weil ich mein Zeitmanagement besser im Griff habe heißt das nicht, dass ich alles für ihn machen kann. Das will ich auch gar nicht. Ich hasse Männer, die meinen dass sie ultimativ wichtig sind und ihre To Do’s auf die Frauen umlegen. 
Habe ich das nicht verdient, abends mal mit einem Partner gemeinsam in der Küche zu stehen und zu kochen? Niemanden, der meint, dass er den ganzen Monat nicht mehr da sein muss, wenn man drei Tage gemeinsam weg war, weil das Soll erfüllt ist? Habe ich nicht jemanden verdient, dem meine Emotionen irgendwie wichtig sind und bei dem man nicht jede Woche dasselbe erzählt, das im selben Loch verschwindet und irgendwie gefühlt nie gesagt wurde? Habe ich nicht verdient neben einem Menschen einzuschlafen und genau zu wissen, dass der Morgen früh auch noch da ist? Und, dass das keine Ausnahme ist, sondern, dass alles andere Ausnahme ist? Habe ich es nicht verdient, einfach mal geliebt zu werden, ohne leisten zu müssen?



***

„Hey, ich wollte Dir nur sagen, ich fand Deinen Vortrag heute morgen mega gut. Ich habe ewig gebraucht, um die Thematik für den Facharzt aufzudröseln und es war bestimmt richtig viel Arbeit.“
„Hey, vielen Dank für Deine Nachricht. Kurz vor Deiner Nachricht hatte ich an Dich gedacht und mich gefragt, wie Du den Vortrag fandest.“
Ich spüre eine eigenartige Wärme in der Nähe meines Herzens. Wie schön das doch ist zu spüren, dass andere Menschen an einen denken. Und auch selbst vermitteln zu können: Hey, Du warst gerade in meinen Gedanken und das wollte ich Dir kurz sagen.

Ich denke ein bisschen an uns beide. Wir haben eine Zeit lang zusammen die Notaufnahme geschmissen. Waren zeitgleich verliebt und zeitgleich getrennt – nur, dass er noch Vater geworden ist in der Zwischenzeit und das deshalb alles etwas komplizierter war. Wir saßen morgens mit Tränen in den Augen in der ZNA, haben uns still umarmt, den Schmerz des anderen mitgefühlt und mitgetragen. 
Und die meisten Menschen, die uns in der ZNA zusammen gesehen haben, haben immer behauptet, wir wären das perfekte Paar. Aber wir wollten das nie. Vielleicht, weil Paarbeziehungen eben nicht nur etwas geben, sondern auch etwas wegnehmen können. Und wir wollen uns behalten. 

Ich denk an den Freund und mich. Eine Beziehung, in der solche kleinen Gesten aktuell nicht funktionieren können. Weil es ein unermüdliches Gegenrechnen von Leistungen ist, ein zähes Ringen um die Grenzen. 
Ich merke, dass ich in dieser Beziehung ein Mensch werde, der ich nicht sein möchte. Der solche „Wenn – dann – Argumentationen“ ausspricht. So ein „Wenn Du das nicht machst, dann müssen wir uns trennen.“ Auf der einen Seite fühle ich das wirklich irgendwo, weil meine Grenzen um Längen überschritten sind, andererseits weiß ich mir auch nicht mehr anders zu helfen und versuche jeden Tag verzweifelter, ihn in Bewegung zu bringen und irgendwie fällt mir langsam nichts anderes mehr ein. Alles was ich sage verpufft und das ist frustrierender, als jedes Anschreien von Zeit zu Zeit es je sein könnte, weil dann zumindest noch Meinungen ausgetauscht werden. Aber in unserem Fall werden nicht mal mehr Meinungen ausgetauscht. In unserem Fall gibt es keinen Austausch mehr. 

Ich hatte schon im März mit Frau Therapeutin gesprochen über meine Gefühlslage in dieser Beziehung. Dass es mich nervt und hilflos macht und dass ich wütend nicht nur auf ihn, sondern auch auf mich bin, weil ich so krass reagiere, so überwältigend viel Negatives fühle und vor allen Dingen so viel Wut, dass es manchmal schon wirklich droht, in passive Suizidgedanken abzurutschen. 
Und wir haben damals schon besprochen, dass es wahrscheinlich so ist, weil die Situation mich so extrem an meine Familie erinnert. Du kannst machen, was Du willst – es interessiert den anderen einfach nicht. Ich habe damals versucht gehört zu werden, hunderttausend Vorschläge gebracht, wie wir als Familie die Situation verbessern können. Ich war die Einzige, die in Therapie war, ich hatte engagierte Therapeuten, die in Jugendzeiten noch versucht haben, die Familie miteinzubeziehen, aber nichts davon hat funktioniert. Ich bin immer die Idiotin geblieben, das schwarze Schaf. Diejenige, die zu viel Freigeist hat, zu viele Träume, zu viel will. 
Und genau so ist es heute. Ich werde nicht gehört. Egal was ich mache. 

Ich weiß, dass die einzigen Konsequenzen daraus, wahrscheinlich einen Trennung sind. Und nein, das ist dann keine Drohung, sondern Selbstschutz, weil ich es nicht mehr händeln kann. Und vielleicht auch nicht mehr muss. Frau Therapeutin hat damals postuliert, es gehe nicht mehr um die Beziehung, die sei vielleicht schon verloren, ich wolle meinem Ich von damals nur beweisen, dass ich sehr wohl etwas bewegen kann, aber realistisch wohl einsehen muss, dass es sowohl damals als auch heute nicht möglich ist, wenn die andere Seite nicht mitmacht. Ich habe ja keine Ahnung, wie es ihm geht, aber ich glaube, es wurden auf beiden Seiten so viele Gefühle verletzt, dass es schwer wird, das zu kitten. Irgendwann wieder Vertrauen darin zu haben, dass diese Beziehung auch etwas Schönes, Tragendes haben kann. 
Und ich glaube, ich muss lernen mich davon zu verabschieden, Systeme alleine verbessern zu können. Ich wollte meine Familie nicht verlieren, aber irgendwann musste ich einsehen, dass ich entweder unter gehe oder mich rette – dann eben ohne sie. Und genau das Gleiche gilt wahrscheinlich für die Beziehung.

Und ich glaube, ich muss nochmal überlegen, was Beziehung für ich heißt. Der verstorbene Freund und ich haben von solchen kleinen Gesten gelebt. Von Austausch, Nähe und Verbundenheit, unzähligen Stunden Gespräch über uns, das Leben, Beziehungen. 
Die jetzige Beziehung hat extrem körperlich angefangen. Mit so viel Anziehung. Aber ich glaube, das ist irgendwie… - vergänglich? Vor etwa einem Jahr habe ich mich noch über fehlende Intimität beschwert, mittlerweile können wir uns kaum noch in den Arm nehmen. Und die Lust auf ständigen Sex verschwindet irgendwann. Jedenfalls ist es irgendwann bedeutend weniger geworden und ich mag das auch nicht mehr. Allerdings muss man auch sagen, dass es schon seltsam paradox ist mit einem Menschen auf der einen Seite so intim zu werden und auf der anderen Seite ist die Frage danach, wie es uns eigentlich geht schon eine Überforderung. Also vielleicht hakt es auch einfach schon da, denn am Anfang mochte ich das schon.
Also vielleicht muss ich nochmal überdenken, wie wichtig mir was ist in einer Beziehung. Vielleicht braucht es nicht so viel Intimität, wie ich zwischendurch mal dachte. Vielleicht brauche ich das nicht zumindest. Vielleicht geht es einfach nur ums Verbunden fühlen und ich glaube, das tun wird gerade gar nicht. Uns verbunden fühlen.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay 

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