Reflexion zum Jobwechsel und Familienkommentare
Die letzte Woche war wild.
Zentrum der Gerüchteküche zu sein, macht nicht unbedingt Spaß.
Und über drei Ecken zu hören, warum die Kollegen aus der Psychosomatik meinen, dass ich noch nicht kommen kann, ist auch nicht schön.
Hinhalten auf allen Seiten. Einer Freundin aus der Psychosomatik habe ich schon vor zwei Wochen gesagt, dass ich mich jetzt kümmere. Die leitende Oberärztin, die mir ja nun schon mehr oder weniger ungefragt ihre Handynummer aufs Auge gedrückt hat, wartet auf Entscheidungen. Die Neuro – Rotationspläne fürs nächste Jahr werden bald festgelegt.
Ich mache es mir hier nicht einfacher mit meiner Unentschlossenheit.
Ich hätte das gern nochmal an meinen üblichen Stellen besprochen, aber das geht nicht und ich kann auch nicht mehr darauf warten.
„Können wir reden?“, schreibe ich einem Menschen, mit dem ich mal sehr verbunden war und der heute noch zu denen zählt, der mich am besten kennt.
Am Abend darauf telefonieren wir. „Ich hatte den Eindruck, es hat eine gewisse Dringlichkeit“, sagt er, als ich mit ein bisschen Small – Talk anfange. „Na man kann ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen“, entgegne ich. „Oder doch…“, füge ich an.
Wir reden über zwei Stunden und was sich heraus kristallisiert ist, dass es gerade ist, wie es schon oft im Leben war. Die Psychosomatik wäre eher der rationale und logische Schritt. Wenn ich mir weder vorstellen kann als Fachärztin auf einer Assistentenstelle zu hängen, noch Oberärztin in der Neuro zu werden oder das MVZ zu übernehmen, habe ich eigentlich gar keine Perspektiven. Und dass es mich jeden Tag mehr nervt dahin zu gehen, unterstreicht das nur. Dagegen steht ein fachliches Interesse für die Psychosomatik und Entwicklungsmöglichkeiten dort. Wenn ich nochmal größer Karriere machen sollte, dann wäre es dort aktuell eher vorstellbar. Dagegen steht aber ein Verwurzeltsein in der Neuro. Ich habe mir dort einen Stand erarbeitet. Ich werde geschätzt dort. Ich habe Freunde dort. Ich bin Teil der Neuro – Familie. Das Gefühl hält mich dort.
Und ich glaube manchmal gilt es einzusehen, dass man auch Dinge tun muss, die einfach rational richtig sind und hoffen muss, dass das Gefühl schon hinterher kommt. Ich wollte am Ende auch nicht mehr aus der Psychosomatik weg. Ich möchte nie irgendwo weg, wo ich mich wohl fühle. Und in welcher Abteilung ich dort lande, was sich dort auch alles mit dem Chefarztwechsel im Frühling ändern wird, das weiß sowieso niemand. Wenn ich dort dann emotional gar nicht bleiben kann, gehe ich halt wieder woanders hin. Und als Fachärztin wird die Neuro wohl keine Einbahnstraße sein. Wenn ich dort halbwegs geordnet gehe, könnte ich sicher auch wieder zurück. Ich wäre nicht die Erste. Und sicher auch nicht die Letzte.
Am Freitag habe ich noch mit einem Kollegen aus der Psychosomatik telefoniert. Wir haben eine zeitlang in einer Sektion gearbeitet. Ich schätze ihn sehr für seine Ruhe und Bedachtheit, für die Erfahrung, die er in über zehn Jahren dort gesammelt hat. Ich hatte oft fachliche Fragen und habe mir Ideen für die körperbezogene Therapie bei ihm geholt.
Heute möchte ich aber mit ihm nochmal über diesen Wechsel reden. Und auch er bringt sehr wertvolle Impulse an. „Mondkind – die Arbeit ist glaube ich für jeden, der dort so viel Zeit verbringt wie wir – ein Stück zu Hause. Wenn es jetzt nicht super blöd gelaufen ist, dann geht man da immer mit ambivalenten Gefühlen. Ich kann Dich total verstehen, dass Du da so hin und her gerissen bist. Du hast das jetzt gerade erst den Facharzt gemacht, Du kannst etwas, Du hast Dich hoch gearbeitet. Das ist nicht leicht, direkt danach wieder mit einer neuen Ausbildung zu starten.“ Ich könnte ihn umarmen für dieses Kommentar. Und dann berichtet er noch, dass er selbst auch oft zu lange für Entscheidungen gebraucht habe und sich da sehr gequält habe und erst im Rahmen der Selbsterfahrung sich damit auseinander gesetzt habe. Es helfe, den Absolutismus aus solchen Entscheidungen zu nehmen. Klar ist das eine eher größere Entscheidung, aber Leben ist Dynamik. Immer.
Und zur Sorge, dass Psychosomatik und Kardiochirurgie nicht funktionieren wird im Hinblick auf Beziehung sagt er, dass seine Frau und er da auch ein bisschen Probleme gehabt hätten. „Es ruckelt am Anfang ein bisschen. Aber wenn man die Psychosomatik verstehen will und sich damit beschäftigt, dann geht das. Und hey – er soll froh sein, dass Du einen Job hast, der Dich dann hoffentlich glücklich macht. Das ist doch sonst auch schlecht für die Stimmung, wenn man in einem Job ist, der einem nicht gefällt. Das merkt man auch in der Beziehung.“
Auf jeden Fall gab es jetzt nochmal einen Strauß von Impulsen und ich ziehe mir davon sicher noch die ein oder andere Blume heraus, die mich beschäftigt. Ich gebe mir jetzt noch über das Wochenende Zeit, das nochmal zu überdenken und mich dann zu entscheiden, ob ich erstmal hier in der Neuro bleibe oder doch gehe. Und dann versuche ich das bis zu meinem Dezemberurlaub noch in die Wege zu leiten. Entweder ich spreche mit dem Chef darüber, auf welche Station ich nächstes Jahr gehe oder ich rede halt mit ihm darüber, dass ich irgendwann im nächsten Jahr so ganz gehe.
***
Es hat ja lange keine Familienkommentare mehr gegeben.
Die Frage war ja immer was passiert, wenn einer von denen den Blog findet. Es scheint jetzt so passiert zu sein. Natürlich war mir immer klar, dass das passieren kann.
Die Reaktion war nur wieder interessant.
Ich habe einiges an ungefragter Rückmeldung bekommen und zusammen gefasst heißt es hier wieder: Mondkind, Deine Wahrnehmung ist komplett falsch und realitätsfern.
Und ich frage mich: Wenn man diesen Blog so liest und eigentlich von meinem Leben in den letzten Jahren wenig mitbekommen hat - ist dann wirklich der erste Gedanke: Mondkind, Deine Wahrnehmung ist falsch.
Ich erwarte von dieser Seite nicht, dass man mir irgendwie zugesteht, dass ich da auch schwere Zeiten hinter mir habe, die dieser Blog ziemlich eindrücklich festhält, aber wäre es nicht auch eine Möglichkeit zu sagen: „Hey Mondkind – irgendwie gehen unsere Wahrnehmung darüber, wie wir diese Jahre erlebt haben, sehr auseinander. Lass uns doch – wenn Du magst – mal darüber austauschen, was wir da so mitbekommen haben, gefühlt haben, gedacht und interpretiert haben.“
Aber das war jetzt eben keine Einladung an ehrliche Auseinandersetzung. Das war wieder ein „wir müssen erstmal einen Schuldigen finden und das ist natürlich die Mondkind.“ Und wenn wir jemanden anderen schuldig machen, müssen wir uns auch selbst nicht reflektieren.
Sagen wir mal so: Ich hätte das von dieser Seite der Familie so nicht unbedingt erwartet. Es gab den ein oder anderen impulsiven Ausrutscher – immer mal wieder, aber eigentlich war das noch der Teil der Familie, in dem Kommunikation mal möglich war. Ich hatte sogar eigentlich dieses Jahr noch vorbei gewollt, wenn ich doch sowieso nochmal in die Studienstadt fahre. Naja, jetzt wohl eher nicht mehr.
Ich saß gestern Abend eine Weile auf meinem Sofa und habe darüber nachgedacht, was das mit mir macht und wie damit umgehe.
Und dann bin ich darauf gekommen: Genau das ist ja einer der Gründe, weshalb Vieles irgendwie schwierig war. Das ist ja jetzt kein neues Statement, aber dieses „Mondkind, Du bist falsch, wie Du bist.“ „Mondkind, wir sehen die Dinge immer richtig und Du siehst sie immer falsch“, dieses „oh wir müssen die Mondkind mal wieder auf Kurs ziehen“ – genau das sind die Dinge, die mich dort kaputt gemacht haben, die dafür gesorgt haben, dass es immer noch schwer ist mit dem Selbstwert, dass ich mir selbst, meiner Meinung und meinen Gefühlen nur schwer vertrauen kann. Weil da immer ein „ist das denn richtig?“, dahinter hängt und ein „vielleicht muss ich es machen, wie „die Großen“ es sagen, weil ich selbst grundsätzlich alles falsch sehe und falsch entscheide.“
Jeder darf gerne seine eigene Sichtweise haben und auch teilen und ich bin froh, nicht mehr aus einen Machtgefälle aus Erziehungspersonen und emotionaler und finanzieller Abhängigkeit festzustecken. Ich bleibe weiterhin dabei, dass ich hier nie Jemanden systematisch durch den Kakao gezogen habe. Ich habe meine Wahrnehmung, meine Gedanken geteilt.
Zu Studiumszeiten hätte mich das wahrscheinlich wieder komplett aus der Bahn geschmissen. Heute macht mich das ein bisschen traurig und bringt mich irgendwie auch zu einem Gedanken von „ihr beweist halt nur, dass es richtig war zu gehen.“
Ein bisschen wütend auf mich selbst bin ich allerdings auch.
Ich hatte in den letzten Monaten den Eindruck, dass es im Hinblick auf diesen Teil der Familie eine minimale Bewegung in die richtige Richtung gibt. Ich weiß, dass die bald umziehen wollen in die Nähe eines anderen Familienmitgliedes und irgendein Teil von mir hatte öfter Gedanken: Naja, vielleicht wird es eben alles nicht, wie es einst geplant war, dass sich ein Teil der Familie eher hier versammelt – vielleicht treffen wir uns dann alle woanders wieder.
Und klar – ich habe von meinen Freunden auch schon den Kommentar gehört, dass ich an der Stelle vielleicht nicht zu viel Frieden und Harmonie denken sollte. Ich habe es auch nie laut gesagt, weil ich finde, dass alle erstmal in Ruhe ihre Entscheidungen treffen sollen und ich dann schaue, wie und ob es für mich passt. Ich möchte niemanden beeinflussen und ich weiß, dass einiges daran ein bisschen heikel ist.
Ich weiß nicht – ich glaube, das Interview von Florian Künstler, das ich vor ein paar Monaten gehört habe, hat mich dahingehend ein bisschen sentimental gemacht. Er hatte es auch super schwer mit seiner Familie, aber irgendwann als alle älter wurden, sind auch alle wieder etwas näher zusammen gerückt. Ich dachte, dass das ja vielleicht bei uns auch so sein könnte. Aber ja – naiv sein kann ich.
Und dann denke ich wieder an einen Satz von meinem Lieblingspsychiater: „Es gibt Dinge, die bleiben einem verwehrt. Aber es gibt auch immer Alternativen.“
Und da schließen sich Kreise. Ich habe hier über die Jahre doch Wurzeln geschlagen. Ich habe Freunde gefunden. Ich bin Teil der Neuro – Familie geworden. Ich bin unabhängig geworden. Ich habe ein bisschen „Papi – Ersatz“, wenn ich bei meinem Intensiv – Oberarzt vorbei schaue. Wir wissen das beide und wir akzeptieren das beide, solange wir Grenzen wahren. Und ich habe ein bisschen „Mami – Ersatz“, wenn ich von Zeit zu Zeit mit meiner alten Therapeutin spreche. Das sind alles eher vertikale Beziehungen, aber sie sind temporär da, ich darf temporär darauf vertrauen und es ist eben eine Alternative - nicht das Original.
Es ist alles okay. Es gibt Menschen, die finden mich nicht falsch. Es gibt Menschen, bei denen darf ich sein. Es darf weh tun, so etwas von der eigenen Familie zu hören. Aber aufdrehen wegen invalidierender Kommentare muss ich auch nicht mehr. Und das ist sehr befreiend.
Und dann saß ich gestern auf meinem Sofa und dachte mir: Es ist doch schon etwas passiert über die letzten Jahre. Etwas, das die Dinge auch zum Guten verändert hat. Ich kann das mit mehr Abstand betrachten. Mit mehr Selbstsicherheit. Ich kann Autoritäten heute auch mal in Frage stellen. Ich weiß heute, dass die wenigsten Menschen den anderen wirklich etwas Böses wollen, aber jeder das Kind seiner eigenen Prägungen ist.
Ich habe mich entschieden, die Werte die in meiner Familie vermittelt wurden, zu hinterfragen. Ich habe für mich entschieden, dass ich anders leben möchte als das, was für mich gewollt war. Ich stehe dazu, dass ich anders bin und damit auch anecke. Aber, dass es eben auch Menschen gibt, die mich und meine Sicht verstehen können und dass ich die eben suchen muss.
Und ich weiß, dass ich selbst noch ziemlich viel aufräumen und festigen muss, aber ich bin dran.
Ich habe dazu gestern erstmal noch gar nichts gesagt und ich weiß auch noch nicht, ob ich das möchte. Sich in irgendwelchen Diskussionen zu verrennen, die sowieso nur zu Frustration führen – dazu muss man schon ziemlich viele emotionale Kapazitäten haben. Und aktuell bin ich mit zwei Diensten am Wochenende und der Frage nach dem Jobwechsel schon ziemlich ausgelastet.
Mondkind

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