Psychiatrie #2



Das erste Wochenende außerhalb der Klinik. Das erste Mal seit vier Wochen in einem Bett außerhalb der Klinik schlafen.



Und dass auch nur, weil gestern ein Gespräch mit dem Oberdoc angedacht war, das nicht statt gefunden hat und die Pflege dann nicht wusste, was sie mit mir dieses Wochenende machen sollte. Deshalb darf ich meinen Papa besuchen fahren – auch wenn es nicht gerade im Sinn der Klinik ist. Die wollen natürlich, dass man in der häuslichen Umgebung sieht, wie es klappt.







Altbekannte Wege.



Erst mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof und von dort aus weiter mit dem Regionalexpress.



Vorbei an meiner Heimatstatt. Es ist ein komisches Gefühl.



Normalerweise würde ich hier mit meinem Lernkrempel im Gepäck aussteigen und an meinen Wohnort fahren. Ich bin froh, dass ich das heute nicht machen muss. Letztes Wochenende war ich dort und kam ziemlich desolat zurück.







Ansonsten hänge ich im Moment ziemlich fest in der Therapie.



Ich soll solange Dinge ausprobieren, bis ich etwas gefunden habe, das mir Spaß macht. Und ich gebe mir Mühe. Male, spiele Keyboard, schwinge mich aufs Fahrrad, fahre in die Stadt, lese Bücher, verbringe Zeit mit anderen Menschen.



Und dennoch. Es ist alles ein Einheitsbrei. Eine graue Suppe. Da sind keine Gefühle. Da ist keine Freude. Wann war ich eigentlich das letzte Mal fröhlich? Ich weiß nicht mal, auf was für ein Gefühl ich da eigentlich warte…







Wie soll ich beurteilen, ob mir etwas Spaß macht oder nicht, wenn ich nichts fühle? Wie soll ich wissen, ob ich umziehen möchte oder nicht, wenn sich für mich im Moment nichts richtig und nichts falsch anfühlt?







Der Stationsarzt ist ein wenig überfordert damit. „Wenn Sie gar nicht mehr wissen, was Freude überhaupt ist, wird es schwierig“, sagte er. Und ergänzte, dass er mit dem Oberdoc darüber spricht.







Der Oberdoc meinte dann in der Oberarzt – Visite, dass er am nächsten Tag mit mir sprechen würde. Er nannte mir einen Termin und auf die Frage, wo ich ihn dann finden würde meinte er, er hole mich ab. Das fand ich ehrlich gesagt schon reichlich merkwürdig, denn seit wann rennt ein Oberarzt seinen Patienten hinterher? Wir sind ja nicht ans Bett gefesselt…







Und es kam, wie es kommen musste. Natürlich kam er nicht.



Ein Mitpatient wollte auch noch etwas von ihm und traf ihn im Treppenhaus an. Er habe heute definitiv keine Zeit, in Notfällen könne man sich ja an den Arzt auf der geschützen Station wenden.



Ehrlich gesagt finde ich entbindet eine Oberarzt – Position nicht von dem allgemeinen Umgangsregeln. Ein 10 – Sekunden – Anruf auf Station, dass es nichts wird, wäre schon nett gewesen.







Es sind viele Fragen, die in meinem Hirn herum schwirren.



Wie stellen die sich das eigentlich vor? Wie lange soll das dauern, bis die Gefühl zurück kommen? Und kommen sie das überhaupt? Soll ich bis dahin in der Klinik bleiben?



Wie lange können die mich überhaupt da behalten? Der Stationspsychologe meinte, er würde mich am liebsten für einige Monate einkassieren. Meine Anmerkung im Juni wieder in der Uni sein zu wollen, wird mal geflissentlich überhört.



Allerdings – das muss ich zugeben – ist meine größte Angst, dass es genauso weiter geht, wie es aufgehört hat.



Dass ich immer noch lieber sterben möchte, als so noch jahrelang weiter zu leben.

Alles Liebe
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen