Tagebucheintrag von Freitag



Gestern war ich einfach zu müde, um irgendetwas sinnvolles von mir zu geben.
Wenn ich bedenke, dass wir ab nächste Woche Freitag auch noch morgens Tanztherapie haben, wird mir auch nicht besser, ehrlich gesagt.



Um so mehr habe ich es genossen, dass wir gestern in Ruhe frühstücken durften. Dann habe ich eine Runde Keyboard gespielt. Ich kann jetzt „Biene Maja“ auf dem Keyboard. Das sollte ich mal spielen, wenn der Psychologe durch die Zimmer turnt… J



In der Gruppenvisite wurde an den Wochenendplänen einiges geändert und ich hatte schon Sorge, dass es mich auch trifft und die mich eventuell 2 Tage BET machen lassen, aber ein Tag reichte ihnen offensichtlich.



In der 11 – Uhr – Runde, der einen Stunde in der Woche, an dem Herr Psychologe nur Positives versteht, sahnte ich ein Lob von einem Mitpatienten ab, der meinte, dass man langsam erkennt, dass bei mir im Kopf auch eine Entwicklung statt findet und ich mich jetzt ernsthaft mit Alternativen auseinander setze.



Vor Ergo hatte ich ein wenig Angst. Heute würde ich anfangen müssen meine vorbereiteten Paletten mit Acryl zu bearbeiten und ehrlich gesagt habe ich bisher ja noch nie damit gemalt. Ich hatte auch keine Ahnung, wie ich einen Hintergrund gestalten kann, der das Meer darstellt, ohne dass es aussieht wie bei einer 5 – Jährigen.

Aber eine Mitpatientin zeigte mir ein paar Tricks und dann klappte das sogar echt gut!



Danach war Oberarztvisite.

Ehrlich gesagt hatte ich langsam keine Idee mehr, was ich noch erzählen sollte. Ich hänge im Moment glaube ich im tiefsten Loch seit der Aufnahme. Die Worte dafür sind einfach verbraucht. Ich kam genau bis zu diesem Satz, ehe mich der Psychologe unterbrach.

Ich weiß schon gar nicht mehr, was er alles von sich gegeben hat. Es kam auf jeden Fall drin vor, dass die Familiensituation halt nicht einfach ist – der Arzt ergänzte, dass die wohl auch keiner erben wolle -, Mama und meine Schwester am Donnerstag wohl eher die „Kühlschrank – Variante“ gewesen seien und mich die Wohnsituation eben auch stresst und allgemein der Umstand, dass ich jetzt autonom werden muss.

Ehrlich gesagt stresst mich das aber gerade überhaupt nicht. Ich mache mir sogar nicht einmal Gedanken darüber.



„Für mich steht derzeit etwas anderes im Vordergrund“, setze ich nochmal an und berichtete von meiner Sorge, dass ein paar Wochen später alles weiter gehen könnte, wie es einst aufgehört hat.



Der Oberdoc übernahm dann das Gespräch und meinte „Die Frau Mondkind ist im Moment ordentlich depressiv“, was sich wahrscheinlich auch noch auf unser Gespräch vom Dienstag bezog.

Er meinte dann, dass ich halt gerade falsche Schlüsse ziehe, von einem Negativen aufs Ganze schließe und dass man das aber gar nicht vergleichen könne.

Er meinte dann, dass wir die Dosis des Quetiapin schon noch ein wenig anheben müssen, damit es wirkt. Er dann so „Ich hoffe, Sie schlafen davon nicht ganz so viel“, woraufhin ich anmerkte, dass mich meine Zimmernachbarin am Donnerstag mehr oder weniger aus dem Bett schütteln musste. Im Moment ist das ja aber alles nicht so schlimm, weil ich ja nicht in die Uni gehe.

(Ehrlich gesagt hoffe ich aber, dass wir die Medikamente noch reduzieren bevor ich gehe. Sonst verlasse ich die Psychiatrie als lebendiges Bayer – Werk… )

Dann redeten wir noch kurz über das Wochenende. Ich sagte, dass ich heute zu meinem Wohnort möchte, das aber gerade nicht so einfach finde, weil ich ja nach einer neuen Wohnmöglichkeit suche, das meiner Vermieterin aber noch nicht so sagen kann. Der Psychologe fand das eine völlig normale Situation. Aha…



Danach wurde ich wieder entlassen.



Später am Nachmittag wollte ich eigentlich noch mit dem Stationsarzt reden. Da heute aber eine große Entlasswelle  war,war der Herr sehr lange mit Briefe schreiben beschäftigt und danach hatte eine Mitpatientin noch einen Termin bei ihm.

Danach war es schon 5 Uhr durch und ich dachte, dass ich ihm das jetzt nicht mehr antue zu klopfen, aber jemand sagte dann, dass der Arzt heute bis 7 Uhr da sei, also fasste ich doch meinen Mut zusammen und klopfte an die grüne Tür.



Er hatte Zeit.

Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht genau, was ich von ihm wollte. Eigentlich nur ein bisschen reden. Ich erzählte über die Hoffnungslosigkeit, darüber, dass ich nicht glaube, dass ein Umzug es bringt und auch nicht glaube, dass das Ende des Studiums es bringt, weil die Erfahrung mich da einfach anderes gelehrt hat.

Und dass ich mich im Moment völlig von der Realität entfernt fühle.

„Ich werde auch viel verlieren“, sage ich, als das Thema darauf fällt, dass man manchmal gern einfach nur mal in den Arm genommen wird.

Es sind eher rationale Gründe, die für den Auszug sprechen. Nicht mein Herz.

„Es ist ja nicht in Stein gemeißelt“, sagte die PJlerin am Freitag zu mir. Wenn das in der WG nichts ist, ziehe ich eben wieder um. Ja – umziehen geht. Nur die Zeit kann ich nicht zurück drehen. Ein Zurück zu meinem jetzigen Wohnort – und damit in ein familiäres Umfeld - wird es nicht geben.



„Wenn es etwas wie Wahrheit gibt, dann sind die Gesunden viel näher dran an der Wahrheit, als die Depressiven“, erklärt der Arzt. Es sei eben so, dass ich jetzt gerade viele Veränderungen angehe, viele neuronale Strukturen umprogrammiere, die in den letzten 10 Jahren einfach unglaublich stark geworden sind.

Und dass es okay ist, dass es mir damit erstmal schlecht geht und ich eben leider noch nicht sehen könne, dass das am Ende etwas bringt. „Sie machen das sehr gut“, kommentiert er mein Verhalten der letzten Wochen.

Und wenn ich die Hoffnung im Moment nicht tragen könne, dann würden er und der Psychologe das im Moment dreimal für mich tun.

Er riet mir am Wochenende in die Stadt zu fahren und mich einfach mal in eine Kirche zu setzen. Vielleicht sei Spiritualität ja etwas für mich, meint er. Es war mir fast unangenehm zu sagen, dass ich nie den Religionsunterricht besucht hatte und mit Kirche so gar nichts am Hut habe. Ich meine mal gehört zu haben, dass er streng katholisch sei.



Es ist so schwer über die Hoffnungslosigkeit zu reden und ohne dass ich das möchte, versiegt meine Stimme irgendwann zu einem Flüstern. „Es ist wirklich furchtbar“, sage ich und erkläre, dass mein Denken im Moment nur bis zu jenem Montag reicht, an dem ich wieder in der Uni sitze.

„Manchmal wünsche ich mir, dass einfach jemand eine Stunde neben mir sitzt und das mit aushält“, sage ich. „Die Person muss gar nichts sagen. Nur da sein.“ Der Arzt fand es gut, dass ich Bedürfnisse äußere und für einen Augenblick schwiegen wir beide und ich genoss seine Anwesenheit und die Sicherheit für einen Augenblick nicht fallen zu können.

„Wie sieht das aus mit Suizidgedanken?“, fragt er. „Hier drin geht es eigentlich“, gebe ich zurück. Und das meine ich auch wirklich so und sage es nicht nur aus Angst, auf die E zu müssen. Und das ist wirklich erleichternd. „Aber ich habe Angst, dass es draußen wieder los geht.“



Eine Entlassung sei nicht für immer, sagt der Arzt. Wenn es draußen eben nicht klappt, dann komme ich zurück. Dann brauche ich vielleicht einfach noch Zeit. Dann dauert es halt noch ein bisschen länger mit dem Abschluss. Ich sei doch sehr gut in der Zeit. Ein Abschluss 10 Jahre später sei auch okay – auch wenn es bei mir nicht mehr so lang dauern wird. Sollte nur heißen: Ein oder 2 Semester aussetzen, hält er für völlig in Ordnung.



„Wenn ich am Wochenende in die Kirche gehe, bete ich für Sie“, sagt er. Fast fühle ich mich wie in einem Gespräch mit meiner Vermieterin. Da kommt so etwas auch ab und an. „Und ich zünde auch eine Kerze für  Sie an“, ergänzt er.

„Danke“, sage ich.



Und dann entlässt er mich – noch mit einer Entschuldigung, dass er am Mittwoch keine Zeit gehabt hätte, was ich ihm natürlich sofort verzeihe. Er habe wirklich einen Termin gehabt, sagt er – ansonsten sei es auch okay, wenn ich nach Feierabend noch bei ihm vorbei schaue, wenn er noch im Büro sitzt.

Montag will er mich nochmal sehen. Aber da ist eh Visite.



So… - jetzt habe ich die Zugfahrt auch mal wieder herum bekommen. 

Alles Liebe
Mondkind

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