Von Identitätskrisen

Diese Woche war leider immer noch nicht viel los mit mir.
Zwar war ich ab Montag wieder arbeiten und habe gedacht, ich schaffe das auch ganz gut, aber im Endeffekt wollte der Körper wahrscheinlich eigentlich noch etwas Pause haben. Der Kardiochirurg hat mich schon Montag gefragt, ob ich noch alle Pfeiler im Köcher habe, schon wieder arbeiten zu gehen und im Laufe der Woche musste ich feststellen: Er hatte Recht. Ich bin jeden Tag nach der Arbeit eigentlich nur ins Bett gefallen, ich konnte noch nicht gut essen, weil ich weiterhin keinen Hunger hatte und nachmittags ist es mir sehr schwer gefallen, konzentriert bei der Arbeit zu bleiben. Und ich habe es gar nicht geschafft, irgendwelche Literatur zu lesen, obwohl mich mein wirklich sehr netter Oberarzt schon mit dem nächsten Fachbuch eingedeckt hat und das wirkte beim Durchblättern wirklich gut und ich würde das gern lesen. Vor allen Dingen hat er auch selbst noch Gedankenstützen rein geschrieben, die das nochmal gut ergänzen. Dieses Buch ist ein Schatz ;)

Gegen Ende der Woche wurde es dann ziemlich turbulent, was zur Folge hatte, dass ich heute zwei Stunden bei meinem Intensiv – Oberarzt saß und wir alles ein bisschen sortieren mussten. Ich versuche es hier auch nochmal etwas zu sortieren – ob es mir gelingt, weiß ich nicht.

Alles ging damit los, dass es für diesen Samstag noch einen Neuro – Dienst zu verteilen gab. Den hatte ich ursprünglich mal gehabt, aber dann gab es eine Fortbildung in der Psychosomatik, weshalb ich schon vor drei Wochen angekündigt habe, dass ich den Dienst nicht werde machen können. Es hatte sich dann nach viel Reden ein Tauschpartner gefunden, aber leider konnte ich den getauschten Dienst nicht machen, weil ich krank war. (In der Neuro denken übrigens alle, ich hatte Covid, was schon gut und gerne sein kann, die Schnelltests waren negativ, aber PCR – Tests gibt es ja für das Personal nicht). Der Dienst wurde dann einfach zurück getauscht, aber es hat sich weiterhin niemand gefunden, der meinen Dienst, an dem eben auch die Fortbildung war, nehmen konnte. Und immerhin müsste ich gar keine Neurodienste mehr machen und habe von Beginn an klar kommuniziert, dass ich das nur solange mache, wie es nicht mit der Psychosomatik kollidiert. Also gab es dann am Freitag ungefähr 27 Telefonate mit dem dienstplanverantwortlichen Assistenten, der an mein schlechtes Gewissen appelliert hat, dass es ja mein Dienst gewesen ist und ich ja nun auch krank gewesen sei und dass ich doch wenigstens den halben Dienst nach der Fortbildung machen könnte. Und irgendwann bin ich dann eingeknickt und habe zugestimmt, obwohl an dem Abend der Kardiochirurg und ich verabredet waren und wir seit vier Wochenenden kein Wochenende mehr wirklich für uns hatten und das nächste auch raus fällt, weil er da das ganze Wochenende Intensiv – Dienst hat.

Es ist lange nicht mehr passiert, dass die Emotionen so übergekocht sind, dass ich mich selbst gar nicht mehr gut regulieren konnte, aber genau das war dann Freitagabend der Fall. Und obwohl der Kardiochirurg Rufdienst hatte, kam er nochmal bei mir vorbei. Denn ob er nun von mir oder von sich aus in den Dienst fährt, wenn er gebraucht wird, ist ja relativ egal.
Und dann ging es viel um das Thema Wut. Sowohl auf mich selbst, weil jeder weiß, dass die Mondkind die letzte Bank ist, dass man die schon dazu bekommt, dass sie irgendwann das macht, was man von ihr will. Und ich möchte nicht immer diejenige sein, die sich nicht wehren kann oder die dann aus einem schlechten Gewissen heraus und aus der Angst heraus vielleicht nicht mehr gemocht zu werden Dingen zustimmt, die ich gar nicht möchte.
Aber es ging auch nochmal viel um die Beziehung. Und normalerweise schone ich den Kardiochirurgen da sehr, weil ich glaube, dass seine Unverbindlichkeit aus einer Angst heraus kommt und nicht aus einer bösen Absicht mir gegenüber. Aber am Freitag ging das wirklich nicht mehr. Und in diesem Fall war die Tatsache, dass wir uns nicht sehen konnten am Samstag ganz klar mir geschuldet, das sehe ich auch ein und nehme es auf meine Kappe, aber insgesamt wussten wir von vornherein, dass wir beide viel arbeiten und viele Dienste machen und dass wir gut kommunizieren müssen, um uns regelmäßig zu sehen. Und ich will mich da selbst gar nicht mal unbedingt raus nehmen, aber das funktioniert halt gar nicht. Und letzten Endes führt das eben dazu, dass immer wenn es um uns geht, das mittlerweile ganz viel mit Sehnsucht, Fehlen und Wut zu tun hat und die Anziehung hinter diesen negativen Gefühlen sehr verloren geht. Abgesehen davon leben wir unsere Beziehung irgendwie rückwärts. Ich habe schon mal bei ihm zu Hause übernachtet, aber das ist sicher sechs Wochen her. Warum gehen wir Wege nicht weiter, die wir ein Mal beschritten haben? Was hält uns davon ab? Und eine Beziehung, die zur Wochenendbeziehung mutiert, obwohl wir doch so nah beieinander wohnen – daran gehe ich kaputt, das kann ich nicht. Wir teilen am Ende des Tages überhaupt keinen Alltag miteinander.
Im Endeffekt war das glaube ich ziemlich gut, dass dieser Kessel mal explodiert ist, weil er glaube ich auch wirklich mal begriffen hat: Wir müssen daran arbeiten. Das ist alles nicht nur so daher gesagt, das hat eine Relevanz. Und wenn wir das nicht hinkriegen, dann hat diese Beziehung keine lange Zukunft mehr. Mal schauen, wie wir jetzt weiter machen können.

Das nächste Thema ist der Job. Ich habe ja von vornherein gesagt, dass ich nicht weiß, ob nicht der Jobwechsel eine berufliche Identitätskrise hervor ruft und ich glaube, genau das passiert gerade. Ich bin zwar eine schlechte Psychotherapeutin, weil ich das einfach nicht kann und Menschen, die dieselbe Anzahl von Jahren in der Klinik arbeiten wie ich, hier einen enormen Vorsprung haben, aber ich merke immer mehr, dass das Mondkind’sche Bauchgefühl eben doch am Ende oft richtig ist. Ich habe keine Lust auf die ärztlich – psychosomatischen Tätigkeiten, aber alles was mit Psychotherapie zu tun hat, interessiert mich wirklich sehr.
Gerade die Fortbildung am Wochenende: Ich glaube, ich habe keine einzige Neuro – Fortbildung erlebt, bei der ich nicht ständig auf die Uhr geschaut habe… - doch, eine. Die Epilepsie – Fortbildung damals. Aber das war auch eine halbe Psychiatrie – Fortbildung und wurde immerhin auch von der Psychiatrie ausgetragen, nur manchmal brauchen Psychiater eben auch ein EEG.
Und das hat im Endeffekt auch unglaublich viel Wut auf mich selbst erzeugt. Ich sehe langsam: Ich habe an den Dingen auch einen Eigenanteil, ich kann nicht alles auf die äußeren Umstände schieben. Wenn es wirklich um starke innere Not ging, dann konnte ich mich bewegen. Ich bin völlig naiv nur mit einem Koffer zu Hause ausgezogen ohne zu wissen, wo ich morgen schlafen werde. Das würde ich nicht empfehlen, aber ich frage mich bis heute, woher ich den Mut hatte. Warum hatte ich nicht den Mut zu sagen: Ich will kein Medizin studieren, ich möchte Psychologie studieren und ich mache das, egal was ihr sagt. Ich habe mich von der ersten Vorlesung an falsch in diesem Studium gefühlt. Seitdem sind mehr als 11 Jahre vergangen und ich habe mich sehr versucht irgendwie mit der Medizin anzufreunden, aber ich glaube, wenn ich sehr ehrlich zu mir bin, ist mir das nicht so richtig gelungen. Und jetzt darf ich erstmal ein Jahr in der Psychosomatik bleiben, aber das mache ich denn ab Oktober nächstes Jahr? Gehe ich zurück? Oder nicht. 


Ich habe das heute sehr, sehr lange mit dem Intensiv – Oberarzt besprochen. Und ich sehe langsam auch den Standpunkt der „Großen“. Ich habe, wenn ich aus der Psychosomatik zurückkomme, die Zeit für den Facharzt voll, der Intensiv – Oberarzt würde empfehlen zurück zu kommen, um sicher zu gehen, dass dann auch alles unterschrieben wird. Dann für die Facharztprüfung anmelden, in der Zeit noch ein bisschen in der Neuro dümpeln, dann den Facharzt machen und dann nochmal neu orientieren. Ich merke, dass sich alles in mir dagegen sträubt, weil das natürlich auch heißt: Ich müsste mir langsam Bücher zur Vorbereitung kaufen, schon mal schauen, wo es ein Facharzt – Repetitorium gibt, zu dem ich mich anmelden kann, um damit in erster Runde vielleicht mal einen Lernplan zu schreiben und dann anzufangen. So eine Facharztprüfung macht sich nicht nebenbei, das muss man wissen. Und dann möchte ich noch einen Fuß in der Psychosomatik in die Tür bekommen. In der Fortbildung gestern ging es um das OPD und ich habe schon gehört, dass das als tiefenpsychologisches Mittel zur Diagnostik auch nicht alles abdeckt, aber für mich als Anfängerin ist es gut, mal ein Schema an der Hand zu haben. Ich überlege mir, ob ich mir das Buch kaufe und es lese, angeblich liest sich das OPD – 3 ganz gut.
Aber ehrlich: Eine Neuro – Facharztprüfung vorzubereiten, Psychosomatik und ein bisschen Psychotherapie zu lernen, nebenbei noch eine Beziehung zu führen und in Neuro und Psychosomatik noch Dienste zu machen – wie soll das gehen? Und gleichzeitig habe ich jetzt verstanden: Wenn ich wirklich Psychosomatik machen möchte, dann gibt es fast keinen anderen Fahrplan. Dann wird das Psychosomatik – Jahr nicht so entspannt, wie es das für viele andere in der Neuro geworden ist. Denn nach der Psychosomatik kann ich nicht erst anfangen zu lernen – dann wird das die nächsten zwei Jahre nichts mit dem Facharzt.

Der Intensiv – Oberarzt hat heute übrigens auch die Krankheitszeit noch ein bisschen validiert. Der Chef sei wohl angeblich überhaupt nicht böse gewesen und habe gesagt, dass ich so ziemlich die Einzige im Team sei, der er wirklich glaubt, wenn sie sagt, dass sie krank ist, nicht zur Arbeit kommen kann und den Dienst nicht machen kann. Und es habe wohl in der oberärztlichen Etage zu sehr viel Unmut geführt, dass sich niemand gefunden habe, um mir diesen Dienst abzunehmen, weil denen allen sehr wohl bewusst ist, dass ich so selten etwas von den anderen brauche, dass es dann eben schwer zu akzeptieren ist, dass ich selbst nicht die Unterstützung bekomme, die ich anderen gebe. Und ich persönlich habe das nie als „Tauschgeschäft“ betrachtet. Wenn jemand akut Hilfe braucht und ich die Hilfe geben kann, ohne mir selbst ein Bein zu stellen, dann mache ich das gern. Und gleichzeitig ist es natürlich schon blöd zu erleben, dass das für mich eben nicht so möglich war, wie ich mir das von den anderen gewünscht hätte – als Kollektiv, ohne dass ich jetzt jemanden im Kopf gehabt hätte, von dem ich gemeint hätte, dass er mir hätte behilflich sein müssen.

Jetzt bin ich mal sehr gespannt, wie die neue Woche startet. Das ist auch mal schön. Den Montag nicht als elendiges Schreckgespenst zu sehen, sondern zu denken: Es ist Montag und das ist okay. Mal schauen, welche Herausforderungen es gibt.

Allen Lesern einen guten Wochenstart
Mondkind


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