Erste Eindrücke aus der Psychosomatik

Ich kann mir vorstellen, der Ein oder Andere wartet schon auf ein kleines Update hinsichtlich meiner ersten Psychosomatik – Woche.
Wie das mit Einstiegen immer so ist, hat mich die erste Woche allerdings so herausgefordert, dass ich weder dazu kam, die Eindrücke zu verschriftlichen, noch alles im Kopf gut sortieren konnte. Aber hier ein kleiner Versuch.

Tatsächlich war zumindest die Rezeption am Montag auf mein Kommen vorbereitet. Kaum war ich fünf Minuten da, hatte ich zumindest schon mal ein neues Telefon und einen Schlüssel zu meinem Büro, in dem ich in der nächsten Zeit sitzen werde. Ich wurde doch in der Akut – Psychosomatik eingestellt und nicht in der Reha, mein Büro befindet sich aber im Reha – Gebäude in der obersten Etage, in der die Privatpatienten einquartiert sind – deshalb kommt man da ohne Transponder auch gar nicht erst hoch (Merke: Vergiss nie Deinen Transponder, sonst kannst Du direkt nochmal umdrehen). Der Vorteil ist: Es kann kein Patient unangemeldet vor meiner Tür stehen. Der Nachteil: Ich muss meine Patienten immer irgendwo abholen kommen.

Zeitgleich mit mir hat eine ehemalige Kollegin aus der Neurologie angefangen, die das letzte Jahr in Elternzeit war und dann nicht mehr zurück in die Neuro, sondern eben in die Psychosomatik wollte. Sie hat aber vor 10 Jahren im Rahmen ihrer Neuro – Facharztweiterbildung schon ein Jahr hier gearbeitet (und deshalb soll sie noch alles können…). Auch gibt es einen neuen Oberarzt. Funfact am Rand: Der war vorher in der Klinik, in der ich Ende 2021 auch war. Damals gab es ihn zum Glück noch nicht dort, sonst wäre ich mit meiner Vorgeschichte schneller aufgeflogen, als ich hätte Piep sagen können. Aber der ehemalige Freund kennt ihn gut.
Ein Einarbeitungskonzept hatte man sich für uns alle nicht einfallen lassen. Der Psychologe, der das wohl sogar ganz gern macht, hatte die Woche Urlaub. Der neue Oberarzt musste – obwohl auch er schon im Haus gearbeitet hat – sich auch erstmal wieder einfinden, die Oberärztin war völlig überfordert damit, dass man ihr gesagt hatte, dass sie mit dem ganzen neuen Personal zusätzlich zu den schon bestehenden drei Therapiegruppen unserer Sektion, eine neue Gruppe bekommt. Sie hatte angeregt, dass man die erst ab November öffnet – essentiell gibt es die aber seit Mittwoch. Und wer ist zuständig? Die neue Kollegin und ich. Ich glaube das ist recht klar, dass das nicht funktionieren kann und für sehr viel Unzufriedenheit der Patienten sorgt, weil zumindest letzte Woche die neue Kollegin und ich maximal in der Gruppe drin saßen, sie aber noch nicht selbst leiten konnten und es somit eine maximale Diskontinuität gab, was Therapeuten anbelangte.

Am Montag habe ich mich erstmal an den Rockzipfel des Psychologen gehängt, da die andere neue Kollegin, die übrigens jeden Tag nur bis 12 Uhr da ist (ergo bin ich danach alleine mit meiner Gruppe), mit der anderen Assistenzärztin herum lief. Wir haben erstmal zwei Gruppentherapien hintereinander gemacht. Es ist wirklich interessant, Gruppendynamiken zu beobachten und auch zu vergleichen, wenn man selbst nicht Patient ist, mitten drin sitzt und zudem ja einen Grund hat dort zu sein – ich konnte mich maximal noch auf mich selbst konzentrieren, nicht aber auf die anderen Patienten. Morgens laufen die ganzen Gruppen, nachmittags sind Aufnahmegespräche, Entlassgespräche, Kriseninterventionen und Einzelkontakte – wobei die eher bedarfsgesteuert, als fest geplant sind.
Montag bin ich erstmal nur mitgelaufen, Dienstag hatte ich Dienst in der Neuro und der ist ziemlich eskaliert, sodass ich erst weit nach Mitternacht zu Hause war und Mittwoch erstmal ziemlich müde war. Dennoch habe ich hier die ersten medizinischen Aufnahmen gemacht, nachdem ich mir eine bei einer Kollegin hatte anschauen dürfen. Außerdem war ich mit auf der wöchentlichen Oberarztvisite. Überhaupt muss man sich immer frech einfach irgendwo anschließen, um zu sehen und zu lernen, wenn man gerade nichts zu tun hat. Dass jemand einen freiwillig mitschleppt, aus dem Gedanken heraus: „Ist neu, muss erstmal lernen“, kommt eher nicht vor. Donnerstagnachmittag hatte ich dann auch gleich wieder Aufnahmen und gestern ist aufgefallen, dass die ganzen psychologischen Erstinterviews von der neu eröffneten Gruppe, die die Kollegin und ich leiten sollen, noch ausstehen. Die Oberärztin hat es geschickt gemacht und Donnerstagabend eine Mail geschrieben, dass wir so viel wie möglich am Freitag abarbeiten sollen (an dem sie selbst nicht da war) und deshalb war dann die Schonfrist diesbezüglich Freitag auch vorbei. Aber der Psychologe war zumindest recht nett. Eines durfte ich mir anschauen, eines unter seinen Augen selbst machen und dann noch zwei alleine machen. Das Dumme ist nur: Es gibt für mich diesen Reiter gar nicht, um das im System zu dokumentieren. Ist ja nicht auch zufällig eigentlich Psychologen – Aufgabe ;)
Dann war ich gestern auch noch bei zwei körperbezogenen Therapien und die Oberärztin kam schon Donnerstag auf die Idee, dass ich auch zu einer Supervision / Selbsterfahrung gehen soll – da gibt es zufälligerweise Ende des Monats eine bei uns in der Klinik – wenn das die ersten Therapien sein werden, die ich selbst leiten werde. Unnddd… - ich befürchte bei diesem Tempo hier, wird das schneller der Fall sein, als ich gucken kann.
Die erste Fortbildung ist auch schon angedacht – dummerweise genau an dem Wochenende, an dem ich noch einen Neurodienst habe – den muss ich jetzt erstmal weg tauschen.

Und mit der EDV habe ich mich diese Woche auch einen großen Teil meiner Zeit beschäftigt. Am Montagmorgen waren erstmal alle Zugänge gesperrt. Über meinen Neuro – Zugang kam ich nicht mehr rein, einen Psychosomatik – Zugang hatte ich noch nicht. Den beiden anderen Kollegen ging es genauso, aber die hatten auch nicht am Dienstag Dienst und mussten irgendwie arbeiten. Also habe ich die EDV terrorisiert, dass die zumindest den alten Zugang reaktivieren, was sie dann auch gemacht haben. Mit dem Psychosomatik – Zugang ab Mittwoch sind aber leider einige Neuro – Funktionen weg gefallen… das ist schon frustrierend. Seit gestern kann ich zumindest drucken. Einen Vertrag habe ich leider immer noch nicht, was allmählich etwas frustrierend wird, weil die Chefärztin, die mir ja gesagt hatte, dass sie ohnehin keine Kollegen mehr für ein halbes Jahr einstellt, mich gestern in der großen Runde vorgestellt hat und gesagt hat, dass ich ein halbes Jahr bleibe. Also langsam weiß ich auch nicht mehr.
Freitagnachmittag ist dem Psychologen noch aufgefallen, dass ich noch einen Handscanner brauche, um die Leistungen an den Patienten im System einzuscannen und diesbezüglich wollte er von meinem Account aus eine Mail schreiben. Als er die Mailadresse eingegeben hat, kam das System erstmal mit Vorschlägen von bekannten Adressen um die Ecke – unter anderem meinem sehr geschätzten Herrn Psychiater, den ich mal von der Arbeitsadresse aus angeschrieben hatte. In der Adresse steht natürlich der Name der Psychiatrie. Ich hoffe, er hat das so schnell nicht realisiert… sonst bin ich auch schon aufgeflogen…

Natürlich merkt man aber, dass diese ganze Arbeit emotional herausfordernd ist und es teilweise ganz, ganz schwer ist, sich da abzugrenzen oder zumindest erst nach Arbeitsschluss mit dem Denken anzufangen. Meine Grenze fängt bei der Suizidalität an. Ein Patient hat erzählt in der Aufnahme, dass seine Oma sich im betagten Alter das Leben genommen hat, nachdem sie ihren Sohn durch Krebs verloren hat. Ich finde die Reaktionen dann immer interessant. Diese Trauerreaktion auf der einen Seite, gepaart mit Unverständnis, aber auch die vom Patienten und Therapeuten geäußerte Verurteilung. Zum Einen erinnert das mich immer an mich selbst, zum Anderen würde ich manchmal echt gern einhaken und ermutigen, das ein bisschen zu differenzieren. Überhaupt habe ich in den letzten Tagen nochmal gespürt, wie das Thema Tod die Menschen aus der Bahn schmeißen kann. Viele Menschen erzählen in der biographischen Anamnese, dass sie den Tod eines bestimmten Angehörigen nicht verkraften konnten – auch wenn das teilweise schon 30 Jahre oder länger her ist. Und irgendwie signalisiert mir das auch ein bisschen: Es ist okay. Dass mich das so aus der Bahn geschmissen hat. Dass noch nicht alles wieder gut ist. Auch, wenn mir das so oft anders vermittelt wurde.
Ein anderer Patient hat im Aufnahmegespräch berichtet, dass seine komplette Symptomatik über einen Wechsel des Chefs am Arbeitsplatz dekompensiert ist. Ich habe das am Ende mit der entsprechenden Therapeutin nachbesprochen und dann kam raus: Der Patient ist in einem brüchigen Elternhaus groß geworden – wie viele unserer Patienten – und hat am Ende seinen Wunsch nach einer heilen Familie auf seine Arbeitssituation projiziert. Und das ging lange gut. Mit einem lieben Chef als Papa – Ersatz, mit Kollegen als Geschwister – Ersatz. Aber der neue Chef soll weder besonders empathisch gewesen sein und hat noch dazu das Kollegium ein bisschen aufgemischt. Also hatte der Patient in seiner Wahrnehmung wieder ein: „Der Papa lässt mich alleine und die Geschwister sind gemein zu mir und beachten mich nicht mehr – ergo habe ich wieder keinen Platz im Leben.“
Und mir war das schon klar, dass ich im Prinzip hundert prozentig genau dasselbe mit der potentiellen Bezugsperson betrieben habe und ich wäre im Leben nicht im Ort in der Ferne, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Er war der Papa, den ich mir so sehr gewünscht habe, die anderen Kollegen waren Geschwister und deshalb war eine Versetzung auf eine andere Abteilung jedes Mal eine komplette Katastrophe für mich. Das nochmal so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, war echt krass. Und aber auch hier wieder: Ich bin nicht alleine damit, es gibt ganz viele Menschen davon und ich brauche mich vielleicht nicht mehr abgrundtief dafür zu schämen, so wie ich das oft getan habe, wenn mir das ins Bewusstsein kam, was ich aber nie so deutlich formuliert habe. Ich bin mittlerweile froh, dass es nicht mehr so ist. Die potentielle Bezugsperson und ich haben sich doch recht entfremdet und ich bin ja mittlerweile so weit zu sagen: Ich möchte Neues sehen und meinen beruflichen Platz finden auch wenn das heißt, aus dieser Ersatzfamilie raus zu müssen. Und gleichzeitig heißt das, dass eben die eigenen Familienverhältnisse so zerrüttet waren, dass eben ein solcher „Umweg“ zu Beginn völlig unbewusst nötig war, der in so einer Konstellation unglaublich verletzbar, angreifbar und abhängig macht. Und das bestätigt auch nochmal: Ich habe im Endeffekt keine Chance mehr, das irgendwie „nachzuholen“ und jegliche Versuche davon werden immer scheitern müssen. Am Ende kann man dieses Fehlen nur integrieren und damit leben.

Am Donnerstag hat mich schon eine Kollegin mit Büromaterialien eingedeckt (das ist auch das erste Mal, dass ich erlebt habe von der Tackernadel bis zum Stiftehalter alles zu bekommen (nur die obligatorische Taschentuchpackung fehlt noch)), die Mission für den heutigen Tag war erstmal noch eine kleine Dekoration zu sorgen. Was ich definitiv auch brauche, ist eine kleine Uhr. Ich habe mich immer gefragt, warum Therapeuten die da stehen haben, aber das ist wirklich wichtig, wenn einen ein Patient an die Wand redet zumindest mal die Zeit im Auge zu haben, ohne offensichtlich auf den PC – Bildschirm, auf das Diensttelefon oder auf die Armbanduhr schauen zu müssen.
Morgen fahre ich zum ehemaligen Freund und hole noch ein Buch ab. Die Oberärztin hat mir eine Literaturliste gegeben und da stehen einige Bücher drauf, die der ehemalige Freund hat. Tatsächlich haben wir mittlerweile ein ganz gutes freundschaftliches Verhältnis – da hätte ich ja nicht geglaubt, dass das möglich sein würde. Tatsächlich hätte ich die Zeit, in der ich dann wirklich in mein Psychiatriejahr gehe gern mit ihm zusammen erlebt, aber ja – es ist jetzt eben so. 

 

Ein eigenes Büro ist schon eine feine Sache 😃

 

Und was den Kardiochirurgen angeht… - eigentlich wollten wir uns einen Abend in dieser Woche zum Kochen treffen – wundert irgendwen noch, dass das nicht funktioniert hat? Zwar wäre er pünktlich fertig gewesen mit der Arbeit, war dann aber der Meinung er könnte ja mal bis abends halb 10 sein Fach leeren. Super Idee, wenn man verabredet ist.
Gestern Abend haben wir uns kurz gesehen, er hatte dienstfrei, deshalb hatte er definitiv Zeit. Heute hatte er dann Dienst, deshalb konnten wir das auch nicht ewig ausdehnen. Ich habe mich extra bemüht trotz meiner drei Aufnahmen einigermaßen pünktlich raus zu kommen – eine halbe Stunde zu spät war ich am Ende – sodass wir so viel Zeit wie möglich haben, aber er kam dann erstmal zu der Idee, er müsste seine Wohnung noch aufräumen, sodass wir uns erst halb Acht treffen konnten. Er merkt das zwar mittlerweile schon und meinte dann auch: „Ich weiß, ich hab es wieder verkackt“, aber er ändert halt nichts. Wir machen das jetzt seit bald drei Monaten so. Und nachdem ich mal angemerkt hatte, dass wir uns halt mal überlegen müssen, in welche Richtung das geht und ein miteinander intim werden halt auch irgendwo voraussetzt sich da mal festzulegen, ist diesbezüglich komplette Funkstille. Es gibt nicht mal einen Begrüßungs- oder ein Abschiedskuss und selbst wenn ich ihn in den Arm nehme, hält er das keine zehn Sekunden aus, deshalb bin ich da auch zurückhaltend.
Ich glaube immer mehr, dass er nicht der Mann sein wird, den ich heiraten werde, mit dem ich irgendwann eine Familie gründen werde. Und wenn man sich drei Monate fast nur am Wochenende sieht – irgendwann wird dieses Feuer auch kleiner. Tatsächlich. Ich kann mittlerweile ganz gut damit leben, dass wir uns so selten sehen, während ich am Anfang natürlich am liebsten jede freie Minute mit ihm verbracht hätte.
Und da kann ich auch wieder eine Patientin verstehen, die auch gerade in ihrer Beziehung Schwierigkeiten hat und gesagt hat, dass das ganz viel Unsicherheit hervorruft. Nicht nur wegen der Beziehung an sich, sondern auch wegen der Lebensplanung. Denn auch sie möchte eine Familie und Kinder. Nur, ob das eben realisierbar ist…? Irgendwann… - und mit wem.
Er meinte, wir treffen uns nächste Woche mal irgendwann abends zum Kochen. „Das wäre das erste Mal in knapp drei Monaten, dass das klappt“, habe ich zu bedenken gegeben.
Es bleibt weiter spannend…

Mondkind



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