63 Monate - Reflexion und Gespräch
Mein lieber Freund,
Mittlerweile ist Oktober. Der Sommer ist seit ein paar Tagen wirklich ganz eindeutig vorbei. Die Luft riecht anders, die Nächte sind empfindlich kühl, gestern Nacht hat es den ersten Frost auf den Autos gegeben. Und die Blätter werden langsam bunt.
Außer, dass ich gestern Abend mit zwei Wolldecken übereinander saß und mir heute Nacht tatsächlich eine Wärmflasche an die Füße gelegt habe, ist es aber okay.
Der Herbst löst einen Sommer ab, der ohnehin nur Stillstand war.
Ich wollte Dir erst am Nachmittag schreiben, weil ich Dir gleich vom Gespräch mit meinem Oberarzt erzählen wollte – oder zumindest ein paar Gedanken mit einfließen lassen wollte. Wir haben uns nämlich heute Mittag gesehen und nach diesem September, der in vielen Hinsichten sehr schwierig war, war das mehr als nötig.
Ich habe nochmal vom Gespräch in der Psychosomatik erzählt. Weißt Du, manchmal ist es ja auch die Erzählweise des Protagonisten – natürlich färbt meine Eigene Wahrnehmung darauf ab, wie ich das erzähle - und ich glaube, ich habe mich mittlerweile auch genug darüber geärgert, aber er meinte auch sofort: „Das war ja überhaupt nicht wertschätzend – das wäre vielleicht mit jedem Bewerber so gelaufen, aber Sie haben doch da schon ein Jahr gearbeitet und einen guten Job gemacht, was ich so gehört habe.“ Und das ist auch das, was mich mittlerweile am meisten stört. Ob die eine Stelle haben oder nicht könnte ich noch raus finden, aber diese Aussage von „Naja die Neuro – Rotanden haben hier ja auch immer eine Sonderrolle und das was die hier machen ist nicht vergleichbar mit der Arbeit der Weiterbildungsassistenten“, hat mich schon ein bisschen auf die Palme gebracht. Vor allen Dingen, weil ich die Psychosomatik eben zuvor als sehr wertschätzendes Arbeitsumfeld erlebt habe. Also heißt es wahrscheinlich weiter suchen.
Die Frage ist halt nur, wie groß der Radius ist und da kommt man immer und immer wieder auf diese Beziehung zurück. Weißt Du, ich denk oft an Dich und daran, wie naiv ich eigentlich war. Ich dachte, Beziehung wäre so. Irgendwie leicht. Sicher damit verbunden sich immer wieder in der Mitte finden zu müssen, Dinge durchzusprechen, darauf einzugehen, wenn der andere den Finger hebt und sagt: „Hey schau mal, damit habe ich gerade ein Problem“, aber im Gesamten irgendwie doch bereichernd, tragend, stärkend.
Und gleichzeitig stellt sich mir natürlich schon die Frage, warum ich am Ende des Tages immer allein bleibe oder gehen musste.
„Also manchmal kann ich mich selbst kaum noch aushalten“, sage ich irgendwann. „Wenn ich meine eigene Therapeutin wäre, ich würde mir das so um die Ohren hauen. Das Ding ist, ich sehe die ganzen Dynamiken und stehe gefühlt völlig erstarrt da und kann mich nicht bewegen.“
Und dann erzähle ich, dass mir schon durchaus bewusst ist, dass ich sämtliche Ideale wie ich mir eine Beziehung vorstelle in diese Beziehung rein projiziere, ohne zu beachten, ob die real da sind. „Ich denke mir bestimmt drei Mal die Woche, dass wir uns trennen müssen, aber wenn es dann wirklich real darum geht, dann habe ich das Gefühl, ich verliere den Boden unter den Füßen.“ „Sie haben das Gefühl, sie verlieren alles, dabei ist doch so wenig da“, sagt er. „Ja, und das ist der Punkt. Rein logisch gesehen wäre das vielleicht sogar eine Befreiung, aber mein Gehirn versteht das nicht und denkt, dass es eine ideale Beziehung verliert.“
Ich bin eine Weile still. „Ich habe keine Ahnung, ob das real noch rettbar ist“, sage ich irgendwann in die Stille. „Ich gefalle mir halt in dieser Beziehung auch selbst nicht mehr. Es ist schon so, dass ich ihn im Moment extrem stresse und er von mir nur zu hören bekommt, was er entweder nicht macht und tun soll, oder was er nicht tut. Und von ihm kommt dann nur: „Ja, was soll ich denn noch tun, damit Du zufrieden bist?“ Und ich denke mir nur: Junge, Du tust halt nichts, also jetzt frag bitte nicht, was Du noch tun sollst, als würde ich Dich überbeanspruchen. Und das Ding ist - das ist so eine Spirale von Frustration auf beiden Seiten, dass ich nicht weiß, ob das wieder ins Lot zu bringen ist. Vor allen Dingen, weil es für mich so ist, dass diese Beziehung im Moment eine absolute Mangelsituation für mich ist und ich mir schon irgendwie ständig denke: „Jetzt muss aber mal was von Dir kommen. Ich brauche irgendwelches Bemühen, ich muss irgendwie mal sehen, dass Dir das auch wichtig ist“ und er dann noch weiter dicht macht, weil ihm das wahrscheinlich alles zu viel ist. Und ich glaube, jeder von uns beiden braucht real betrachtet in dieser Beziehung einfach gerade so viel, das der andere aber nicht geben kann. Ich brauche in erster Linie ihn, ich muss mal spüren können, dass ihm die Beziehung wichtig ist, ich brauche nächste Schritte, zusammen ziehen, gemeinsame Lebensplanung und er braucht wahrscheinlich vor allen Dingen Abstand – aber genau weiß ich das nicht, er spricht ja nicht drüber.
Und ich merke auch schon, ich bin absolut dauergestresst – auch mit ihm. Selbst neben ihm aufzuwachen in seiner Wohnung – was diesen Monat nicht vorkam, aber das soll ja mal vorkommen – hat irgendwie nichts Schönes mehr. Da ist nur noch ein: Naja zumindest wird es jetzt nicht noch schlimmer. Und das ist so das Problem für mich im Moment. Ich komme in diesem ganzen Stress des Fehlens gar nicht mehr zu Ruhe, er fehlt mir auch wenn er da ist und dass er da ist, sorgt nur dafür die Explosionen in mir etwas abzumildern.“
Mein Gegenüber ist der Meinung, dass die Situation wahrscheinlich nicht mehr besser wird, wenn sie im Prinzip seit zwei Jahren ununterbrochen so ist. „Beziehung ist in erster Linie Kommunikation und ich sehe nicht, wie das bei Ihnen in irgendeiner Weise funktioniert. Ich meine – ich bin kein Kobold. Ich sitze nicht auf Ihrer Schulter und beobachte Sie im Alltag und wie sie miteinander umgehen. Ich rede jetzt von dem, was ich so von Ihnen höre“, sagt er. „Ich weiß auch nicht, wie ich noch mit ihm kommunizieren soll“, sage ich irgendwann. „Wirklich – ich bin eigentlich echt gut im Reden, aber wenn wir nebeneinander sitzen, dann schweigen wir nur noch. Ich weiß auch nicht, was ich noch sagen soll. Gefühlt habe ich alles 500 Mal gesagt, ich wüsste nicht, was ich da Neues sagen könnte. Und letzten Endes wird das auch nicht dazu führen, dass er mal seine Gedankenwelt teilt, mich in sein soziales Umfeld miteinbezieht, oder irgendetwas anderes.“
„Ich glaube, Ihnen geht es gar nicht so gut“, sagt er irgendwann.
Ich bin eine Weile still. „Naja – irgendwie ist es so schwer nach dem Facharzt zu sagen, dass alles schlimm ist, aber nein, mir geht es nicht gut.“ Und fast muss ich ein bisschen aufpassen, dass mir nicht die Tränen in die Augen steigen. „Irgendwie hat mich so eine Idealvorstellung über die Facharztzeit gezogen von „Naja, danach werde ich mich beruflich in die richtige Richtung entwickeln und wenn ich wieder mehr Zeit für die Beziehung habe, dann wird das schon…“, beginne ich. „Und dann hat das an allen Ecken jetzt erstmal nicht funktioniert und Sie haben überall Baustelle“, beendet er den Satz für mich.“ Es tut gut, so gesehen zu werden.
„Manchmal fühle ich mich im Moment, wie irgendwie in diesen Jahren um 2021 herum. Der Freund war tot, ich hatte keine Ahnung, wie ich das jemals in mein Leben integrieren sollte und bei den ständigen Gedanken um ihn und um die Situation jemals genügend Energie für einen Facharzt haben sollte und hatte damit auch keine Ahnung, ob mein Wunsch nach Familie und zu Hause jemals Realität wird. Manchmal sitze ich im Moment echt zwei Stunden auf meinem Küchenboden und denke mir, dass es mir alles zu anstrengend und zu viel im Moment ist und ich weiß schon, man darf keine falsche Müdigkeit vortäuschen, von alleine regelt sich nichts, aber es ist schwer im Moment. Und ich fühle mich auch manchmal einfach so vom Leben verarscht. Ich meine ich bastle seitdem ich 18 bin an irgendeiner Zukunft und will daran glauben und das zerfällt alles immer wieder, obwohl ich mich anstrenge, obwohl ich Pläne mache.“
Ich füge nicht an, dass ich mir im Moment oft denke, dass es doch besser wäre einfach zu sterben, am Besten bei irgendeinem Unfall oder weiß ich nicht was, damit das nicht so auffällt, dass es eigentlich nicht ungelegen kommt. Aber das sage ich jetzt nicht. Ich könnte es bei ihm sagen, wir hatten diese Gespräche nach der letzten Trennung, aber er würde sich Sorgen machen und das bringt jetzt auch niemanden weiter – insbesondere, wo er mir ja gerade hilft weil er ein Ohr für mich hat.
Er meinte eben wieder, ich müsste dann eben einfach machen. Ohne Rücksicht und mehr auf mich schauen. Wenn es hier keine Psychosomatik gibt, an der ein Konzept gebastelt werden kann, mit dem ich zufrieden bin, müsste ich vielleicht woanders hingehen. Und vielleicht sei das auch ein guter Zeitpunkt, um die Beziehung los zu lassen.
„Ich weiß es nicht“, setze ich nochmal an. „Ich habe manchmal so das Gefühl, wenn ich jetzt nochmal alles auf den Kopf stelle – vielleicht sitze ich dann in zehn Jahren auf meinem Sofa mit einer fertigen Psychotherapie – Ausbildung, ein Kind auf dem Schoß und einem Mann, der auch noch irgendwo herum wuselt…“ „… nicht, der irgendwo herum wuselt“, unterbricht er mich, „der neben Ihnen sitzt und Sie in den Arm nimmt“ „… oder so“, sage ich. „Jedenfalls ein Leben, mit dem ich glücklich bin. Aber es ist so schwer nach all den Jahren zu realisieren, dass Zelte abbrechen dann wieder die einzige Option ist. Und egal, ob man mit vielen Menschen dick befreundet war, aber man vermisst die Menschen“, ergänze ich. Und ihn – ihn würde ich auch vermissen, aber das sage ich nicht.
„Sie können sich noch ein bisschen Zeit nehmen für den Prozess, um sich zu sortieren, um zu überlegen, wie es weiter gehen soll. Aber Sie sollten diesen Stillstand beenden langfristig. Sonst wird das nichts“, ermahnt er.
Seine Enkelkinder kommen am Nachmittag zu Besuch, sagt er. Die kommen gerade aus dem Urlaub und werden sicher viel zu erzählen haben. Ich stelle mir vor, wie die alle am Tisch sitzen. Er, seine Frau, die ich ja auch kenne und zwei kleine Kinder mit ihren Eltern. Auch seine Augen leuchten, wenn er davon spricht. Und ich hoffe so sehr, dass ich irgendwann mal Teil einer solchen Konstellation werden darf.
Du siehst – es ist nicht einfach im Moment. Und ich hoffe, die Zeiten werden irgendwann wieder ruhiger. Im Moment fühlt es sich wirklich so an, als würde die nächste depressive Krise auf mich zurollen. Ich muss Dir nicht sagen, dass es hart ist, das auszuhalten. Einfach weiter zu machen, obwohl man gefühlt nicht mal genug Energie hat, um sich die Zähne zu putzen. Ich kann Dir nicht sagen, wie dankbar ich für den Urlaub bin, der jetzt kommt. Zumindest mal nicht auf der Arbeit performen zu müssen. Im Notfall halt zumindest mit Kakao und Buch auf dem Sofa sitzen zu können. Nicht mehr lernen zu müssen. Einfach mal ein bisschen treiben lassen. Und wenn mir gar nichts einfällt – vielleicht komme ich nochmal in der Studienstadt vorbei? Vielleicht haut Frau Therapeutin auch einen Termin raus dann. Ich meine, mit dem Oberarzt reden ist zwar ganz nett und das hat immer irgendwie ein bisschen Papa – Vibes und irgendein Teil von meinen inneren Kiddies ist dann auch sehr zufrieden, aber mir war selten so klar wie jetzt, dass alles was hier passiert, immer noch Teil von so vielen Dingen ist, die nicht verarbeitet sind. Diese Sehnsucht nach Familie, nach Paarbeziehung, nach Zugehörigkeit ist einfach immer noch so groß, dass ich unendlich viele Kompromisse eingehen würde, um das haben zu dürfen. Zu viele Kompromisse. So Viele, dass ich mich dabei Stück für Stück selbst verliere. Und ab und an blitzt mein altes Ich durch. Und dann genieße ich es kurz und denke mir, ich muss dafür sorgen, öfter Ich selbst zu sein.
Ich hoffe, Du bist okay dort, wo Du jetzt bist. Ich hoffe, Du hast mehr Frieden mit der Situation gefunden, als ich.
Ich versuche noch ein bisschen hier zu bleiben und die Dinge zu rocken.
Jetzt mache ich erstmal noch etwas die Wohnung, gehe spazieren und dann muss ich mich auch nochmal aufs Öhrchen legen vor dem Dienst. Und kochen muss ich noch. Hab dem Freund versprochen, dass ich Essen mitbringe. Die Stunden bis zum Urlaub werden endlich zählbar und ich kann es nicht abwarten, bis es endlich morgen Mittag ist.
Halt die Ohren steif. Ich versuche auch noch bei Dir vorbei zu kommen dieses Jahr. Dann bringe ich wieder eine Kerze mit und stelle mir vor, wie ein paar Tage jeder auf diesem Friedhof weiß, dass Du nicht vergessen bist. Und es auch niemals sein wirst. Ich habe in den letzten Wochen oft die alten Sprachnachrichten abgehört. Wer hätte damals geahnt, dass die mal so wichtig werden? Einfach nochmal Deine Stimme hören. Nochmal die Augen schließen. Und ganz woanders sein.
Ganz viel Liebe
Mondkind

Liebe Mondkind, ich hoffe, das kommt nicht falsch rüber. Wenn dir Beziehung und Familie wichtig sind, lohnt es sich neben der Arbeit – auch wenn’s zeitlich eng ist – bewusst Räume für Begegnungen zu schaffen. Triff dich nicht nur mit Kollegen aus der Medizin, sondern auch mit „ganz normalen“ Menschen: Sportkurs, späte Barrunde, Stammtisch, Meetup – Hauptsache neue Kontakte. So lernst du eher jemanden kennen, der wirklich zu dir passt. An deiner Stelle wäre das gerade meine Priorität – liebevoll gemeint. 💛
AntwortenLöschenHey,
LöschenJa, das habe ich mir auch schon mal gedacht, dass ich irgendein Hobby neben der Arbeit brauche. Ich würde sehr gerne Keyboard lernen und habe mir schonmal überlegt, ob ich mir eine Musikschule suche, aber ich weiß nicht, ob ich zu alt dafür bin. Und außerdem wäre das ja auch wieder eine Einzelveranstaltung. Einen Sportkurs könnte ich mir natürlich auch mal überlegen, da wäre sowieso nicht schlecht mal ein bisschen fitter zu werden, ich hab mal ne Weile Volleyball gespielt und würde das auch gern mal wieder machen. Da muss ich mal schauen, ob es etwas gibt und um wie viel Uhr das so ist. Ich bin da ja schon an sich streng mit um 22 Uhr ins Bett - ich brauche den Schlaf halt einfach echt, aber vielleicht trainieren die so zwischen 19 und 21 Uhr, das ginge...
Mondkind