Vom letzten Nachtdienst und Urlaubsstart
Freitagnacht.
Sollte der letzte Nachtdienst vor dem Urlaub werden.
Was kann schon passieren in einer Nacht an einem Feiertag?
Die Nacht davor hatte ich schon schlecht geschlafen und überhaupt waren diese verschiedenen Dienste in dieser Woche alle ziemlich viel.
Ich hatte am Abend noch gekocht, dem Kardiochirurgen sein Essen mit auf die Arbeit gebracht und rase gerade in die Notaufnahme, als der Kollege auch schon los legt sich aufzuregen. Auf der Intensivstation liegt ein Patient mit Blutung nach einem Sturz, der ein NOAK nimmt. Nachdem man sich entschieden hatte kein Antidot zu geben, fragen die Kollegen mal nett nach, ob man denn jetzt antikoagulieren dürfte. „Mondkind, das ist eine 180 – Grad – Drehung was die da machen. Innerhalb von zwei Minuten von Antidot zu Antikoagulation – spinnen die? Was soll ich jetzt ins Journal schreiben?“ Ich helfe ihm einen Journaleintrag zu verfassen, nur damit er mir dann sagt, dass ich noch einen Patienten für ihn punktieren muss.
Die Nacht wird dann tatsächlich eine der wildesten Nächte, die ich je erlebt habe. Wenn das eine Sonntagnacht gewesen wäre, nach der man hätte noch einen ganzen Montag arbeiten müssen – ich hätte mich begraben können, ehrlich. Allein bis morgens um 6 Uhr werde ich acht Patienten aufnehmen. Und da es schon jetzt keine Betten mehr gibt, rufe ich gleich zwei Mal auf unserer Nachbarstation an und frage, ob ich mir ein Bett leihen darf. Und ab morgens um acht Uhr bin ich dabei die Patienten hin und her zu schieben und einige ins andere Haus zu verlegen, damit ich die Außenlieger von den Stationen einsammeln kann. Fühlt sich bisschen an wie Patienten – Tetris. Mir ist es immer wichtig mich an mein Wort zu halten und die Patienten wirklich nach der Nacht zeitnah von den fremden Stationen zu holen. Ich erwarte das von den Kollegen schließlich auch.
Den Vogel schießt dann aber ein Kollege aus der Neurochirurgie ab. Mitten in der Nacht wurde ein Patient gebracht, der einen Schlag auf den Rücken bekommen hatte und in der Folge eine Paraparese im Sinn eines Querschnitts entwickelt hat. Da der unfallchirurgisch gemeldet wurde, ein Notarzt dabei war der auch Neurologe ist und ich alle Hände voll zu tun hatte, habe ich das erstmal nicht weiter mitbekommen. Bis mich dann der Neurochirurg ansprach. „Mondkind, da ist ein Patient im Schockraum, der hat jetzt einen Querschnitt – wir machen jetzt mal ein MRT der LWS…“ „Ihr macht bitte was…?“, habe ich völlig entgeistert gefragt. Für den Kollegen war das klar – die Prellmarke war auf Höhe der LWS – also MRT der LWS. „Ist der Patient schon im MRT?“, frage ich. „Ja, gerade hingefahren“, bestätigt der Kollege, der offenbar den Radiologen angerufen hatte, ohne mir mal einen Piep zu sagen. Gerade als ich ins MRT renne, ruft mich mein Lieblingsradiologe an. „Mondkind, wir haben hier so einen Patienten – ich weiß nicht, ob Du von dem gehört hast – dem soll ich ein MRT der LWS machen. Ich wollte Dich auch mal fragen, ob das so richtig ist…“ „Nein, nein warte kurz – ich bin unterwegs zu Dir…“, entgegne ich und renne zu ihm. Ich untersuche ihn. Kompletter Querschnitt ab Th 10. „Wir brauchen die BWS“, sage ich. „Frakturen haben die doch in der Traumaspirale ausgeschlossen – es geht um das Myelon. Vielleicht hat er eine Blutung oder was weiß ich…“
Ehrlich gesagt – das Leben könnte schlimmer sein, als nachts um drei mit dem Lieblingsradiologen gespannt vor dem Monitor zu sitzen und auf die Bilder zu warten.
Um kurz vor 10 Uhr kommt dann natürlich der obligatorische Notfallpatient und von daher mache ich noch zwei Überstunden, bis alles geklärt und dokumentiert ist.
Danach bin ich aber auch mehr als durch. Obwohl ich sagen muss, dass die Nacht Spaß gemacht hat. In dem Wissen, dass ich am nächsten Morgen nach Hause gehen und schlafen kann, war ich zu keinem Zeitpunkt größer gestresst oder genervt. Ich mag solche Dienste – das ist einfach nach wie vor so.
Ich dusche ein Mal schnell zu Hause und fahre dann zum Kardiochirurgen. Der hatte auch Nachtdienst und dementsprechend legen wir uns um 13 Uhr hin und schlafen erstmal bis 19 Uhr.
Der Abend ist dann recht ruhig. Ich bin weiterhin müde und es gibt irgendwie viel Theater ums Essen. Er sagt, dass er keine Lust zu kochen ist und ob wir Pizza bestellen wollen. Ich zeige mich damit einverstanden, aber irgendwie scheint es da noch Unklarheiten zu geben. „Wir müssen uns jetzt nochmal etwas mit Essen einfallen lassen,“ sagt er eine halbe Stunde später nochmal. „Was willst Du denn?“. „Ich dachte das wäre klar“, entgegne ich. „Du hast gesagt Du willst nicht kochen und ich habe gesagt, Pizza bestellen ist okay“, erläutere ich nochmal. „Naja, Du könntest auch kochen“, sagt er irgendwann. Ich hasse es in seiner Küche zu kochen. Ich weiß doch nicht, welche Lebensmittel wofür eingekauft wurden, ob ich die verbrauchen darf und so weiter. „Was willst Du denn jetzt?“, fragt er nochmal. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich sagen soll. Meine Antennen sind verwirrt und überfordert. Kochen will er nicht, Pizza scheint auch nicht zu passen und ich will eigentlich nicht bei ihm kochen. Und überhaupt bin ich eigentlich einfach nur müde und wäre auch mit einem Brot zufrieden. (Okay, Pizza ist auch etwas ähnliches wie Brot mit Belag).
Es ist tatsächlich einer der ersten Abende, in denen ich mir überlege, dass ich lieber mit meinem Buch zu Hause sitzen würde und meine Ruhe hätte. Seltsames Erleben. Jetzt, wo Ruhe rein kommt, wo wir ab genau jetzt Urlaub haben, möchte ich lieber alleine sein.
Vielleicht liegt es auch daran, dass ich keine Ahnung habe, wie es weiter gehen soll. Urlaub ist überhaupt nicht geplant und es fühlt sich auch noch nicht wie Urlaub an. Und trotzdem habe ich extra alles fertig gemacht, weil ich irgendwie dachte, wir fahren dann flott los. Die Sommerklamotten sind nochmal gewaschen, Möhrchen hat Winterschuhe und ich war beim Friseur, zudem sieht die Wohnung einigermaßen okay aus. Alles was ich vor dem Urlaub noch erledigen wollte, ist erledigt, habe ich irgendwie noch in diese letzte Woche rein gequetscht, die schon an sich irgendwie schwierig war mit den Arbeitszeiten, aber die erhoffte Auszeit gibt es erstmal nicht.
Den Abend verbringen wir mit Pizza essen und einem zwei – Stunden – Film gucken, der eine ziemlich komplizierte Handlung hat und den ich nur zur Hälfte verstehe, weil ich zwischendurch auch bestimmt zwei Mal eingeschlafen bin.
Danach geht wieder das Licht aus und ich schlafe erstmal bis morgens um acht Uhr. Der Kardiochirurg wartet glaube ich nur darauf, dass ich wach werde und hüpft direkt hoch. Ich könnte die Krise kriegen. Ich bin einfach so müde. Wahrscheinlich bin ich dann aber direkt schon wieder eingeschlafen. Er räumt sein Arbeitszimmer auf und ich schaue das nächste Mal um 11 Uhr aus der Wäsche. Eigentlich fühle ich mich immer noch müde, aber ich zwinge mich dazu aufzustehen. Mit Ausnahme einer kurzen Pause am Abend liege ich seit 22 Stunden im Bett.
Nach einem Kaffee geht es dann auch irgendwann.
Nach dem Frühstück fahre ich erstmal heim. Beseitige ein paar Chaos – Ecken in der Wohnung und mache den Wintergarten winterfest. Die Tomaten und die Gurken werden zusammen mit einer Palme zum Grünabfall gefahren und einen Teil der Bewässerungsanlage säubere ich auch schon mal. Und dann ist auch schon schnell wieder Abend. Und ich würde immer noch lieber mit einem Buch und einem Kakao unter meiner Wolldecke auf dem Sofa liegen.
Ich bin echt gespannt, wie die nächsten zwei Wochen hier so laufen werden.
Ich hoffe, ich fühle mich hinterher zumindest minimal erholter.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay

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