Von einem Konzertwochenende
Und dann stehen wir da.
In der dritten Reihe vor der Bühne.
Der Freund hinter mir, die Arme um mich herum geschlungen.
Meine Schwester neben mir und ihr Freund auch hinter ihr.
Und für den Moment ist alles gut. Mein Kopf und mein Körper sind beschäftigt mit dem Abend, durch den Florian Künstler uns führt. Die Bässe bestimmen den Herzschlag, die gesungenen Songs die Stimmung. Da ist kaum noch Platz für eigene Gedankenschleifen. Einfach mitreißen lassen, singen, tanzen und fühlen.
Es kommt immer mal wieder die eigene Biographie von ihm durch.
Wenn er nachfragt, ob es Pflegeeltern im Publikum gibt. Wenn er „Tausende Mehr“ anmoderiert und die Geschichte erzählt, wie seine Rettungssanitäter – Kollegen ihn mit einer Panikattacke zu Hause im Wohnzimmer aufgesammelt haben und er eigentlich keine Ahnung hatte, was mit ihm passiert. Wenn er davon spricht, dass die Dinge temporär sind, dass ihm das geholfen habe, dieses Vertrauen in die Aussage seiner Behandler, dass es besser wird und dass es ein Danach gibt.
Dieser Mann fühlt, was er da macht. Bringt so viele Themen an einem Abend in den Raum, für die sonst kaum Platz ist. Es geht um Dankbarkeit für die kleinen, großen Dinge, von denen die meisten zwischenmenschlich sind. Er singt einen Song auf die Menschen, die uns am nächsten stehen, und im nächsten gibt er einen Raum für die Menschen, die wir nur noch im Herzen tragen, aber in Gedanken waren es bei diesem Lied sicher so viele mehr im Raum. Er singt über die dunkelsten Ecken in der Seele, für all die Menschen, die ihre Kämpfe im Stillen kämpfen, für die Menschen, die nicht aufgeben sollen. Und dann geht es um Verbindung, um Liebe, um den Menschen, den man auch noch an der Seite haben möchte, wenn man alt und grau ist. Und am Ende darf nie „Vergiss die guten Tage nicht“ fehlen und Tage mit Konzerten sind immer gute Tage.
Und wenn nichts mehr geht, dann kann die Musik immer noch Emotionen hervorrufen. Musik war immer mein Anker, meine Rettung in Zeiten, in denen ich selbst nicht mehr wusste, was ich fühle. Und ob ich noch etwas fühle. Musik konnte immer noch eine Resonanz auslösen, wenn da sonst nichts mehr war. Und vielleicht kam das Konzert deshalb genau richtig.
Es löst etwas. Bringt etwas in Bewegung. Manchmal Stunden, manchmal Tage danach. Und man spürt so zwischendurch wenigstens, dass man noch lebt.
Danach stocke ich meine kleine Sammlung mit einer Tasse beim Merch auf und dann warten wir in einer Ecke auf die Autogrammstunde. Da haben wir gerade in der richtigen Ecke gewartet, denn als er auftaucht, steht er quasi neben uns, also stehen meine Schwester und ich auch früh in der Schlange. Und wenn man dann mit „Dich kenne ich“ begrüßt wird, dann schlägt das Fanherz höher. Er fragt, ob er auf meinem T – shirt unterschreiben soll. „Meinst Du das geht wieder raus? Ist der Stift wasserfest?“, frage ich, als er seinen Edding zückt, der sonst für Autogrammkarten gedacht ist. „Hier steht permanent drauf. Also 50 Wäschen hält es vielleicht“, meint er. Na wenn ein Mann das sagt… ;) Und schon fühle ich seinen Arm auf meinem Rücken und die Stiftspitze knapp unterhalb meines Nackens. Also ehrlich gesagt – keine Ahnung, wie ich das wasche… aber egal.
Danach gibt es noch ein bisschen Smalltalk – wir berichten, dass wir uns heute für das Konzert zusammen gefunden haben; meine Schwester aus dem Norden, ich aus dem Süden und dass wir natürlich wieder kommen.
Und dann fahre ich die ganze Meute in meinem kleinen Möhrchen wieder zurück nach Hause. Und während auf der Rückbank und auf dem Beifahrersitz schon geschlafen wird, bin ich fitter als ich dachte. Solche Konzerte hallen wohl wach. Machen so viel Ohrwurm, dass ich in Gedanken so viel mitsinge, dass ich gar nicht müde werden kann, obwohl es im Auto ganz still ist.
Florian Künstler ist für mich ein großes Vorbild. Und ehrlich gesagt ist genau so etwas für mich der Grund, warum ich Psychosomatik machen möchte. Ich habe letztens ein Interview gehört, in dem eine ziemlich renommierte Therapeutin meinte: „Die meisten, die diesen Job machen, haben in der eigenen Biographie schon ihre schwierigen Erfahrungen gemacht.“ Das hat mich beruhigt. Und ehrlich gesagt – irgendwie musst Du ja auf den Trichter kommen, Beziehungen und Beziehungsdynamiken zu hinterfragen, anfangen zu überlegen, warum Menschen sind wie sie eben sind und was sie dahin gebracht hat. Wahrscheinlich macht man das einfacher weniger, wenn Beziehungen zu gestalten nicht so super kompliziert und konflikthaft ist. Aber wie dem auch sei: Mir ist bewusst, dass ich wahrscheinlich immer noch nicht über den Berg bin und noch viel aufzuarbeiten habe (siehe aktuelle Situation… ;) ) und gleichzeitig bin ich so unglaublich dankbar für die professionelle Begleitung, die ich hatte. Und das sagt Florian Künstler ja am Ende des Tages auch. Er wollte immer Musik machen, es ist sicher seine Art eine Menge zu verarbeiten und gleichzeitig macht er damit halt auch gleichzeitig etwas ganz Wichtiges: Er holt Menschen ab, er schafft Verständnis, Verbindung und holt diese Themen damit auch aus einem Versteck heraus und kann sicher auch ganz vielen Menschen Mut machen. Und am Ende des Tages ist er dabei seine Biographie aufzuarbeiten, einen Job zu machen, der ihm gefällt und gleichzeitig die Vergangenheit aktiv in die Gegenwart zu integrieren und ihr einen Sinn zu geben. Und ich kann das sicher nicht im Rahmen von Musik machen, aber eben mit anderen Dingen, die ich auf dem Weg gestalten kann, auf dem ich jetzt bin.
P.S.: Nach dem Konzert mit einem kleinen Kommentar in seinen Intragram – Status zu landen, ist schon auch eine sehr coole Sache…
***
Und doch bleibt eben alles übrig. Auch, wenn es so, so gut tut, mal für einen Abend woanders zu sein.
Den Kardiochirurgen hatte ich am Tag vorher schon nach Plänen für Dezember, und insbesondere auch Weihnachten und Silvester gefragt, wo dann nur kam „Da fällt mir jetzt erstmal nichts dazu ein“ kam. Auf die Frage hin, ob, wie und wann er am Konzerttag zur Gruppe dazu stoßen möchte kam ein „Erstmal den Dienst überleben“, von dem ich natürlich erstmal wieder gar nicht wusste, dass es ihn gab und auf mein „Kommt von Dir eigentlich auch mal eine vernünftige Antwort?“, durfte ich mir erstmal einen Ausraster anhören. (Okay, das ist schon mehr als er meistens sagt, hat aber tatsächlich auch nicht zur Klärung beigetragen).
So nebenbei hat er dann mal erwähnt, dass er am Donnerstag nach seinem Dienst nochmal an die Klinik muss und auf meine Nachfrage, was er denn da machen muss kam, dass es um die Verteilung der Nachtdienstwochen und damit auch um die Frei – nach – Nachtdienstwochen geht; also der halbe Urlaubsplan. Und – wenn das wirklich stimmt, dass die keinen regulären Urlaubsplan haben, dann um den ganzen Urlaubsplan. „Dann sollten wir darüber vielleicht vorher sprechen“, habe ich gesagt. „Dieses Jahr hat es doch auch ohne Absprache geklappt“, hat er entgegnet.
Man erwartet nichts anderes mehr und ich kenne das mittlerweile. Selbst, dass ich 15 Minuten vorher nicht wusste, ob er mitkommt oder nicht, war dann irgendwie okay für mich. Ich würde den Abend genießen, habe ich mir vorgenommen.
Und dennoch werfen genau solche Abende, in denen ich mich so sehr abgeholt fühle, so viele Fragen auf. Ich denke oft darüber nach, ob das hier gerade nicht die Endstrecke eines Weges ist, auf dem ich schon vor Jahren falsch abgebogen bin. Jeder Erfolg war gleichzeitig ein Misserfolg, weil er mich immer wieder weg gebracht hat von dem, was ich eigentlich machen wollte. Und jetzt bin ich eben in einer Bubble, in der Psychosomatik ganz knapp neben absoluter Faulheit kommt. Weder meine Schwester noch mein Freund verstehen, was ich da eigentlich mache und ich weiß, sie müssen es nicht, aber ich habe Angst, dass ich mich damit echt ins Off schieße. Es ist so ein Hin und Her gerissen sein zwischen dem Wunsch irgendwie dazu gehören zu wollen und ein Mal auf mich selbst hören zu wollen.
Was Urlaubsplanung angeht, wird das ja sicher auch nicht ganz so einfach, Mitte des Jahres – oder wie immer das dann auch laufen würde –zu wechseln. Ich versuche immer, dass ich so flexibel wie möglich bleibe und schieben kann, aber wenn ich dann noch den Urlaub anteilsmäßig verbrauchen muss und der Kardiochirurg sich sicher nicht nach mir richtet – wo soll das enden? Und gleichzeitig – muss ich darauf Rücksicht nehmen, wenn diese Beziehung sowieso hoch instabil ist? Und müsste er da nicht auch mal etwas tun?
Und jedes Mal, wenn ich solchen Menschen gegenüber stehe, von denen ich weiß, wir verstehen uns, dann ist das auf der einen Seite sehr schön und tut auf der anderen Seite unglaublich weh. Weil ich so etwas sehr gern wieder ein meinem Alltag hätte. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in meinem aktuellen Umfeld der Mensch sein kann, der ich gern sein würde. Und das fehlt mir. Ich fehle mir.
Und manchmal glaube ich, es geht eben auch nicht mehr. Hier. In diesem Umfeld. In dem jeder für die Arbeit zu leben scheint und ja – ich war heute auch bis 19 Uhr auf der Arbeit – aber ohne dass klar ist, dass wir uns abends zumindest kurz sehen und auch nicht halb komatös und knurrig, wenn es geht, ist das schwierig.
Jetzt muss ich mal gucken, diese Woche. Die Psychosomatik – Oberärztin ist glaube ich wieder da, aber ich lasse sie jetzt einfach mal. Versuche es zumindest. Ich hoffe, sie meldet sich. Ich würde ein Ohr von ihr schon dringend gebrauchen können und gleichzeitig kann ich nicht sagen, wie schlimm es ist, ohne einen wirklich bedürftigen Eindruck zu machen und quasi zu beweisen, dass ich weder mein Hirn noch meine Emotionsregulation unter Kontrolle habe. Das ist immer ein bisschen merkwürdig mit ihr. Meistens versuche ich zu vermitteln „eigentlich habe ich ja alles im Griff, da gibt es nur eine winzige Kleinigkeit, über die ich gern mal kurz sprechen würde.“, obwohl das natürlich nicht der Realität entspricht. Ich frag mich manchmal, ob sie spürt, dass ich eigentlich viel weniger im Griff habe…
Mondkind

Kommentare
Kommentar veröffentlichen