Merry Christmas, Happy Holidays
24. Dezember, Heiligabend.
Der Wecker klingelt schon halb 7.
Es fühlt sich an wie eine sehr merkwürdige Dissonanz an diesem Morgen. Das ganze Land wartet auf Weihnachten, aber für mich ist es ein Dienst – Tag wie jeder andere.
Ich schwinge die Füße aus dem Bett, hüpfe unter die Dusche, zum Frühstück gibt es – wie immer Kaffee und Banane – und dann packe ich noch meine Übernachtungssachen zusammen, weil ich plane beim Kardiochirurgen zu schlafen heute.
Um 10 Uhr sitze ich auf der Arbeit, höre mir die Übergabe an und dann gehört die Notaufnahme mir.
Der Tag verläuft ziemlich genau so, wie ich mir das gedacht habe. Natürlich merkt man, dass dieser Tag „anders“ ist; es liegt eine eigenartige Stimmung auf den Fluren. Die Patienten in der Notaufnahme wollen zwar nicht bleiben, sind aber – zumindest diejenigen, die mir heute begegnen – alle ein bisschen dankbarer. Das Patientenaufkommen ist moderat. Ich bin schon beschäftigt, aber wirklich stressig ist es nicht.
„Schöne Weihnachten Ihnen – trotz dessen, dass Sie arbeiten“, sagt ein Patient, als ich ihm seinen Brief überreiche; er darf wieder nach Hause. „Es ist ja auch irgendwann vorbei und dann habe ich auch Weihnachten“, sage ich mit einem Lächeln.
Die Pflege ist ein bisschen irritiert über meine Anwesenheit. „Mondkind – gibt es bei Euch in der Abteilung denn niemanden, der am Heiligabend arbeiten kann? Es feiern doch gar nicht alle Weihnachten bei Euch. Dann hätte man doch jemanden auswählen können, der nicht feiert.“ „Es ist schon okay“, höre ich mich sagen. Ich will nicht sagen, dass das Absicht war und damit schon wieder zugeben, dass ich einfach keinen Ort gehabt hätte, an dem ich sonst hätte bleiben können. Und es tut mir gut, heute da zu sein. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass sich irgendjemand Gedanken macht, weil ich arbeiten muss. Ich bin heute gern für die Patienten da und ich habe heute gern ein paar Menschen um mich herum. Und wie ich schon letztes Jahr sagte: Es sind nicht immer die Menschen, die arm dran sind, weil sie arbeiten müssen. Ab morgen erst wird das ein Problem für mich – nämlich dann, wenn ich eigentlich frei habe und Weihnachten feiern kann.
Und dennoch erinnere ich mich im Verlauf des Tages ein wenig an die kleine Mondkind. Die Mondkind, die am 24.12 immer mit ihrer Kamera herum gelaufen ist und von allen Uhren Fotos gemacht hat. Mehrfach am Tag. Als wollte sie die Zeit anhalten, diesen Tag für immer festhalten, die Magie von Weihnachten nicht loslassen. Was hätte die Mondkind von damals gesagt, wenn sie gewusst hätte, dass die erwachsene Mondkind in vielen Jahren auf der Arbeit statt unter dem Weihnachtsbaum sitzen wird, weil sie das sonst nicht aushält? Wenn Weihnachten ein merkwürdiger Zustand zwischen „Lass die Tage bitte schnell vorbei sein, weil ich sie nicht ertrage“ und „ich wünsche mir so sehr wieder mal ein richtiges Weihnachten“ sind.
Es fängt eigentlich erst das erste Mal an kurz weh zu tun, als der Kardiochirurg und ich sich an diesem Abend für eine halbe Umarmung auf dem Flur treffen. Er ist um 20 Uhr fertig, aber wenn er morgen erst um 20 Uhr auf der Weihnachtsfeier auftaucht, ist das vier Stunden nachdem sie angefangen hat und sicher kurz bevor sie dann auch schon wieder vorbei ist und sehr sicher kurz vor einer inneren Explosion meinerseits.
Es erinnert mich schlagartig daran, dass wir eben doch in den drei Jahren in denen wir uns kennen, nicht ein Mal Weihnachten zusammen verbracht haben. Keinen einzigen 24.12 saßen wir gemütlich gemeinsam unter dem Weihnachtsbaum, haben Kakao getrunken und Weihnachtslieder gehört, ohne die Zeit im Nacken zu haben. Und kein einziges Jahr war er pünktlich auf der Weihnachtsfeier von meiner Schwester und ihrem Freund, obwohl er weiß, wie wichtig mir das ist.
Und ich weiß, dass es mir morgen Abend schlecht damit gehen wird. Ich bin überall immer damit beschäftigt ihn zu entschuldigen und meistens wird er dann noch bedauert dafür, dass er wieder irgendwo herum strolcht, aber niemand denkt daran wie schwer es ist, an diesen Tagen alleine zu sein und dass Einsamkeit nie so schlimm ist, wie an diesen drei Tagen des Jahres.
„Wir glauben immer, wir haben noch so viel Zeit
Doch manchmal geht sie viel zu schnell vorbei
Wär' das uns're letzte Weihnacht
Hoff' ich, dass du 'n bisschen Zeit hast“
Das singt Gregor Hägele in „letzte Weihnacht“. Und manchmal in den letzten Tagen habe ich darüber nachgedacht. Wir wissen es nie. Ich hab auch nicht gedacht, dass der verstorbene Freund und ich dann also unser letztes Weihnachten hatten. Dass es kein Nächstes gibt. Und vielleicht heißt das ja nicht unbedingt, dass jemand stirbt, aber selbst wenn wir uns trennen bis nächstes Jahr – und das ist jetzt nicht unwahrscheinlich – dann werden wir im Herzen nie die Erinnerung eines gemeinsamen Weihnachten tragen. Für ihn ist das vielleicht nicht schlimm. Für mich aber schon. Denn es ist wie mit so vielen Dingen in dieser Beziehung: Man hat viel drauf gewartet, aber am Ende wird es die halt nie gegeben haben. Ich kann so oft sagen, was mir wichtig ist und werde einfach nicht gehört damit.
Sehr spät am Abend darf ich den Dienstfunk abgeben, packe meine Sachen und düse zum Kardiochirurgen. Tatsächlich hat er – seitdem er zu Hause ist – den Weihnachtsbaum zu Ende geschmückt und schon mal angefangen noch ein kleines Abendessen vorzubereiten. Bei ihm habe es früher zu Weihnachten oft „versteckte Wiener“ gegeben und da das ziemlich einfach zu machen ist, passt es gerade noch so als Abendessen in die halbe Stunde, die wir noch wach sind, bis wir beide todmüde in die Federn fallen.
25. Dezember; 1. Feiertag
Der Wecker klingelt schon wieder um kurz nach sechs. Bis er das zweite Mal geklingelt hat, bin ich schon wieder eingeschlafen. Der Kardiochirurg steht neben mir auf und macht sich fertig.
Nochmal einschlafen kann ich auch nicht mehr als er weg ist, deshalb bin ich ein bisschen am Handy und stehe dann später auch auf.
Da wir am Abend bei meiner Schwester und ihrem Freund sein werden und uns die Essensvorbereitungen diesmal aufteilen, werde ich heute noch ganz gut beschäftigt sein. Nachdem ich selbst geduscht habe, backe ich erstmal die zweite Fuhre unserer Zimtsterne. Ich habe noch gar nicht verraten, dass ein Weihnachtsgeschenk an mich selbst dieses Jahr, ein neuer Laptop war. Der Alte wurde ja schon mit Bluetooth – Tastatur betrieben und war außerdem nach mittlerweile zehn Jahren so langsam, dass er zum Laden einer Seite manchmal zehn Minuten gebraucht hat. Schreiben ging damit noch, Blog hochladen auch – aber viel mehr musste man nicht versuchen, es sei denn man hatte Geduld. Auch am Strom musste er immer sein, weshalb ein Herumtragen durch die Wohnung schon lange Zeit undenkbar war.
Und während ich da so stehe und meine Zimtsterne aussteche, stelle ich fest, dass es wirklich schlimmer sein könnte. Ja, ich bin alleine. Aber ich kann den Laptop auf das andere Ende des Tisches stellen, irgendeine Weihnachtsshow anmachen, habe den Tannenbaum vor der Nase und die Sonne scheint auch noch seitlich durchs Fenster – es fühlt sich fast an, wie irgendeine seltsame Mischung aus Frieden und Weihnachtsgefühl. Es ist besser, als ich es mir vorgestellt hatte und sogar der Kardiochirurg klingelt im Lauf des Morgens ein paar Mal durch und erkundigt sich, wie die Lage ist. Im Anschluss bereite ich noch flott das Dessert für heute Abend vor. Nebenbei ruft eine Kollegin an und wünscht mir frohe Weihnachten. Da wir feststellen, dass ich auch morgen erstmal alleine bin, lädt sie mich morgen Nachmittag spontan zu sich ein. (Und ich werde erleichtert feststellen, dass wir genügen Zutaten haben, um das Dessert nochmal zu machen – dann kann ich wenigstens etwas zum Nachmittagskaffee mitbringen).
Allerdings muss man auch dazu sagen, dass ich dieses Jahr die Weihnachtsfeiertage mal wieder ganz für mich nutzen kann. Ich muss nichts lernen. Ich kann Artikel lesen, wenn ich freie Spitzen und Lust dazu habe – das ist auch schon zwischendurch passiert – aber es gibt keinen Lernplan, der eingehalten werden muss. Ob der Kardiochirurg nun dabei ist oder nicht – ich kann mir die Tage dennoch so schön wie möglich machen und das ist ein riesiger Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr.
Am Mittag düse ich mal kurz in meine Wohnung und hole mein Weihnachtsfeier – Outfit, danach muss ich noch die Kürbissuppe vorbereiten. Ich weiß nicht, wo wir das dieses Jahr alles hinessen sollen. Zur Vorspeiese gibt es Suppe, als Hauptgang einen vegetarischen Weihnachtsbraten und zum Nachtisch haben wir eine Joghurt – Sahne – Früchtecreme gemacht. Daneben bringen wir noch ein paar Lebkuchen von unserem Weihnachtsmarktbesuch mit, die ich gern teilen wollte – die waren teuer, wenn die nicht nach Weihnachten selbst schmecken ;) und der Kardiochirurg wollte, dass wir noch ein paar Plätzchen mitnehmen. Und die anderen haben auch noch selbstgemachte Donauwelle...
Und ehrlich gesagt – im Moment fühlt sich Weihnachten gar nicht so schwierig an, wie die letzten Tage. To be continued...
Mondkind

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