Aktivierung des Helfersystems

Lange nicht mehr gehabt.
Diese Situation.
In der die Psyche immer weiter entgleitet, ich mich selbst nicht mehr stabilisieren kann und ich irgendwann wie automatisiert das Helfersystem versuche anzuschmeißen.
Es ist schon schambehaftet seit der Psychosomatik. Ich sollte mich doch schon selbst regulieren können mittlerweile. Ich weiß doch, wie es geht.

Und dann sage ich aber doch selten, wie schlimm es wirklich ist.
Wie sehr die Seele weh tut, wie sehr es mich zerreißt.
Weil es auch im Jetzt keinen Platz mehr hat.
Und dann verstehen die Leute natürlich nicht, dass ich wirklich ein Ohr brauche.

Der letzte Mensch in der Reihe ist immer die ehemalige Therapeutin in der Studienstadt. Nicht, weil ich meine, dass Telefonate mit ihr nicht unterstützend sein können. Aber weil ich weiß, dass die das dort nicht abrechnen können, wenn ich nicht vor Ort bin und die das eigentlich alle nicht cool finden, es aber trotzdem so machen, wenn ich das dringend brauche.
Der Versuch dort ein Ohr zu finden war dann gestern dran. Und auch dort, habe ich nicht gesagt, wie schlimm es ist. Es sind ja auch keine großen Katastrophen passiert – das muss man ganz klar sagen. Es ist einfach die Dekompensation der seit knapp einem Jahr bestehenden Dauerbelastung. Aber wahrscheinlich reichen zehn Jahre um mich so gut zu kennen, dass sie auch zwischen den Zeilen lesen kann, dass es dringend ist. Sie hat innerhalb von einer halben Stunde zurück geschrieben und einen Termin für Montag angeboten. Obwohl da oft sonst wochenlang nichts geht. Jetzt muss ich nur noch zusehen, wie ich mich am Montagnachmittag von der Station abseile. Ich denke, ich werde es mit dem Oberarzt besprechen, der hat nämlich am Sonntag sowieso Hintergrund bei meinem Dienst. Dann kann ich ihm sagen, dass ich etwas Wichtiges regeln muss und hinterher natürlich meine Arbeit fertig mache. Wenn gerade niemand stirbt auf Station, sollte das eigentlich kein Problem sein.
Ich bin ihr auf jeden Fall sehr dankbar dafür.

Sitzen und auf Frau Therapeutin warten... - ich wäre schon sehr gern mal wieder vor Ort...


Ehrlich gesagt weiß ich einfach gerade nicht, wie das hier weiter gehen soll.

Mit dem Facharzt geht es einfach gar nicht vorwärts. Der Intensiv – Oberarzt war ja sehr optimistisch und meinte, dass ich mich wohl bis Ende des Monats anmelden kann, weil er davon ausgegangen ist, dass es schnell geht mit den Unterschriften. Er ist so ein grenzenloser Optimist, aber das hat natürlich nicht geklappt. Es ist ja weiterhin die Frage, ob ich die Unterschriften von den Reha – Chefärzten überhaupt bekomme.
Und trotzdem habe ich letztes Jahr im Januar mit der Lernerei angefangen, zeitgleich mit meiner Schwester, saß schon letztes Jahr Anfang April in Slowenien mit meinen Büchern und es ist nicht absehbar, wann das mal ein Ende hat. Und es ist nicht nur so, dass ich keine Lust mehr habe. Darunter leidet am Ende des Tages so viel. Ich war seit über einem Jahr nicht mehr in der Studienstadt, ich habe meine Freunde dort nicht gesehen und mittlerweile merkt man schon, dass die Kontakte auch loser werden. Vielleicht wird mich dieser Facharzt einfach wieder ein paar Menschen kosten und eigentlich bin ich nicht dafür bereit, ständig Menschen abzugeben für Karriereschritte.

Zeitgleich bedeutet das aber auch, dass sich mein Rückgang in die Psychosomatik immer weiter verschiebt. Die nehmen das mit dem „auf mich warten“ doch sehr ernst, aber das werden sie nicht die nächsten zwei Jahre tun, bis die Herren der höheren Etagen endlich mal ihre Unterschriften unter mein Zeugnis setzen.
Ich habe also ein bisschen Stress und am Ende des Tages geht es da ja um sehr entscheidende Dinge. Wahrscheinlich wird das nach meinem Auszug von zu Hause einer der größten Absprünge. Weg von dem was die Eltern für mich gewollt haben in einen völlig anderen Job – obwohl ich immer noch Ärztin bin, aber das nur noch marginal mache. Wenn ich das mache mit der Psychosomatik, dann auch mit Psychotherapeutenausbildung und dann mache ich in zehn Jahren hoffentlich nur noch Psychotherapie. Das war der Traum lange vor allem anderen.
Ich kann mich manchmal an unseren Pädagogik – Leistungskurs erinnern. Auch, wenn es da völlig andere Motivationen gab war das eines der wenigen Dinge, bei denen am Ende zumindest dasselbe Ergebnis raus kam. Meine Mutter wollte einen „leichten“ Leistungskurs, mit dem man hoffentlich unkompliziert 15 Punkte bekommt, um den Schnitt für das Medizinstudium hoch zu treiben. Ich wollte diesen Kurs, weil wir neben den Entwicklungstheorien von Piaget und Hurrelmann, die zugegebenermaßen sehr langweilig waren, auch Psychologie hatten und ich ja eigentlich Psychologie studieren wollte.

Natürlich frage ich mich aber auch weiterhin, ob das der richtige Weg für mich ist, nach allem was war. Es ist bald März und das bedeutet, dass sich die letzten Monate des verstorbenen Freundes zum fünften Mal wiederholen. Es ist, als würde man all das nochmal erleben, weiß wie der Ausgang sein wird und ist nur noch stiller Zuschauer der Katastrophen, ohne die Weichen bewegen zu können. Ich hasse diese Zeit, ich hasse es, dass mich das immer noch so beschäftigt.

Und dann natürlich der jetzige Freund.
Auch, wenn ich mir jetzt erstmal vorgenommen habe still zu akzeptieren und nicht ständig so auszurasten und wütend zu werden – aber ist das wirklich ein Konzept für die Zukunft? Wir werden uns am Ende dieses Monats nur gesehen haben, um vielleicht noch kurz gemeinsam etwas zu essen und nebeneinander ins Bett zu fallen. Aber dann auch eingeschlafen sein, ohne dass der eine sich im anderen einrollen konnte. (Kuscheln sieht meist so aus, dass ich mich einfach an ihn dran schmiege und selbst das kann er insgesamt eher selten akzeptieren, aber man muss mal nicht glauben, dass da etwas zurück kommt). Ist das wirklich Beziehung, oder ist das nur ein bisschen Nestwärme beim Einschlafen? Es ist Ende Februar und außer einen gemeinsamen Spaziergang an einem Wochenende haben wir dieses Jahr noch nichts gemeinsam unternommen. Wir haben nicht mal morgens gemeinsam ausgeschlafen, sind langsam nebeneinander wach geworden, wenn das Licht schon die Nase kitzelt.
Das ist, als hätte man einen Teil des Lebens auf 20 – fache Verlangsamung gestellt. Was für eine Akrobatikübung es ist, zumindest mal ein gemeinsames Frühstück zu planen und am Ende taucht der Herr dann doch nicht auf. Spontan ins Café zu gehen ist völlig undenkbar.
„Ihr führt halt eine typische Ärztebeziehung“, kommentierte letztens mal wer.
Vielleicht. Aber will ich das? Möchte ich nicht eine Partnerschaft führen, die mehr als einfach nur existiert?

Ich glaube, ich muss mir über viele Fragen klar werden, viele Weichen für mich stellen, Entscheidungen treffen, Kompromisse finden und dann Wege gehen. Es wird wahrscheinlich nicht funktionieren, dass ich hier mit einem Facharzt zeitnah den Absprung schaffe. Entweder zeitnah oder Facharzt, aber nicht beides. Und wahrscheinlich werden der jetzige Freund und ich auch kein harmonisches Familienleben führen können. Entweder Familienleben oder der jetzige Freund. Aber nicht beides.

Mondkind


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Viertes Fach und ein paar Lerntipps

Über Absprachen