An der Untergrenze
„Er ist verstorben bei der Intervention…“
„Was…? Ich komme.“ Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so ein Gefühl hatte. So eine aufsteigende Unruhe, das in einem merkwürdig zittrigen Gefühl endet und von einer Lähmung, die vom Kopf ausgeht erschlagen wird.
Ich renne zum Arztzimmer, in dem schon mein Oberarzt sitzt und den Kopf in den Händen vergraben hat, hat Telefon in der Hand.
Es war ein einfacher ACI – Stent. Wir haben schon mehr Akrobatik betrieben. Oder eher gesagt, unsere Neuroradiologen.
Und obwohl es eine Komplikation ist, die im Rahmen einer solchen Intervention auftreten kann und über die die Patienten auch aufgeklärt sind, fühlt es sich ziemlich scheiße an, im Team aktiv am Tod der Patientin beteiligt zu sein.
Ich habe ihn aufgenommen. Sechs Stunden vorher ist er auf beiden Beinen in diese Klinik gelaufen.
Es ist das Ende einer Woche, das ich nicht mehr gebaucht hätte.
„Geh nach Hause Mondkind“, sagt mein Oberarzt um 18:30 Uhr. Ist egal, dass die Briefe nicht geschrieben sind. Das machen wir Montag irgendwie.“
***
Die ganze Woche über habe ich immer wieder versucht ein Ohr zu generieren.
In der Hoffnung, dass es vielleicht auch hilft, wenn man teilweise über Randthemen redet. Gelungen ist mir das nicht.
Der Chef ist mittlerweile der Meinung, dass es ja auch kein Problem wäre, dass ich die Stroke Unit alleine mache. Also mache ich das irgendwie. Montag und Dienstag ist es eine absolute Katastrophe; irgendwann fängt man dann an, die Patienten und deren Fallstricke zu kennen. Gegen Ende der Woche lief es dann ganz gut. Allerdings muss man bedenken, dass es da eben auch noch die Problematik des Facharztes und mit dem Freund gibt.
Im Prinzip sind die Tage zu einem Durchhalten mutiert. Man hält durch, bis die Lage besser wird, aber ehrlicherweise hat niemand eine Ahnung, wann das sein wird.
Mitten im größten Chaos habe ich dann meine Psychosomatik – Oberärztin in der Leitung.
„Ich mache mir Sorgen um Sie.“
„Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Es ist etwas stressig, aber ich komme zurecht.“
„Ich habe dienst nächste Woche Frau Mondkind. Wir können es ja mal versuchen, ob es abends klappt, dass wir uns mal sprechen.“
„Ja, gern – würde mich freuen.“
Ich habe keine Ahnung, was ich ihr erzählen werde. Manchmal würde ich gern an einer Stelle ehrlich sein können. Zugeben dürfen, dass mir das alles über den Kopf wächst. Dass es unmöglich ist, 12 Stunden am Tag zu arbeiten, heim zu kommen, das nächste Problem mit dem Freund zu haben, nebenbei irgendwie noch zu versuchen Neuro – Wissen in die Birne zu bekommen und jede Nacht mit unter sechs Stunden Schlaf raus zu kommen. Mein Körper macht das nicht mehr mit.“ Und dennoch bezweifle ich, dass sie die richtige Adresse ist, um das so zu sagen. Nicht, weil sie nicht nett wäre. Aber weil sie in der Zukunft wieder meine Oberärztin wird.
***
Freitagabend.
Ich habe mich beeilt diese Woche. Der Kardiochirurg hat das Wochenende frei und wir könnten mal etwas machen – nur leider ist am Samstag bis 15 Uhr Fortbildung. Also war ich am Donnerstag nach der Arbeit noch ganz fix einkaufen und habe Freitag noch schnell die Wäsche gemacht, ehe ich dann ziemlich erschöpft bei ihm um 21 Uhr am Freitagabend auf der Türschwelle stand.
Und mir gleich zur Begrüßung anhören durfte, dass er heute einen Rufdienst für morgen übernommen hat.
Ich frage mich wirklich, ob er irgendetwas verstanden hat von dem, das wir im Lauf dieser Woche besprochen haben. Ich dachte immer, da kommt mal etwas an in der Birne. Es ging gerade darum, dass wir uns besser absprechen müssen, dass ich vorher wissen möchte, wann der Dienst hat und dann kommt genau dasselbe schon wenige Tage später.
Wahrscheinlich hätte ich alles sehr entspannt am Samstag nach der Fortbildung erledigen können.
Mondkind

Kommentare
Kommentar veröffentlichen