Über eine abendliche Eskalation

Eigentlich schien gestern Abend alles klar zu sein.
Der Kardiochirurg hatte geschrieben, dass die OPs fertig sind und er jetzt nach Hause geht.
Ich wollte noch kurz etwas über Autoimmunenzephalitiden nachlesen, weil mir da in der Fortbildung ein paar Fragen aufgekommen sind, dann flott duschen, meine Sachen packen und rüber zum Kardiochirurgen fahren in der Hoffnung, dass die Nacht ruhig wird.

Das habe ich ihm auch so geschrieben, was er auch gelesen hat. Bevor ich unter die Dusche gehüpft bin, habe ich ihn nochmal gefragt, was er eigentlich macht. Keine Reaktion. Eigentlich sollte er sein Handy im Rufdienst zwar auf laut und in der Nähe haben, aber vielleicht hat er es gelesen ohne es angeklickt zu haben.
Kurz habe ich mir überlegt einfach los zu fahren und bei ihm vor der Tür zu stehen, er wird ja wohl zu Hause sein, aber dann dachte ich mir, ich rufe ihn doch nochmal an. Zwar wird er dann sicher einen halben Herzinfarkt bekommen weil er denkt, es ist die Klinik, aber da hat er Pech.
Dummerweise ist dann aber direkt die Mailbox dran gegangen, was bedeutet, dass er keinen Empfang hat und damit in der Klinik ist.

Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.
Es ist ziemlich genau sechs Tage her, dass wir ungefähr dieselbe Situation hatten.
So ziemlich die ganze letzte Woche haben wir damit verbracht täglich abends über unser Kommunikationsverhalten zu reden und ich habe dann schon immer den Eindruck, da kommt etwas an in seiner Birne, aber dann geht es zwei Tage später wieder genauso weiter.
Es geht nicht um die Arbeitszeiten. Also doch schon, aber mir ist bewusst, dass wir daran nichts ändern werden. Es geht darum, wie man Dinge kommuniziert. Zum Einen kam dieser Rufdienst wieder einfach so aus dem off. Er behauptet, er habe bis Freitagnachmittag selbst davon nichts gewusst, was ich jetzt mal nicht so richtig glaube, aber selbst wenn hätte er es sagen können, sobald er es gewusst hat. Dann hätte ich Wohnungsputz (zumindest den Teil, den ich noch gemacht hatte) und Wäsche auf Samstag schieben können, weil ohnehin klar gewesen wäre, dass wir uns Samstag nicht sehen werden und hätte Freitag 1,5 Stunden eher los gekonnt. Außerdem waren am Wochenende mal wieder die Visitendienste nicht besetzt und ich habe mich zurück gehalten, weil ich wusste, dass es unser einziges freies Wochenende weit und breit ist. Die Besprechung der Visitendienste war um 19 Uhr. Hätte ich das gewusst, hätte ich  den Sonntagsdienst schon machen können.
Und dann hatten wir es glaube ich auch noch nicht, dass er einfach so im Rufdienst, ohne etwas zu sagen wieder auf der Arbeit verschwindet, wenn wir uns eigentlich verabredet haben. Natürlich kann in solchen Rufdiensten immer etwas dazwischen kommen. Es kam auch schon vor, dass er auf dem Weg zu mir war und wieder umdrehen musste. Aber dann hätte ich das gern gewusst.

Ich glaube seine Strategie ist jetzt einfach jede Form von Kommunikation zu vermeiden, aber das wird bloß noch mehr Öl ins Feuer gießen. Das sieht er nur nicht.

Jedenfalls ist das gestern Abend natürlich wieder komplett eskaliert und wir haben uns dann auch nicht mehr gesehen, obwohl er gegen 23 Uhr zu Hause war. 


Ich erinnere mich an letzte Woche und daran, dass ich in meinen vier Wänden eigentlich ganz okay mit dem Thema Beziehungspause war. Aber sobald wir uns wieder gesehen haben, war das okay damit sein, auch wieder hinfällig.
Und heute sitze ich wieder hier. Und denke über dasselbe nach.
Ich glaube, ich werde ihm das noch hundert Mal versuchen können zu erklären. Er versteht das einfach nicht, oder will es nicht verstehen. Es ist, als würden wir zwei komplett verschiedene Sprachen sprechen. Er fühlt sich dann angegriffen und denkt, ich würde seinem Job die Schuld für unsere Beziehungsproblematik geben. Da muss ich immer an den Intensivoberarzt denken, der mir mal gesagt hat: „Frau Mondkind, ich hatte auch 80 – Stunden – Wochen und war dabei verheiratet. Es gab wenig Zeit, es gab viele Nächte, in denen ich nicht zu Hause war, aber das ist alles eine Frage von Kommunikation und Organisation. Wir hatten trotzdem Paarzeit.“ Und das ist der Punkt, den er nicht versteht. Man muss dann halt überlegen, dass man Treffen mit Freunden oder – in seinem Fall – Familie auf Zeiten verschiebt, in denen der andere arbeitet, vielleicht muss man mit manchen Dingen auch etwas zurück stecken, weil der Tag nun mal nur 24 Stunden hat, aber wenn man will, dann glaube ich auch, dass es geht. Er will eben nur nicht. Dieses Argument von „Keine Zeit“ heißt eigentlich nur: „Ich will Dir gerade keine Priorität einräumen.“ Es ist eben gesellschaftlich komplett akzeptiert. Es vermittelt ja auch noch: „Schau mal, ich bin so geschäftig, das musst Du einsehen,  schraub mal bitte Deine Anforderungen etwas zurück“, und lenkt damit das Bedürfnis wieder zurück auf den Kopf des Fragenden. Jeder benutzt „keine Zeit“ als Ausrede und macht sich keine Gedanken darüber, was das eigentlich heißt. In seinem Fall heißt es eben: „Ich bin mit meinem Job verheiratet, ich möchte mir keine Gedanken machen, wie wir das besser hinkriegen können, ich komme und gehe wie ich will, ich übernehme Dienste so wie ich möchte (gelegen kam es ihm in mancher Hinsicht bestimmt, er ist gern Samstagmorgen im OP), ohne nachzufragen, ob der andere vielleicht schon etwas geplant hat und eigentlich komme ich auch an erster Stelle und alles andere weit dahinter. Ich bin nicht bereit irgendeine Form von Kompromissen einzugehen, mir ist es egal, wie es der Mondkind damit geht, sie muss mit ihren Emotionen und Bedürfnissen zurecht kommen und nicht ich.“

Ich weiß auch nicht, wie diese Beziehung langsam noch vereinbar sein soll mit dem Facharzt. Während er überhaupt nicht mit uns beschäftigt ist, bin ich ja quasi nur mit uns beschäftigt – und zwar in keiner positiven Weise. Das zieht alles so viel Energie, die eigentlich gerade dafür nicht zur Verfügung steht. Ich würde ja mittlerweile nicht mal mehr erwarten, dass er mich da größer unterstützt – es wäre einfach nur schon schön, wenn es nicht ein Mal in der Woche so eskalieren würde, dass man mindestens 48 Stunden ununterbrochen damit beschäftigt ist.

Ich denk manchmal viel über die Beziehung mit dem verstorbenen Freund nach. Natürlich ist das aus einer heutigen Sicht sehr idealisiert. Aber ich glaube, mir war überhaupt nicht klar, was für ein Wunder und Geschenk das war, dass es so unkompliziert war. In meiner Wahrnehmung jedenfalls. Wir hatten einen sehr großen Streit, bei dem es auch um Trennung ging. Das war während des PJs und es war eigentlich genau so eine Situation, wie der Kardiochirurg und ich sie jetzt haben – nur umgekehrt. Ich war 400 Kilometer weg von der Studienstadt, selten greifbar und die Oberärzte haben mich da noch mit PJ – Prüfungen verrückt gemacht. (Die sehr treuen Leser erinnern sich vielleicht noch an das Desaster). Da konnte ich mehrere Wochen nicht in die Studienstadt fahren, teilweise auch, wenn es vorher schon angekündigt war, aber dann spontan diese Prüfung wieder auftauchte und ich lernen musste am Wochenende. Er hatte damals genau das gleiche Argument wie ich jetzt und hat mir deutlich gemacht, dass diese Distanz und dieser wenige Kontakt zwischen uns zu der Zeit zu schmerzhaft ist und dass wir uns trennen müssen, wenn ich das nicht besser hinkriege. Wir haben dann viel darüber geredet, unsere Standpunkte geteilt und uns da beide sehr bemüht und dann ging das auch. Das war kein Thema, das jede Woche wieder aufgetaucht ist.
Und manchmal frage ich mich, wie es dem Kardiochirurgen damit wohl geht. Ich kann mich erinnern, trotz meiner Geschäftigkeit und in gewissen Ausmaß auch Wut, dass ich schon komplett überfordert bin und er da jetzt auch noch eine Baustelle aufmacht, hatte ich viel Angst um uns und mir war klar, dass ich mich darum kümmern muss und das ja auch in einem hohen Maß mitverschuldet habe. Aber wahrscheinlich kann das auch nur entstehen, wenn man jemanden wirklich liebt.

Mal sehen… - ich hoffe sehr, dass es am Dienstag mit der Psychosomatik – Oberärztin klappt. Das hängt wahrscheinlich mehr oder weniger an mir, weil ich Spätdienst habe und die Stationen bis dahin so weit zur Ruhe gebracht haben muss, dass ich mich mal kurz abseilen kann. Und dann ist die Frage, worüber wir reden können. Ich denke, mehr als die Facharztgeschichte wird nicht drin sein. Aber das ist ja schon mal eine von drei Baustellen aktuell. Ich hoffe, es hilft irgendwie. Aus der Erfahrung heraus, bringen solche Gespräche zumindest kurzfristige Entlastung, können zumindest ein bis zwei Tage helfen zumindest einfach mal wieder Atmen zu können, aber wenn es ein Mal so weit dekompensiert ist, dann hat es früher immer einfach Zeit gebraucht.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Viertes Fach und ein paar Lerntipps

Über Absprachen