Über das "nein sagen"
Es ist früh am Morgen, als ihr Wecker
klingelt.
Mondkind schwingt müde die Beine aus
dem Bett, kocht den ersten Kaffee des Tages und setzt sich an den
Schreibtisch. Gegen 11 Uhr möchte sie los zur Uni fahren und bis
dahin muss sie mindestens das nächste halbe Kapitel zusammen gefasst
haben. Der Rest muss heute Abend nach dem Labor gemacht werden.
Zwischendurch erreicht sie eine
Whatsapp – Nachricht ihrer Vermieterin, die sie bittet, den
Schornsteinfeger zwischen 8 und 11 Uhr herein zu lassen.
Mondkind ist so beschäftigt mit der
Zusammenfassung, dass sie die Zeit völlig vergisst. Als sie die
Treppen hinunter geht, um endlich zu frühstücken, findet sie einen
Zettel auf dem Küchentisch.
Darauf steht noch einmal die Anweisung
für den Schornsteinfeger und weiterhin die Bitte mit dem Hund eine
Runde zu gehen, bevor sie loszieht. Der Geschirrspüler steht auch
auf Kipp und sauber blitzendes Geschirr sieht sie an. Auch eine nicht
ausgesproche Aufforderung, diesen noch auszuräumen.
Ihr Blick auf die Uhr sagt ihr, dass
sie das alles nicht mehr schafft – und schon gar nicht, wenn der
Schornsteinfeger nicht bald kommt, sodass sie überhaupt mit dem Hund
raus kann.
Sie erinnert sich an die Aufforderung
ihrer Therapeutin, dass sie öfter „nein“ sagen soll und bisher
hat sie das noch nicht vollbracht, obwohl am Freitag der nächste
Termin ist und sie zwei Wochen Zeit hatte, zu irgendetwas „nein“
zu sagen. Auf dem Zettel ihrer Vermieterin steht auch mit einem Pfeil
nachträglich hinzugefügt: „Wenn nicht, dann nicht“.
Steilvorlage also.
Aber Mondkind weiß, dass der Hund
einfach raus muss. Und dass ihrer Vermieterin scheinbar erst später
aufgefallen ist, dass Mondkind ja auch selbst gar keine Zeit haben
könnte, macht ohne dass es so beschrieben wurde, die Dinglichkeit
deutlich.
Nur einen kurzen Augenblick ist sie
sauer, dass das alles nicht gestern Abend besprochen wurde. Sie hatte
doch mit ihrer Vermieterin gesprochen. Aber Mondkind weiß, wie
chaotisch dieser Haushalt organisiert sein kann und dass man hier oft
der Meinung ist, dass sich alles schon irgendwie findet.
Sie setzt sich an ihren PC und schreibt
dem Labormenschen eine Mail in der sie fragt, ob es okay ist, wenn
sie eine halbe Stunde später kommt.
Nicht mal zwei Minuten später hat sie
das okay. Sie frühstückt während sie sich umzieht und ihre Sachen
in die Tasche schmeißt, räumt den Spüler noch aus, geht mit Benny
eine kleine Runde und hastet dann zum Bus.
Mondkind denkt über ihr Handeln nach.
Warum schiebt sie wieder ihre Termine um, damit für die anderen
alles passt? Sie hätte doch einfach sagen können: „Nö, passt
jetzt irgendwie alles nicht. Es wäre kein Problem gewesen, wenn das
gestern Abend kommuniziert worden wäre, aber jetzt geht es nicht.“
Aber Mondkind hat gar nicht das
Verlangen danach, die Bitte abzulehnen.
Vielleicht ist es auch ein Stück weit
Selbstdefinition. Mondkind bekommt alles irgendwie hin und die
anderen können sich immer auf sie verlassen. Es ist eine Eigenschaft
von Mondkind, die durch zu häufiges „nein sagen“ ihren Wert
verlieren würde. Und abgesehen davon mag Mondkind die Menschen, die
sie um den Gefallen gebeten haben auch. Sie macht es wirklich gerne
und ist am Ende froh ihrer Vermieterin in einer whatsApp verkünden
zu können, dass sie alles geschafft hat.
Nur ist diese Grenze eben so fließend
zwischen der Wertschätzung von Gutmütigkeit einer Person und der
Ausnutzung eben dieser. Ihre Vermieterin nutzt das auf gar keinen
Fall aus, aber ihre Familie eben schon.
Nur warum fällt es ihr so schwer, auch
mal wirklich etwas abzulehnen?
Vielleicht ist es ein wenig die Suche
nach Aufmerksamkeit. Mondkind wird im Alltag wenig von ihrer Familie
beachtet. Ständig gibt es irgendetwas herum zu kritisieren, nicht
selten wird ihr gar Egoismus vorgeworfen, wenn sie nicht so springt
wie sie soll. Dabei ist Mondkind der Meinung, dass sie viel dafür
tut, dass ihre Schwester es ein wenig einfacher im Uni – Alltag
hat. Mondkind ist ein Semester vor ihr unterwegs und gibt ihr
regelmäßig ihre Unterlagen. (Es gibt dann wieder andere Leute, die
Mondkind vorwerfen ihre Schwester noch weiter in die Anorexie zu
treiben, da ihr - wenn auch unbewusster Plan – scheinbar
funktioniert. Sie strahlt Hilfbedürftigkeit aus und bekommt die
Hilfe auch und dann besteht für sie ja gar keine Notwendigkeit etwas
zu ändern. Ein wenig kann Mondkind das nachvollziehen, aber
ihre Schwester hängen lassen kann sie auch nicht. Dafür liebt
Mondkind sie zu sehr).
Mondkind muss sich immer verstecken.
Ihre Mama weiß nie, wenn sie bei ihrem Papa ist, ihr Papa umgekehrt
nie, wenn sie bei ihrer Mama ist und sollte ihr Vater sie
zwischendurch auf dem Festnetz anrufen wollen und sie ist bei ihrer
Mama, muss sie sich schnell überlegen, warum das jetzt nicht geht.
Es ist ein schwieriges Versteckspiel,
das einfach daher rührt, dass man Mondkind als Person, die ihre
eigenen Entscheidungen trifft und weiß was gut für sie ist, nicht
respektieren und akzeptieren kann.
Und dann ist ein „Danke vielmals
Mondkind“, wenn sie einfach nur ein wenig mehr auf sich genommen
hat, Balsam für die Seele.
Labor ist immer so semi – produktiv.
Ich glaube, das ist eine Frage von
Prioritätensetzung bei dem Labormensch und ihr. Während für sie
die Doktorarbeit so nebenher laufen muss, ist er natürlich ganz mit
seiner Forschung beschäftigt und räumt der Laborarbeit dadurch
einen höheren Wert ein, der sich nicht zuletzt auch zeitlich
niederschlägt.
Eilig hat er es nicht und selbst machen
darf sie auch nichts – nur wenn er bei jedem Schritt dabei ist um
zu überwachen, dass Mondkind keinen falschen Handgriff macht in
seinen heiligen Hallen...
![]() |
Präparate färben... |
Alles Liebe
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen