Ende der A - Chirurgie und Therapie - Erkenntnisse


Kopfsprung. So lange habe ich Angst davor gehabt, wie die Gewässer aussehen, in die ich hinein springe. Denn das konnte man noch nicht sehen, bevor ich gesprungen bin. Lange habe ich mir darüber den Kopf zerbrochen; Angst davor gehabt. Den halben November und den kompletten Dezember. Eine Angst, die einen dunklen Schatten über die letzten Tage in der Neuro gelegt hat.

Ich hatte keine Wahl. Wer das Ziel erreichen will, muss diesen Sprung wagen.
Die Arme voran bohrte sich der Kopf einen Weg durch die Wasseroberfläche in die Tiefe. Und bevor ich mich versah, war ich gefangen in diesem Haifischbecken, das dort lauerte. Versuchte man das PJ am Anfang noch ein wenig anzupassen, einen eigenen Raum in diesem Haifischbecken, vielleicht etwas abseits des Hauptgeschehens zu finden, wurde schnell klar, dass das aussichtslos war. Gejagt wurde jeder.
Viel mehr als Überleben konnte nicht der Plan sein. Immer wieder habe ich mit den Armen rudernd versucht die Wasseroberfläche zu erreichen. Nach Luft zu schnappen. Kurz zu überblicken, wo auf dem Ozean ich bin. Es gelang nicht. Und die Luft in den Lungen wurde jede Woche knapper.

Und ganz plötzlich schubsen sie Dich in eine andere Ecke. Lassen Dich woanders weiter schwimmen. Stürzen sich auf diejenigen, die am Montag den Kopfsprung wagen müssen.

Dass das Jahr schon acht Wochen alt ist… - es war eine lange und gleichzeitig doch so kurze Zeit. Ich habe nicht mitbekommen, was ich da getan habe. Irre lange Tage auf Station, jeden Abend noch versucht zu lernen und mindestens einen Fall durchgezogen. Nicht mehr nachgedacht, sondern in der Panik einfach nur noch hilflos mit den Armen durchs Wasser gerudert.

Heute habe ich die Türen, die auf die Allgemeinchirurgie führen, das letzte Mal durchschritten. Am Montag geht es mit der Herzchirurgie weiter. Ein bisschen Wehmut gab es am Ende doch. Weniger wegen der Abläufe, sondern mehr wegen der Patienten.
Menschen, die lange bei uns lagen. Die ich ins Herz geschlossen habe. Wie eine Dame, die eigentlich eine recht einfache OP bekommen sollte. Aber sie hatte viele Komplikationen und aus ein paar Tagen geplantem stationären Aufenthalt, wurden nun schon fünf Wochen. Und man hat festgestellt, dass das, was man da raus operiert hat, doch nicht so harmlos war. Krebs. Das ist erst seit wenigen Tagen bekannt. Ich wusste nicht mal, ob sie es schon weiß. „Naja eine Diagnose habe ich ja jetzt auch“, berichtete sie mir heute. „Ja…“, habe ich etwas gedehnt gesagt. „Ich wünsche Ihnen viel Kraft und alles Gute für die nächsten Monate…“, habe ich ergänzt. „Och ja…“, erklärte sie, „so schlecht sind die Aussichten ja nicht. Erst mal glaube ich, dass ich gesund werde und wenn das nicht klappt, kann ich immer noch Trübsal blasen…“ Entweder sie hat noch nicht verstanden, was da jetzt an Therapien auf sie zukommt, oder sie ist eine sehr starke Persönlichkeit.
Und dann gab es da noch einen Herrn, der letzte Woche irgendwann von der Intensivstation kam. Ich war viel bei seinem Bettnachbarn und habe immer mal ein Auge auf ihn geworfen. Viel mehr, als ein Stöhnen über die Schmerzen war nicht zu hören und irgendwie wirkte er sehr abweisend. Dennoch habe ich ihn immer gefragt, ob er etwas braucht, wenn ich bei seinem Bettnachbarn war. Ich wusste, dass ihm meistens etwas einfällt. Und ich dann wieder die Schwestern nerven muss, die mich mit einem barschen Kommentar wieder auf den Flur stellen. Aber ich habe es trotzdem gemacht. Im Lauf der Woche traf ich ihn dann – viel schneller als ich erwartet hätte – im Treppenhaus und musste zwei Mal hinschauen, wer mir da gerade die Tür aufhält. Wir kamen ein wenig ins Gespräch und wie so Viele interessierte es ihn, wo es mich nach dem Examen hinverschlagen wird und was die Pläne sind. Ich werde nicht müde, von diesem kleinen Dorf in der Ferne zu erzählen. „Ich sehe dieses Glänzen in Ihren Augen, wenn sie davon reden“, erklärte er irgendwann. „Ich glaube, das nennt man eine Passion, die sie da haben. Machen Sie mal… - es wird schon gut werden.“ Ich war wirklich sehr berührt von diesem Kommentar.
Und dann gab es da den Patienten, der keine Stimme mehr hatte. Warum, weiß ich nicht genau. Aber mit der Zeit habe ich gelernt seine Zeichensprache zu deuten und konnte am Ende mit ihm gut kommunizieren.
Und es gibt da noch einige Beispiele mehr, die mir in Erinnerungen bleiben werden. 



Der Tag heute… - war sehr anstrengend. Schon heute Nacht bin ich mit Kopfschmerzen und Schwindel aufgewacht. Eine gute Idee ist es nicht ins Krankenhaus zu gehen, dachte ich so bei mir. Aber heute mussten noch die Laufzettel unterschrieben werden und ich hatte zwei wichtige Termine. Während der Visite gesellten sich noch Ohren-, Rückenschmerzen und Schüttelfrost dazu und ich fürchte morgen werde ich dann komplett krank sein.
Die Kommilitonen hielt das nicht davon ab, zu versuchen mich in die Whipple – OP zu stellen. Aber ich konnte wirklich nicht so lange stehen und habe in die whatsApp – Gruppe geschrieben, dass wer anders gehen muss und ich die Station mache. Ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl dabei, obwohl alles andere unvernünftig gewesen wäre und ich trotz Krankheit im Rahmen meiner Möglichkeiten alles getan habe.
Nachdem ich die Mittagspause übersprungen habe – Hunger hatte ich heute ohnehin nicht – und die komplette Station fertig gemacht hatte, verschwand ich am frühen Nachmittag.

Die erste Station war die Tagesklinik. Am Ende hat es doch die Therapeutin organisiert, dass ich dort heute mit einem Psychiater sprechen konnte. Eigentlich – so dachte ich bei mir – wird das eine sehr schnelle Nummer. Ich werde ihm nur sagen, dass ich eben jemanden brauche, der das Rezept unterschreibt. Es ist ja derselbe Wirkstoff in derselben Dosierung, nur in Tropfenform, weil es alles andere gerade nicht auf dem Markt gibt. Eine Sache von zwei Minuten.
Die Tagesklinik hat meine Nerven dann ganz arg damit strapaziert, dass ich ewig warten musste und schon befürchtete, dass es überhaupt nichts mehr wird, ehe ich zur Therapeutin muss. Plötzlich wurde ich aber doch noch von einem Psychiater in einen Raum gebeten. Nachdem er sich für die Verzögerungen entschuldigt hat, worauf hin ich erwiderte, dass es kein Problem ist, solange wir ein Auge auf die Zeit haben, weil ich bald drüben sein muss, was er mir versprach zu tun, legte er los: „Also ich habe jetzt ein bisschen im Verlauf gelesen. Im Moment studieren Sie also Medizin, sind kurz vor dem Examen und mit der ganzen Situation des Examens, mit der Familie und ihren Erlebnissen aus dem PJ ein wenig belastet…“ Ich muss sagen – ich war sehr beeindruckt. Es war klar, dass wir uns nur heute sehen und ich den Termin in der Tagesklinik nur bekommen habe, weil in der Ambulanz nichts zu machen war. Bisher haben die wenigsten Psychiater so los gelegt – selbst wenn sie mich länger behielten.
Er fragt mich, wie es mir geht. Ich entgegne, dass ich seitdem ich zurück bin aus dem Dorf in der Ferne keinen Fuß mehr auf den Boden bekomme. Dass das sicher auch Gründe hat, aber die Geschichte so lang und schwierig ist, dass ich sie in ein paar Minuten nicht vollständig erklären kann.
Das möchte er aber auch gar nicht wissen. Ich bin beeindruckt davon, wie sehr er mich als Person in den Mittelpunkt stellt und versucht heraus zu finden, wie belastend einzelne Dinge für mich sind – ohne, dass er es bewertet. Das habe ich bisher sehr selten so erlebt. Die meisten überfahren mich mit: „Naja, Sie haben doch bald das Examen, dann wird es sicher besser und das ist für jeden eine belastende Zeit – das ist völlig normal.“ Beinahe muss man sich in solchen Situationen rechtfertigen, warum man überhaupt da ist. Und obwohl es so „normal“ ist, können einige das scheinbar noch ganz gut wegestecken, während es mich eben an den Rand der Dekompensation bringt. Er wirft einen Blick auf die Medikamente und es ist das erste Mal, dass ich nicht höre „Ja, dann können wir ja mal das Mirtazapin noch etwas höher dosieren“, auch wenn ich dann erwähne, dass wir das schon probiert haben und es nicht funktioniert hat. Stattdessen schlägt er mir ein ganz neues Medikament vor, räumt mir aber Bedenkzeit bis zum nächsten Termin ein, um mir das zu überlegen.
Er schafft es innerhalb weniger Minuten eine so empathische Gesprächsbasis zu schaffen, dass ich es mich traue, ehrlich zu sein. Auch, als die Frage mit den Suizidgedanken kommt. „Ach wirklich?“, fragt er etwas erschrocken. Jetzt muss er genauer nachfragen, aber er tut das so vorsichtig, dass ich es erzählen kann. Und es tut so gut, es einfach mal sagen zu dürfen. Das heißt ja nicht, dass ich das tun werde, aber allein die Gedankenschleifen jeden Abend im Kopf sind irre anstrengend.
Am Ende unterschreibt er mir noch das Rezept und entlässt mich mit Wünschen einer guten und schnellen Besserung. Das habe ich bisher auch noch nicht gehört... - zeigt aber nochmal, dass er mich ernst genommen hat.
Und ich… - ich frage mich, warum die richtig guten Leute immer nur eine Zwischenlösung sind. Ich glaube, mit ihm könnte ich gut arbeiten. Und allgemein glaube ich, dass ich mit Männern viel besser zurechtkomme, als mit Frauen. Irgendwie würde man es vielleicht andersherum erwarten, aber ich habe die Männer meist empathischer erlebt. Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich ja auch mal mit einem Psychosomatiker gesprochen – der war auch richtig gut, allerdings erlaubte es die Konstellation auch nicht, dass wir länger zusammen arbeiten konnten.

Danach musste ich mich beeilen, um noch pünktlich in der Ambulanz zu erscheinen.
Ich erkläre der Therapeutin erstmal, dass ich sehr unglücklich mit der aktuellen Unselbstständigkeit bin. Das mit dem Rezept hätte ich auch selbst lösen können – allerdings hatte ich wirklich keine Kraft mit denen zu diskutieren. Ich soll mir keinen Kopf machen, erklärt die Therapeutin. Gerade ist es eine schwierige Zeit und da ist das schon in Ordnung – auch wenn es keine Dauerlösung sein kann.
Ansonsten geht es viel um die Situation, in der ich gerade festhänge. Darum, dass ich den Punkt irgendwie verpasst habe, auf die Stopptaste zu drücken und nun irgendwie in einer Situation bin, dass jede „unproduktive“ Änderung so viel Panik auslöst, dass ich es nicht machen kann, ohne noch gestresster zu sein. Ich glaube, ab einem bestimmten Zeitpunkt hilft es nur noch, ein Mal den Reset -knopf zu drücken. Nur wann der Zeitpunkt ist – das kann ich irgendwie nicht so richtig beeinflussen. Meist nicht dann, wenn das Hirn streikt, was es schon längst tut. Sondern dann, wenn auch der Körper streikt und nichts anderes als Bett zulässt. Und nach dieser Phase bin ich auch in der Lage einen neuen Plan zu machen. Nur bringt diese Zeit kurz vor dem Reset immer eine extreme Situation mit sich und da ich aktuell ohnehin schon jede Quelle die ich habe, angezapft habe, sind weitere Hilfsmöglichkeiten beschränkt.
Wir haben keine Lösung dafür gefunden, aber vielleicht kommt der Reset – Zeitpunkt am Wochenende. Mittlerweile sind die Kopf- und Rückenschmerzen so stark geworden, dass ich mich unmöglich aufs Lernen konzentrieren kann. Mir fällt in der Stunde wieder ein, was der Seelsorger mal sagte: „Seien Sie ein Stück Eltern für sich selbst…“ „Und was würden Eltern zu einem kranken Kind sagten?“, greift die Therapeutin auf. „Dass es sich ins Bett legen soll und den Lernplan Lernplan lassen sein soll“, entgegne ich. „Genau. Und deshalb machen Sie am Wochenende eine Pause…“

Das hat schon mal dadurch nicht funktioniert, dass ich heute noch einkaufen war – unter anderem Rohreiniger, aber der kommt erst zum Einsatz, wenn die Mitbewohnerin ausgezogen ist. Ich habe auch heute Abend keine Ruhe, bis das Bad geputzt und mein Boden gesaugt ist. Deshalb mache ich das jetzt noch und dann telefoniere ich mit einem Freund – und esse vielleicht nebenbei mal etwas…

Mondkind

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