Etwas wie Chaos
Zwei Mal Kontakt zum
Schwesterchen am Wochenende über whatsApp gehabt. Und zwei Mal etwas über den
Lernplan gehört. Darüber, dass keine Zeit mehr ist.
Und natürlich hat es dann nicht
funktioniert mit der Pause, sobald ich den Kopf aus dem Kissen heben konnte.
Kurze Runde spaziert. Zum Bach in
der Nähe. Und plötzlich… - plötzlich wird es ganz still.
Immer noch eingehüllt in dicker
Jacke und Schal, wo andere schon im T – shirt unterwegs sind. Die
Sonnenstrahlen spürst Du gar nicht auf Deiner Haut. Das Plantschen der Enten
kommt Dir seltsam fremd vor. Die Lämmer, die hier auf der Wiese stehen,
verleiten Dich nicht zum anhalten. Die Menschen um Dich herum, sind Dir zu viele
und zu laut.
„Es gibt Menschen, die fühlen
eben einfach wenig. Wahrscheinlich gehören Sie dazu“, erklärte mir mal
irgendwann ein Psychiater. So einen ausgefuchsten Schwachsinn habe ich selten
gehört ehrlich gesagt.
(So nebenbei bemerkt: Da in der
Ambulanz in den letzten Jahren nicht selten solche Leuchten von Ärzten gesessen
haben, sollte ich eigentlich viel daran setzen den Psychiater, auf den ich am
Freitag gestoßen bin, behalten zu dürfen. Der wirkte einfach so kompetent. Ich
weiß nur noch nicht, wie ich das anstelle. Wen ich frage. Ob ich frage. Ich
fürchte, ich werde mich das nicht trauen. Ich hätte ihn sofort fragen sollen.
Aber soweit habe ich nicht gedacht…).
Während Du Dich noch fragst, an
welcher Stelle Du Dich verloren hast, erwarten die Menschen, dass das Tal
langsam durchschritten ist. „Das nächste Mal geht es Ihnen besser, wenn Sie
kommen“. So, oder so ähnlich lautete der letzte Satz der Therapeutin.
Als könne man sich das aussuchen.
Als könnte man auf einen Lichtschalter drücken und die Helligkeit wieder ins
Leben lassen.
Im Moment überfordert mich alles.
Und manchmal frage ich mich, wie weit man gehen muss. Ob man wirklich alles aushalten muss. Ob zu sagen, dass es so
nicht mehr geht, immer ein Zeichen von Schwäche ist. Weil da immer nur dieses
Defizitdenken herrscht. Weil niemand – auch ich selbst nicht – sieht, was ich
trotz allem geschafft habe. Weil Versagen in einer Leistungsgesellschaft nun
mal nicht drin ist. Wobei man „Versagen“ auch erstmal definieren muss. Hat man
versagt, wenn man den konventionellen, geplanten Weg verlässt, weil er nicht
mehr begehbar ist und es einem mit der Alternativroute gerade besser geht?
Über die Frage nach dem „Warum?“ der Dunkelheit kann man vermutlich viele Theorien aufstellen.
Vielleicht, weil ich mir das
Examen gerade selbst nicht zutraue. In den letzten Wochen hat man nur gehört,
was man alles falsch macht. Die Fragen in den Fallbüchern kann ich nie genauso
beantworten, wie sie in den Lösungen stehen. Ich kann nicht alle Unterformen
der Synkope aufzählen und ich kenne auch nicht alle möglichen Arten von
Schrittmachern. Ich weiß auch nicht Bescheid über jede Klassifikation von
irgendwelchen Magenblutungen.
Und dann wird mir auch immer mehr
klar, dass es vermutlich wirklich nie wieder wird, wie es mal war – und das
drosselt die Motivation das Examen unter allen Umständen bestehen zu müssen,
gerade gewaltig. Auch wenn die Blamage durch Nicht - bestehen trotzdem verhindert werden sollte. Allein die Wohnungssuche im Dorf in der Ferne wird schwierig,
weil natürlich die meisten Mitarbeiter irgendwie in der Nähe des Krankenhauses
wohnen wollen. Das treibt die Mietpreise hoch und macht die Wohnungen rar.
Dabei ist es doch gerade auch dieser Ort, der so viele Erinnerungen trägt. Der
Park, durch den ich es geschafft habe, regelmäßig zu gehen. Die Burg, die man
umrunden kann. Die Pizzeria in der Burg, in der man essen kann. Der Marktplatz,
auf dem ich saß und einige bewegende Mails gelesen habe.
Der ganze Ort ist irgendwie ein
Gefühl. Und ich kann fühlen – auch wenn einige Ärzte das scheinbar anders sehen.
Ich habe so viel geweint dort, weil ich so viele Dinge tun konnte, von denen
ich nicht glaubte, dass ich das nochmal machen werde.
Und dann fehlt schon ein bisschen
etwas wie Familie. Dieser Rückhalt, den ich dort hatte. Menschen, die mir gezeigt
haben, dass ich trotz allem wertvoll bin. Der Schatten, der anfangs vielleicht
noch recht präsent durch die Flure der Neuro schwebte, an den man sich erinnern
wollte, verschwindet langsam. Ich habe lange nichts mehr gehört aus dem Dorf in
der Ferne. Und am Ende war man eben doch „nur“ PJ – lerin dort.
Was mache ich, wenn das nie
wieder zurück kommt? Wenn all das, wofür ich gerade kämpfe, mir durch die
Finger rinnt? Denn was mich auch immer verunsichert hat ist, dass ich diesen
Ort nicht alleine aufrecht erhalten kann, weil da so viel von
zwischenmenschlichen Dingen geprägt ist.
Ich weiß nicht, wann das Tal
durchquert sein wird. Ob es doch irgendwann schnell geht, oder nicht. Und wie das die nächsten Wochen gehen soll. Alle ambulanten Möglichkeiten sind gerade quasi ausgeschöpft.
Ich habe Angst, dass die
Menschen irgendwann die Geduld mit mir verlieren.
Dass selbst Freunden, Ärzten und
Therapeuten gegenüber ein „Mir geht es gut“ eine Lüge wird.
Mondkind
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