Staub


Du versuchst es.
Nicht abruschten. Bitte nicht dieser Strudel aus Negativität. Nicht schon wieder.
Nicht schon wieder alles in Frage stellen, darauf kommen, dass man so auf Dauer ohnehin nicht leben kann und sich eine Alternative gerade nicht so wirklich abzeichnet.
Nicht schon wieder feststellen, dass man den Weg ganz am Ende doch alleine geht. Weil das mit der Familie schon ewig nicht mehr klappt, weil Freunde rar gesäht sind und die auch genug mit sich selbst beschäftigt sind und die Menschen, die man gern dabei hätte, den Weg aus verschiedensten Gründen einfach nicht mitgehen können.
Nicht schon wieder feststellen, dass das alles eine schöne Idee war, ein bisschen Vision, ein bisschen Zukunfstsmusik, die nie wirklich welche war. Kleine Fetzen, die Dir auf Deinem Tanz so nah am Abgrund entgegen geflogen kamen. Die Du gegriffen hast und die Dir – bis sie zwischen Deinen Fingern hindurch rieselten – eine Welt gezeigt haben, die Du gern gehabt hättest, aber in der Du nie leben durftest.
Das Vorbeiziehen eines winzigen Ausschnitts eines Films, wie aufgewirbelter Staub,  zwischen dem Du ein Mal eine Pirouette gedreht hast und dann war es auch schon wieder vorbei. Für einen kurzen Moment. Den Sommer fühlen. Die Leichtigkeit. Die unzähligen Möglichkeiten, die diese Welt zu bieten hat. Für einen Moment keine Angst. Keine Sehnsucht nach Menschen, die bleiben – aber die Du sowieso nicht halten kannst.

Wenn Du es vom heutigen Standpunkt aus betrachtest, dann vermischt sich das alles irgendwie. Realität, und das, von dem Du gehofft hast, dass es dort ist. Das, was Du vielleicht ein Stück weit geglaubt hattest, gefunden zu haben. Hattest Du vielleicht nie. Glaubtest Du nur.

Hier zeichnet sich das ab, das Du schon viel zu gut kennst. Außenseiter – Leben. Nicht nur anders, als die anderen, sondern auch ausgegrenzt. Selbst die Oberärzte ziehen Dich im OP auf und Du merkst das immer erst zu spät. Weil Du immer glaubst, dass Menschen nicht so sind. Und dann kommst Du aus der Nummer nicht mehr raus – bist entweder der Grund der allgemeinen Belustigung. Oder diejenige, auf der man den OP – Frust abladen kann. Was von beidem besser ist, ist fraglich. 



Du versuchst, die Reißleinen zu ziehen. Alle, die es so gibt. Du schaust in den Abrund – den von dem der Seelsorger mal gesprochen hatte. „Wer hält Sie, wenn Sie fallen?“
Mit einer Hand klammere ich mich noch am Vorsprung fest, denke mir: „Das kann es nicht gewesen sein…“ Und irgendwie ist der Mensch vielleicht einfach nicht so gestrickt, sich fallen zu lassen, ohne jeden letzten Grashalm zu greifen. Du glaubst, dass Du keinen nerven kannst, nicht in dem Zustand. Und dennoch nutzt Du Mailadressen, die schon seit einer Ewigkeit verstummt sind, Telefonnummern, über deren Leitung schon lange keine Worte mehr gewechselt wurden.
Irgendwie suchst Du noch. Nach jemandem, der Dich nochmal hoch zieht.

Aber was machst Du dann – wenn Du erschöpft auf dem Plateau sitzt? Merkst, dass die letzten Wochen so anstrengend waren, dass das Projekt Zukunft aus dem Fokus geraten ist. Dass Du effektiv eigentlich nicht gelernt hast.
Es wird niemand gesehen haben, wie nah Du am nichts warst. Jeder erwartet Performance. Als sei nie etwas gewesen.


Ich habe gewusst, dass es schwer wird. Aber nicht, dass es so schwer wird. Spätestens im Februar war es in meinem Dafürhalten vorbei. Und jetzt weiß ich es einfach nicht. Wann die Tage wieder heller werden. Ob das überhaupt passieren wird in den nächsten Wochen.
 

Mondkind

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