Fußspuren
„So… - ich
würde mich dann jetzt auf die Socken machen…“
„Wo musst
Du hin Mondkind?“
„Zum Arzt…“
„Ach so… -
na ich hätte auch mal gern ständig einen Arzttermin…“
Ist ja
nicht so, dass es bei uns in der Gruppe nicht eine Mitstudentin gibt, die jede
Woche ein Mal mit einem Schal um den Hals ankommt, drei Mal hustet und dann mit
einer Erkältung verfrüht nach Hause verschwindet. Am nächsten Tag fehlt und am übernächsten
Tag wegen Erkältung nicht in den OP kann.
Und der ein
oder andere nach einem kleinen Alkoholexzess am Vorabend, am nächsten Tag schon
mal fehlt.
Und es ist
ja nicht so, dass auch ich viel mehr arbeite, als vorgesehen. Montag war ich 11
Stunden auf dieser Station, gestern war ich auch die Letzte, die gegangen ist.
Es ärgert
mich so, weil ich mich frage, wie oberflächlich Menschen sein können. Ganz
ehrlich – ich wünsche das hier echt keinem. Wer meint, dass es angenehmer ist,
ein Mal in der Woche einen „Arzttermin“ zu haben, der mich auch stresst, weil
eher gehen nun mal nicht so einfach ist – der denkt doch echt nur bis zur
nächsten Ecke…
***
Wir sitzen uns gegenüber – die Therapeutin und ich. Schon das zweite Mal diese Woche.
Wir sitzen uns gegenüber – die Therapeutin und ich. Schon das zweite Mal diese Woche.
Zwischen
uns mein Zettel.
„Okay und
worum geht es jetzt genau?“
Das kann
ich ihr Ernst sein – wozu habe ich den denn geschrieben?
Ich schaue
nach unten auf meine Hände. Wahrscheinlich sind es nur wenige Sekunden – mir kommt
es vor, als seien es mehrere Minuten. Irgendwann gebe ich mir einen Schubs. „Naja…
- um die Suizidgedanken…“, sage ich ganz leise. Ich hasse es… - dieses Wort. Dieses
ganze Thema…Man wehrt sich so sehr dagegen und es ploppt trotzdem immer wieder hoch.
„Und wie
akut ist das jetzt?“, fragt sie. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass ich
ernsthaft keine Ahnung habe, wie ich das aushalten soll. Aber das Ziel ist ja
nicht die Schiene des Alltags zu verlassen – Ziel ist es, irgendwie den Druck
raus zu nehmen.
„Muss ich
mir jetzt Sorgen machen, dass ich Sie hier beim nächsten Mal nicht mehr sehe…?“,
fügt sie schon hinten an, ehe ich antworten kann. „Ich glaube nicht…“, gebe ich
zurück. „Was heißt „Sie glauben“?“, fragt sie. „Naja bis jetzt ging es ja auch
irgendwie. Das geht ja schon seit dem Wochenende so und bis jetzt hat es ja
geklappt. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, was in den nächsten Stunden passiert.
Das kann gut gehen. Ob es allerdings irgendwann mit mir durchgeht, kann ich
nicht genau sagen…“
Das lässt
sie so erst mal stehen. Obwohl ich überraschend ehrlich war und merke, dass ich
vor Anspannung zittere.
„Was
glauben Sie denn woher das kommt? Was müsste passieren, damit das aufhört…?“
Nach
einiger Überlegung bekommt sie mich dann doch zum Reden.
„Naja… - im
Prinzip ist das alles echt eine verfahrene Situation. Auf der Chirurgie ist es
einfach nur furchtbar – das bringt überhaupt keine Stabilität in den Alltag.
Eher das Gegenteil. Man ist den ganzen Tag unter Strom, weil man für alles
Anpfiff bekommen kann. Mit den Ärzten komme ich nicht zurecht und ich habe auch
selten so unangenehme Mitstudenten getroffen. Die haben halt auch alle keine
Ahnung und manche meinen, sie können sich retten, in dem sie die anderen herum
kommandieren und die unangenehmen Aufgaben delegieren. Und wenn man so mit sich
selbst zu kämpfen hat, dann ist man echt dünnhäutig und kann sich nicht wehren.
Dann kommt
man abends nach Hause, findet das Geschirr in der Spüle, den Müll vor der
Haustür, ein komplett verdrecktes Bad und der Abfluss funktioniert jeden Tag
etwas weniger, weil die Mitbewohnerin das Sieb neben den Ausguss legt.
Und dann
bin ich hier aktuell auch mehr oder weniger illegal unterwegs. Ich gehe den Weg
ganz alleine. Mittlerweile liegen die Verträge für den Job hier und eigentlich
wäre das wohl ein Grund, sich zu freuen. Aber da steht jetzt halt Oktober als
Startdatum drauf. Meine Mutter interessiert das ohnehin nicht, was ich hier
mache, mit meinem Vater muss ich das auch gar nicht erst besprechen, weil sich
das Gespräch daran aufhängen wird, dass ich erst im Oktober und nicht im Juli loslege, bevor ich überhaupt
zu meinem Anliegen komme. Und ich habe eigentlich ein paar Fragen zu diesem
Vertrag und verstehe einiges nicht.
Dann habe
ich keine Ahnung, wie ich mich überhaupt bis Oktober finanzieren soll, ob das
überhaupt geht, oder ob ich doch eher anfangen muss mit arbeiten. Das ließe
sich eventuell einrichten, sagte die Personalabteilung. Dann bräuchte ich aber
auch eher eine Wohnung – und die kann ich eigentlich ohnehin erst nach dem
Examen suchen - und das mit der Klinik würde dann auch nicht klappen. Wobei das
mit der Klinik das nächste Problem ist. Das ist alles eine vage Idee, aber ob
das am Ende klappt – da bin ich mir auch noch nicht so sicher. (Irgendwie kommt mir das lapidare "Melden Sie sich einfach, wenn Sie wissen, wann Ihre Prüfung ist" etwas wackelig vor...) Obwohl zumindest
das Zeitfenster ja nun da ist.
Und dann
gibt es da ja noch ein Examen, für das ich lernen müsste, aber ich kann mich
einfach nicht darauf konzentrieren, so sehr ich es auch versuche. Und da
durchzufallen, wäre die absolute Katastrophe.
Also
eigentlich ist die nahe Zukunft ein riesen großes Fragezeichen, es gibt keinen,
der mir helfen kann, weil es keiner wissen darf und ich weiß absolut nicht, was
ich tun soll. Und habe aktuell auch keine Kraft mich um irgendetwas zu kümmern.
Ich kann einfach nicht mehr. Natürlich kann mir das keiner abnehmen, aber ich
bräuchte glaube ich einfach jemanden, der ein paar Schritte mit mir geht, nicht alles hinterfragt, kritisiert oder begründet haben möchte, sondern seine Fußspuren neben meinen hinterlässt und mir klar macht, dass ich nicht allein bin.…“
Zu Lösungen
kommen wir nicht so richtig. Sie merkt nur immer wieder an, dass die daraus resultierende Überforderung nachvollziehbar ist. Eine Stunde später bin ich im schönsten
Sonnenschein auf dem Weg zu meinem Fahrrad. In der Ferne wäre es wohl keine
Frage gewesen, noch spazieren zu gehen. Aber hier bin ich wieder eine Gefangene
in mir selbst. Die die Welt nur durch die Gitterstäbe, die der Kopf kreiert,
sehen kann.
Sie hatte
noch gefragt, ob mit den Medikamenten alles passt. Und da es in der Apotheke
letztens Probleme gab, habe ich auch fast kein Promethazin mehr, mit dem man
abends einfach mal den Kopf ausschalten kann. „Ich kümmere mich darum... – bei Gelegenheit“,
habe ich erklärt. Ich wollte nicht, dass die Therapeutin es tut – sie hatte diese
Woche genug mit mir um die Ohren. Aber wahrscheinlich werde ich es nicht
schaffen, mich darum zu kümmern.
Ich glaube,
ich habe es den ganzen Januar versucht, dass es nicht so abschmiert, wie es das
jetzt tut. Wann es wieder besser wird, weiß ich nicht. Ich hoffe bald – so ist
das wirklich unerträglich.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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