Psychiatrie #11 Selbsthass


Ich habe wirklich selten etwas wie Hass gegen mich selbst empfunden. Auch wenn viele Wege schwierig waren, aber ich habe eine Menge irgendwie hinbekommen. Nicht so, dass ich vielleicht hätte zufrieden sein können, Vieles hätte ich mir anders gewünscht. Aber das Leben ist eben auch kein Wunschkonzert. Es hätte anders kommen können. Schlimmer. Solange wie das Studium einigermaßen lief; solange wie zumindest die „Funktions – Säule“ stand, war es schon okay.

Jetzt empfinde ich ihn. Hass gegen mich selbst. Das Bedürfnis, das System hier zu unterlaufen. Die Regeln zu brechen. Um mich wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Ich darf nicht nach Hause am Wochenende. Das war nicht in meinem Plan.  Ich brauche dringend Unterlagen. Und die wiederrum brauche ich, um einen Termin bei der Versicherung am Mittwoch wahrzunehmen.
„Mondkind… - Du warst doch nur ein bisschen faul am Wochenende“, tönt es aus dem Off. „Immerhin könnte ich mir auch Besseres vorstellen, als den halben Sonntag durch die Gegend zu jockeln. Dann machen wir mal ein bisschen einen auf suizidal und sind erlöst davon, oder wie hast Du Dir das gedacht…?“
Ein Gedanke, der mich zerfrisst. Bin ich nur zu faul? Greife ich da zu solch drastischen Mitteln? Aber fast wäre ich heute trotzdem gefahren. Und hätte es als Ausflug aufs Gelände getarnt. Weil ich die Unterlagen nun mal brauche. Aber dann hat mich doch die Hasenfüßigkeit gepackt. Was ist, wenn zu Hause doch die Sicherungen durchknallen? Was ist, wenn man bemerkt, dass mein Ausflug etwas lang ist?
Die Pflege meint, der Gedanke kommt von außen. Weil mein Umfeld das ja hier mehr als Urlaubsveranstaltung bewertet und ich mich dieser Bewertung – so sehr ich mich darum auch bemühe – nicht entziehen kann.

„Sag mal Mondkind – Du weißt schon, dass am Dienstag das nächste Einzelgespräch ist, in der Herr Therapeut über Suizidalität reden möchte und Du am Mittwoch den Termin bei der Versicherung hast. Also gemäßigtes Vorgehen – nicht, dass die befinden, dass Du da nicht hinkannst… Reiß Dich gefälligst zusammen und lass die brenzligen Dinge einfach mal aus.“ Nächstes Raunen aus dem Off.
Die perfekt funktionierende Mondkind will nicht aufgeben. Kann nicht aufgeben. Weil sie sich dann in den Katastrophenmodus schaltet. Keine Versicherung und dann passiert natürlich etwas und Mondkind wird mit Millionen von Euros verschuldet sein. Dass man den Termin verschieben kann, dass noch Zeit ist, dass keine Katastrophe passieren muss – das kommt Mondkind nicht in den Sinn. 

Dachterrasse...


Langsam kommt es alles. Langsam stresst es mich. Ich habe hier sicher nicht mehr viel Zeit. Und muss noch so viel regeln. Und will eigentlich gar nicht mehr. Der Teil, der nicht mehr möchte, kocht hoch. Und argumentiert nicht. Nicht zurück ins alte Leben. Nicht dahin zurück, wo wir hergekommen sind. Auf gar keinen Fall. Das halte ich nicht mehr aus. Das kann ich nicht mehr.
Panik. Nur wohin damit? Wohin damit in der Psychiatrie? Wo die Panik richtig wäre, aber man nur ein Korn in einer Mühle ist? Wenn es hier nicht geht, dann eben Geschlossene. Und wann ich da wieder runter komme?

Die Leute hier haben alle einen Job. Für die zählt es nicht, ob ich meinen bekomme, oder nicht. Für die zählt es nicht, ob ich ein Fall für das Sozialversicherungssystem werde, oder nicht. Ob meine Familie sich völlig von mir abwendet, weil sie meint, dass ich mich nicht gut genug organisiere, den Umzug nicht plane und schnell genug in den Job finde.  
Das Team lobt meine Ehrlichkeit hier, aber mit den Konsequenzen muss ich leben. Und die münden gerade in Hass, weil etwas in mir befindet, dass ich mir das Leben unnötig schwer mache.

Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und was ich denke. Welche sind eigentlich noch meine Gedanken? Wie geht es mir eigentlich? Was muss ich tun? Was glaube ich nur, tun zu müssen? Was ist der Druck, der von außen kommt? Nehme ich mich selbst ernst genug? Kann ich das überhaupt? Bin ich wirklich ehrlich?
Funktionsmodus und die emotionale Verfassung kämpfen gegeneinander.

Ich sein war noch nie eine gute Idee. Ich sein, hat noch nie funktioniert. Immer für Verwirrung gesorgt. Weil ich immer anders war. Immer anders gefühlt und anders gedacht habe. Prioritäten schon immer woanders gesehen habe, als der Rest meiner Familie. Ich sein hat mich schon immer in Schwierigkeiten gebracht. Immer einen Beigeschmack gehabt, der vermittelt hat, dass es falsch ist, wie es ist. Immer mit Zurückweisung geendet. Und vielleicht war da auch immer schon ein bisschen Hass mir selbst gegenüber. Nur ist das im „Mondkind – Funktioniermodus“ nicht aufgefallen, der so angepasst war, wie es ging.

Wo ist eigentlich der Typ an der Heizung?

Mondkind

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