Psychiatrie #9 Suizidalität
„Wollen Sie ins Büro oder ein Stück
spazieren gehen?“, fragt der Therapeut.
Dass ich diese Frage hier und
heute an dieser Stelle beantworten darf, grenzt an ein kleines Wunder und hat
mich in einer Situation, in der ich mich am liebsten nur zusammen gerollt und
gar nichts mehr sagen wollte, eine Menge Überredungskünste gekostet.
„Gehen wir ein Stück spazieren“,
gebe ich zurück.
Während wir zwei Mal schnellen
Schrittes das Gelände umrunden, entsteht das Therapiegespräch. Zu laufen
während des Redens hilft wirklich ein bisschen. Man ist aus dieser unangenehmen
Situation raus dem Therapeuten gegenüber zu sitzen, ihn beim Reden meist
trotzdem nicht anschauen zu können und stattdessen die Wand zu nutzen.
Es ist ein komisches Gefühl nur
noch mit Begleitung des Personals außerhalb der Station herum laufen zu dürfen - am Wochenende gibt es dafür auch keine Kapazitäten.
Da das Gespräch auch als wir wieder da sind noch nicht fertig ist, führen wir
es doch im Büro kurz zu Ende. Wir haben beschlossen, dass wir mein „Monster“ im
Raum vom Therapeuten einschließen und ich ja oben auf der Station fest hänge.
Da haben wir beide das Wochenende über Ruhe voneinander. In der Theorie.
Nicht mal die eine Treppe
zwischen Tagesklinik und Station darf ich allein hoch laufen. Der Therapeut
bringt mich hinauf und übergibt mich der Pflege.
Es ist interessant, wie
unterschiedlich das Personal mit Suizdalität umgeht. Ich sollte Bescheid sagen,
wenn es wieder schlimmer wird. Ich fürchte, seit dem letzten Mal war es noch gar
nicht wirklich wieder zur Ruhe gekommen. Ich habe mich nur gut abgelenkt, da
ich mich damit hier auf der Station nicht gut aufgehoben gefühlt habe. Aber der
Druck hat doch wieder zugenommen. An einem Nachmittag war eine Pflegerin da,
mit der ich schon mal Schiffbruch erlitten hatte – mit ihr wollte ich das nicht
ausdiskutieren. Die Nachtwache kenne ich kaum, da wollte ich es auch nicht
machen. Also habe ich es am Freitagmorgen – als es schon kaum noch
aushaltbar war - bei einer Pflegerin anklingen lassen, mit der ich zumindest
schon mal kurz gesprochen habe.
Zur gleichen Zeit war der
Stationsleiter auf der Station, der sonst sehr selten da ist. So viel Glück wie
ich hatte, war auch die Stationsärztin nicht da – also wurde die Ärztin aus der
Ambulanz von der Etage darunter angerufen. Der Stationsleiter und die Ärztin
waren sich sofort sehr einig, mich auf die geschützte Station verlegen zu
wollen.
Ich kann diese Handlungsweise
schon verstehen, vermutlich wäre ich als Ärztin genauso vorsichtig –
insbesondere, wenn ich den Patienten nicht gut kenne. Bisher war ich aber immer
absprachefähig – ich bin nicht mal eine Minute zu spät zu irgendeiner Therapie
gekommen. Das Einzige das mir lieb gewesen wäre, wäre eine etwas engmaschigere
Betreuung gewesen, sodass ich vielleicht mal eine Stunde im Schwesternzimmer
sitzen kann – nur sitzen, nicht reden – um mit mir und meinem Kopf nicht
alleine zu sein und dass jemand am Tag vielleicht drei Mal fragt, wie es mir
geht, wenn ich alleine nicht mehr in der Lage bin, auf die Menschen zuzugehen.
Wir haben bestimmt eine halbe
Stunde diskutiert, bis wir uns darauf einigen konnten, dass ich am Nachmittag noch ein Gespräch
beim Therapeuten bekomme, wenn er Zeit hat und viertelstündlich einen
Meldebogen unterschreiben muss. Ausgang am Wochenende wurde gestrichen, auch
nicht aufs Gelände – die Station darf nicht verlassen werden. Aber zumindest
darf ich hier bleiben. Ich wäre eingegangen wie eine Primel mit einem neuen
Team, neuen Patienten und einer Stimmung wie im Taubenschlag, wenn keiner von
der Station darf.
Mittlerweile wurde das
viertelstündliche Melden auf halbstündlich ausgeweitet, aber dafür muss ich das
machen, bis ich am Montag wieder mit der Ärztin geredet habe.
Schuldgefühle. Das war damals
auch der Weg aus der Essstörung. Ich wollte nicht mehr, dass man mir ansieht,
dass es mir schlecht geht. Und, dass die Menschen sich Sorgen machen. Das Thema
Suizidalität hat mich nie losgelassen und viel zu lange habe ich darüber
geschwiegen. Ich möchte nicht, dass sich jemand Sorgen macht. Und von manchen
Mitpatienten bekomme ich auch schon mit, dass sie sich sorgen. Auf der einen
Seite dürfen wir untereinander über die schwierigen Themen nicht reden, auf der
anderen Seite liegt auf dem vordersten Schreibtisch im Schwesternzimmer mein
Meldebogen.
Wie ich in Zukunft mit dem Thema
umgehe, weiß ich noch nicht. Einerseits wird das eben nie besser werden, wenn
ich nicht darüber rede und man nicht eruieren kann, woher das alles kommt und
warum es immer wieder auftritt. Auf der anderen Seite habe ich keine Lust, dass
die Situation nochmal so eskaliert.
Vielleicht frage ich den
Therapeuten, wie damit zu verfahren ist. Er meinte gestern, dass Suizidalität
eines seiner Schwerpunkte ist.
Mondkind
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