Psychiatrie #12 Eindrücke


Ein paar Eindrücke und Sprünge durch die letzten Tage. Ich weiß vermutlich selbst noch nicht genau, was es alles mit mir macht. Ich weiß nur, dass ich dezent überfordert bin. Mal wieder.

***

Psychologen – Visite.
Ein Mal in der Woche sitzen wir dem „Chef – Psychologen“ gegenüber und erzählen ihm, wie es gerade läuft. Er schreibt eifrig mit und versucht sich innerhalb weniger Minuten einen Reim auf das Wirrwarr in unseren Köpfen zu machen. Die Erfahrung merkt man ihm an. Manche Dinge will man beim ersten Hören nicht wahrhaben – aber in stiller Stunde scheint Vieles gar nicht so verkehrt.
Ich sitze ihm gegenüber. Berichte über die letzten Tage. „Aber wenn Sie jetzt da runter gehen, dann werden Sie doch wieder nur funktionieren. Das können Sie machen – aber die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, das Sie am Ende nicht wollen – nämlich dass es auf lange Sicht schief geht, ist recht hoch. Außerdem sind Sie noch gar nicht so weit…“ „Das ist eben auch etwas meine Sorge“, werfe ich ein. „Die psychiatrische Versorgung dort ist nun mal sehr schlecht und ich muss gestehen, dass ich einfach Angst habe, dass Krisen dort absolut nicht aufgefangen werden können. Ich meine… - ich habe dort meine Vertrauten, aber was ich denen zumuten kann, ist auch eher begrenzt – von meiner Seite her.“ „Dann machen Sie Ihren Eltern klar, dass Sie jetzt die Unterstützung brauchen. Regeln Sie das Finanzielle und bleiben Sie noch ein paar Wochen in der Klinik…“
Nein, das hatte ich irgendwie nicht hören wollen. Ich war recht einverstanden mit der Prognose der Assistenzärztin vom letzten Freitag mich Mitte August zu entlassen. Sie war scheinbar der Meinung, ich könnte dann soweit sein und für mich wäre es die letzte Ausfahrt gewesen, ab September zu arbeiten.
Und nun? Was soll ich entscheiden? Das, was richtig ist, aber sich falsch anfühlt? Oder das, was sich falsch anfühlt, aber richtig ist? Die Antwort scheint so einfach, aber ich bin relativ sicher, dass ich sie mir nicht erlauben kann.

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Abends. Beinahe halb acht. Ich habe ein anstrengendes Einzelgespräch mit dem Psychologen am Nachmittag hinter mir. Es hat schon gute Gründe, warum ich das Thema Suizidalität immer nur in der Klinik bearbeiten wollte. Jetzt dreht diese negative Seite nämlich richtig auf.
Ich sitze auf meinem Bett, lehne mit dem Rücken an der Wand und habe die Knie angezogen. Auf meinen Ohren die schwarz – türkisen Kopfhörer, aus denen Christina Grimmie mal wieder „Deception“ schmettert. Es gibt glaube ich kein Lied, das ich in den letzten zwei Jahren öfter gehört habe, als dieses. Seine Aktualität wird es wohl noch lang behalten.
Das Klopfen höre ich kaum. Die Zimmertür öffnet sich und Herr Psychologe kommt rein. Zwar hatte er angedeutet, dass er am Abend noch nach mir schaut, aber ich bin immer wieder höchst beeindruckt, wenn Dinge tatsächlich so passieren, wie angekündigt.
„Ich habe gesagt ich komme nochmal vorbei und hier bin ich…“, leitet er ein. „Ich habe jetzt zwar keine Zeit mit Ihnen einen Tee zu trinken, aber ich habe Ihnen trotzdem einen mitgebracht“, erklärt er und überreicht mir einen verpackten Teebeutel. „Ich bin in circa anderthalb Stunden zu Hause. Dann koche ich mir einen Tee und setze mich an den Schreibtisch. Neben meinem Schreibtisch ist übrigens direkt die Heizung, also sitze ich quasi davor…“ Ich schaue auf die Uhr. Also ist um 9 Uhr Tee trinken angesagt. An getrennten Orten, aber doch irgendwie zusammen.
Es berührt mich.
Er habe schon mehrere suizidale Patienten gehabt. Das sei nicht ungewöhnlich, dass die Thematik aufdreht, wenn man sie bespricht. Das zeigt nur, dass der suizidale Teil doch nicht hundert prozentig von sich überzeugt ist, wenn er mich unter Druck setzt und meint, durch Auslösung von Angst vielleicht weiter zu kommen. Und der Angst könne man Sicherheit entgegen setzen. Und das – sagt er – möchte er in den nächsten Wochen für mich tun.
Außerdem – so seine Idee – könnten wir ein „Therapeuten – to – go“ etablieren. Ich glaube, dass ich ihn in dem Moment ziemlich verwirrt ansehe. Wir könnten die wichtigsten Therapieerkenntnisse der Stunde als Audio zusammen fassen. Und dann hätte ich quasi einen „Therapeuten in der Tasche“ – auch wenn er nicht da sei. Das finde ich eine sehr interessante, aber auch sehr gute Idee. Auf jeden Fall sollte ich die Dateien auf mehreren Medien speichern, denn vermutlich werden das ein paar Dauerbrenner.
Ich glaube, er kann ein komplettes Abrutschen in die akute Suizidalität mit seiner Präsenz verhindern. Solange wie ich weiß, dass immer jemand ansprechbar ist, kann ich glaube ich zumindest auf der Stationsebene sicher sein. Also keine Diskussion um die geschützte Station mehr… - hoffe ich.

Hin und wieder befinde ich, dass es Menschen gibt, die man nie hätte kennen lernen sollen. Und in gewisser Hinsicht gehört Herr Therapeut dazu. Ich merke, dass ich mich langsam in ihn fallen lassen kann. Er reagiert sehr ruhig auf alles, was ich ihm sage. Er kümmert sich um mich, vermittelt Sicherheit. Etwas, das ich bisher sehr selten im Leben hatte. Aber etwas, das wunderschön ist.
Es gibt nur leider einen Haken. All das ist nur auf Zeit. In ein paar Wochen werde ich wieder alleine da stehen. Sehr hart auf dem Boden der Tatsachen landen. Dann ist all das was hier passiert ist, nur noch Erinnerung. Und da ich weiß, dass solche Menschen in meinem Leben bisher eine Rarität waren und immer nur für sehr begrenzte Zeit geblieben sind, tut mir das meist einfach nur weh. 

Am liebsten würde ich ihn einpacken und mitnehmen...


***
Musiktherapie.
Die Patientin neben mir schlägt mit vollem Elan auf die Trommeln. Ich bin ihr dankbar dafür. Trauen würde ich mich das wahrscheinlich nie, in der Musik eine gewisse Führungsrolle zu übernehmen. Aber ich merke, wie die lauten Klänge in mir etwas bewegen. Etwas hervor kriechen lassen, das bisher selten da war: Wut. Ich weiß nur noch nicht, gegen wen.

Ich frage mich, wie ich auf die Idee komme, mich wieder mehr oder weniger suizidal entlassen zu lassen und meine, dass das eine gute Sache ist, in dem Zustand in den Ort in der Ferne zu gehen? Warum lasse ich mich dazu drängen, wo ich mich doch ganz allmählich darauf einlassen kann, hier ein bisschen ein Nest zu finden? Wo es doch sicher nicht der „place to be“ für einen Sommer ist, aber wo auch ein Ort ist, an dem man morgens ohne Angst aufwacht? Warum ist es bei mir so wichtig, dass ich schnell in den Job starte und bei meiner Schwester okay, dass sie bisher weder Job noch Wohnung hat? Warum kann man diesen Zustand nicht als das sehen, was es ist – nämlich eine Krankheit? Warum wird mir nicht das Recht zugesprochen, erst gesund zu werden und dann weiter zu machen? Warum muss ich meinen Halt und Menschen, die mich unterstützen, immer im Außen suchen?
Weiß mein Umfeld überhaupt, was es da macht? Wissen die um die Konsequenzen? Wissen Sie, dass sie mir immer vermitteln, irgendwie falsch zu sein? Geht es denen um mich als Menschen, oder geht es nur um die Funktion, die ich im Familiensystem habe?

Und was sollten die Konsequenzen daraus sein? Was werde ich für eine Entscheidung treffen? Eine Gute für mich?


Mondkind

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