Psychiatrie #7 Über Krisen in der Klinik

Bloggen.
Was soll ich eigentlich schreiben?
Die Tage kommen und gehen, die Welt dreht sich – nur drehe ich mich irgendwie nicht mit.
Was aktuell passiert, ist so oft passiert in den letzten Jahren, dass ich den Mechanismus in- und auswendig kenne.

Ich glaube, derzeit realisiert nur ein Teil von mir, war hier gerade los ist. Der andere läuft einfach mit, in der Hoffnung, dass wir das irgendwie schaffen können.
Das Studium ist vorbei, es steht wieder ein Ortswechsel vor der Tür. Es gibt mittlerweile einen unterschriebenen Wohnungsvertrag für den Ort in der Ferne – nur um die Möbel müsste man sich mal noch kümmern.
Eine Zukunftsplanung, die mich nicht so glücklich macht, wie sie sollte. Denn ein Teil von mir rebelliert wieder gegen das Leben, seitdem der Fahrplan für die nächste Zeit konkreter wird. Wir wollten doch nur weiter machen, wenn es besser geht, wirft er mir vor. Und nicht, um einfach nur zu überleben und zu funktionieren.

Krise in der Klinik. Wie läuft das eigentlich? Es müsste doch einfacher sein. Man müsste doch nicht so viel Angst haben, diesen Zustand in der Klinik zu erleben. Es müssten doch Menschen da sein. 



Es ist rund eine Woche her, dass ich begonnen habe, das zu kommunizieren. Relativ schnell konnte ich einen Grund benennen, warum es vermutlich abwärts geht. Außerdem habe ich erklärt, dass ich in solchen Krisen meist ganz still werde aus Angst, andere zu überfordern und weil ich allgemein der Meinung bin, mich so keinem mehr antun zu können. Man würde mir helfen, wenn man gelegentlich fragen würde, wie es mir geht.
Gemacht hat das am Ende aber keiner. Und als ich mir irgendwann nicht mehr anders zu helfen wusste, habe ich eine Mitpatientin gefragt, ob sie mit mir zur Pflege geht, weil ich es allein nicht schaffe.

Ich habe mir ja extra die Pflegerin ausgesucht, mit der ich bisher am Besten zurechtkam. Die irgendwie einen sympathischen Eindruck vermittelt. Einen fürsorglichen Eindruck. Die vage Hoffnung weckt, mich nicht allein damit zu lassen.
Geklappt hat das nicht.

Ich sitze kaum; unglaublich verletzbar. „Was fällt Ihnen eigentlich ein?“, ist ihr erster, lauter Satz, bei dem sich ihre Stimme beinahe überschlägt. Ich kenne sie so nicht. Kann so schnell gar nicht schalten, was da gerade passiert. „Sie haben unterschrieben, dass Sie mit solchen Dingen zu uns kommen und nicht mit Mitpatienten darüber reden. Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie es der Mitpatientin jetzt geht… Ihnen ist klar, dass ich Sie jetzt auf die Geschlossene legen muss…“
Wenn Mondkind Regeln bricht, dann muss es brennen. Sehr brennen. Normalerweise geht sie nicht mal bei rot über die Straße. Nur zu wissen scheint das hier keiner. Die Not kann keiner sehen. Und das Erste, das sie einsehen muss ist, dass sie einen Fehler gemacht hat. Und Fehler sind verboten.
Die Sätze, die damals nicht den Weg ins Tagebuch finden dürfen, dürfen zehn Jahre später immer noch nicht den Weg in den Raum finden. Es gibt Themen, mit denen ist man allein. Immer und egal wo.

Mir wird unterstellt, was mir gern unterstellt wird. Ich gebe mir keine Mühe, sagen sie. Und versuche es nicht. Ein seltsamer Schmerz in der Magengrube. Eigentlich habe ich es noch nie so sehr versucht, wie jetzt. Weil ich weiß, dass es meine letzte Chance ist. Wenn ich in dem Zustand in den Ort in der Ferne gehe, habe ich  verloren.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, in welchem Licht man mich hier sieht. Vermutlich will ich es auch gar nicht wissen. Gut scheint es nicht zu sein.
Dass ich in dem Zustand die letzten sieben Monate überlebt habe, das Chirurgie – Tertial durchgezogen und ein Examen bestanden habe, sieht man nicht. Irgendwann wird es doch wohl mal erlaubt sein, ein paar Tage nicht mehr zu können. Natürlich sage ich das so nicht. Das denke ich nur.
Außerdem habe ich doch die für mich belastendsten Themen die es gibt und für die ich in der Ambulanz Jahre lang gebraucht habe, direkt in den ersten Tagen auf den Tisch gelegt. Beim letzten Klinikaufenthalt kam ich mit der Suizidalität eine Woche vor der Entlassung um die Ecke – da konnte man nicht mehr daran arbeiten. Und Der Ort in der Ferne ist genauso viel Zukunft, wie Vergangenheit. Weil es all die Themen vereint. Mir gezeigt hat, was mir so lang gefehlt hat und Wege geebnet hat, die mich irgendwann vielleicht ein bisschen heilen könnten. Denn es mag ja sein, dass das Leistungsdenken der Eltern mich ein bisschen zu perfektionistisch gemacht hat. Aber was da wirklich gefehlt hat, war Rückhalt, Vertrauen, Liebe.

Ich werde gefragt, was ich jetzt brauche. Aber nach der Standpauke bin ich schon wieder im Schneckenmodus. Obwohl ich es weiß. Aber realisieren lässt es sich ohnehin nicht.

Das ist übrigens schon der zweite Versuch, der schief gegangen ist. Tags zuvor hatte ich selbst noch eine Pflegerin angesprochen. Die musste dann aber mitten im Gespräch weg und erklärte mir, dass sie später nochmal auf mich zukommt. Das ist auch erstmal in Ordnung, wenngleich so eine Unterbrechnung bei schwierigen Themen natürlich immer ungünstig ist. Allerdings ist sie dann später nach Hause gegangen, ohne vorher nochmal bei mir vorbei zu kommen. Wenn wir das Gespräch nicht hätten weiter führen können, weil sie Feierabend hat, wäre das sogar auch in Ordnung gewesen. Aber dann hätte sie mir wenigstens Bescheid sagen und mich an einen anderen Pfleger verweisen können. Auf die Art wurde der Vertrauensvorschuss, den ich hier nun mal liefern muss, wieder empfindlich gestört.

Aktuell meide ich das Stationszimmer. Während die Rebellion gegen das Leben in mir Saltos schlägt. Panzerherz. Und Panzerkopf. Gefangen in mir selbst. Da ist so viel Chaos, das sämtliche Therapieinhalte keinen Platz mehr haben. Und auch kein sonstigen Informationen und Eindrücke. Die Imagination in der Einzelsitzung lässt mich kalt. Dass der Hund meiner ehemaligen Vermieterin gestorben ist auch, obwohl ich das Tier wirklich geliebt habe. Dass eine gute Freundin von mir den Kontakt abgebrochen hat, berührt mich im Moment nicht. Ich habe auch nicht die Kraft, das auszudiskutieren, was genau sie jetzt so gestört hat, dass sie nicht mehr mit mir reden möchte.
Die Welt hat ihre Farben verloren.

Der Musiktherapeut erklärt mir, dass es meine Aufgabe ist, auf die Menschen zuzugehen und aktiv mal eine Stunde Zeit einzufordern. Dass ich das in meiner jetzigen Situation einfach nicht kann, scheint dabei keine Rolle zu spielen. Ja, ich muss mutiger werden. Aber nicht jetzt. Jetzt muss ich erstmal die Tage überleben.

Morgen habe ich noch ein Einzelgespräch am Nachmittag. Was ich daraus mache, weiß ich noch nicht. Vielleicht schreibe ich einen Zettel. Und dann hoffe ich, dass der Therapeut einfach mal zuhört. Manchmal kann man nicht mehr tun, als da sein. Und im Moment brauche ich einfach nur jemanden, der das mit mir aushält.

Mondkind

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