Psychiatrie #8 Vertrauen
Es wird hell und wieder dunkel.
Kaum merklich hat sich mittlerweile ein Monat vorbei gedreht. Vier Wochen
Klinik liegen hinter mir. So langsam gehöre ich schon zu den alten Hasen. Viele
sind gegangen, genauso viele Neue sind gekommen.
Ich fühle mich etwas verloren
hier auf der Station. Als hätte ich selbst einen schützenden Mantel um mich
herum gelegt, der die Extreme versucht abzufedern. Damit wir nicht mehr so
schutzlos fallen können. Weil die Klinik nicht so viel Schutz bieten kann, wie
wir das gern hätten und uns erhofft haben.
Die letzte Woche hat mich auf die
Probe gestellt. Kann ich hier überhaupt noch versuchen, irgendwem zu vertrauen?
Möchte ich das überhaupt noch?
Aber selbst, wenn man sich als
Patient am liebsten entlassen würde, so sitzt man am Ende doch immer am
kürzeren Hebel. Denn wie es zu Hause weiter gehen soll, weiß man eben auch
nicht. Und dann bleibt man eben. Damit man überlebt. Ein Plan zumindest für ein
paar Wochen. Wie es danach weiter gehen soll… - darüber möchte ich im Moment
gar nicht nachdenken.
Freitag. Das Einzelgespräch
sollte eine Menge reißen.
Ich bin vorbereitet. Zumindest
glaube ich das. Einen Zettel habe ich geschrieben. Denn wie soll ich das
mündlich erklären? Ich kann doch nicht sagen, dass die Kollegen genauso
gehandelt haben, wie ich das befürchtet hatte. Und über die Suizidgedanken kann
ich auch nicht locker flockig reden.
Wir sitzen uns gegenüber. Ich
rede nicht viel herum. Erkläre, dass ich einen Zettel mitgebracht habe. „Ich
würde gerne zeigen, dass ich auch in der Lage bin mit Ihnen persönlich zu reden
und wir keinen Zettel dazwischen brauchen“, erklärt der Therapeut und
unterbindet meinen Plan. Das mag zwar gut gedacht sein, hilft mir aber absolut
nicht weiter. „Worum geht es denn?“, fragt er. „Um zwei Situationen, die sich
diese Woche ereignet und die dazu geführt haben, dass ich das Vertrauen in das
Team da oben ziemlich verloren habe und aktuell einen großen Bogen um das
Stationszimmer mache. Das ist aber ein Problem, weil ich ja dadurch komplett
alleine mit allen Sorgen bin.“
Um welche Situationen es gehe,
möchte er wissen. Langes Schweigen auf meiner Seite. „Wann haben die sich denn
ereignet?“, fragt er. „Dienstag- und Mittwochabend“, gebe ich zurück. „Und was
ist da passiert?“, fragt er.
Als ich vom Dienstag rede, führe
ich nur aus, dass ich das nicht in Ordnung fand mich mit einem schwierigen
Thema am Ende doch alleine zu lassen, obwohl man mir gesagt hatte, dass man
nochmal auf mich zukommt. Und über den Mittwoch schweige ich. Minutenlang
schaue ich die Wand an. Man hört nur unser Atmen. Ich kann es nicht. Ich kann
dieses Wort nicht aussprechen ihm gegenüber. „Es ging um „negative Gedanken““,
versuche ich die Sache irgendwann zu umschreiben. „Das hat für Patienten und
Therapeuten meist eine unterschiedliche Bedeutung“, erklärt der Therapeut. „Für
uns sind das meist negative Kognitionen, die Patienten meinen damit aber
meistens etwas anderes.“
Mir ist hundert prozentig klar,
dass er weiß, worum es geht. Er hat ja auch den Verlauf gelesen und sollte mit
dem Stichwort „Mittwochabend“ etwas anfangen können. Was er auch kann – das sehe
ich ihm an.
Irgendwann steht er auf, nimmt
seine Stifte zur Hand und erstellt ein Tafelbild. Unter den „inneren Kritiker“
schreibt er „Suizidgedanken“. „Kommt das hin?“, fragt er. Ich nicke dankbar und
flüstere ein kaum hörbares „Ja“.
Gedanken seien ja nun erstmal nur
Gedanken, erklärt er mir. Er könne zum Beispiel – unabhängig davon, ob das nun
stimmt oder nicht – auch häufiger den Gedanken haben, jemanden die Treppe hinab
zu schubsen, ohne das zu tun.
Es werde nur dann ein Problem,
wenn Gedanken zu Handlungen werden.
Dann geht es ganz lange darum,
dass es jetzt keine Lösung sein kann, nicht mehr ins Pflegezimmer zu gehen und
ich mich dadurch ja auch sehr eingeschränkt und unsicher fühle. Außerdem muss
ich darüber ja weiterhin reden, damit wir nicht dasselbe Problem wie beim
letzten Klinikaufenthalt bekommen.
Schema – Therapeutisch hat jetzt
die Erfahrung die Angst vor Ablehnung so sehr verstärkt, dass ich als
Bewältigungsmodus in die Vermeidung gegangen bin und eben gar nicht mehr rede.
Und das könnte dann auch der
Ansatz einer Lösung sein, indem ich mit genau dieser Erklärung zu den Pflegern
gehe.
„Wir sind ja auch
Verhaltenstherapeuten und deshalb üben wir das jetzt“, erklärt der Therapeut
und plaziert mich vor seinem Büro. „Jetzt tun Sie mal so, als sei das hier das
Stationszimmer und ich bin der Pfleger…“
So etwas liebe ich ja… - nicht.
Es geht nicht darum, dass ich das inhaltlich nicht grundsätzlich formulieren
und vor mich hin sagen könnte. Aber anderen zu erklären, dass ich etwas nicht
in Ordnung fand und mit Wünschen, wie man stattdessen mit mir umgehen sollte,
um die Ecke zu kommen, finde ich ganz schwierig. Und entsprechend holprig wird
es.
Anderthalb Stunden sitzen wir da
am Ende. Und ehrlich gesagt rechne ich das dem Herrn Therapeuten sehr hoch an,
dass er sich da so viel Mühe für mich gegeben hat.
Als ich das alles noch etwas
genauer durchdacht hatte und gegen halb Acht am Abend zur Pflege laufe, steht
ausgerechnet Herr Therapeut gerade noch im Pflegezimmer, um sich ins Wochenende
zu verabschieden. Aber da hat er zumindest noch gesehen, dass es alles etwas
genützt hat.
Ich würde den Kontakt zur Pflege
aktuell nicht als „gut“ bezeichnen. Aber zumindest haben wir die Situation
etwas bereinigt und ich weiß, dass ich im äußersten Notfall hin kann, auch wenn
ich um einige Pfleger nach wie vor einen Bogen machen werde. Aber das ist ja
immer so.
Seit heute sollte auch der „alte
Oberarzt“ aus dem Urlaub wieder da sein. Geschrieben hat er noch nicht, aber
vermutlich hat er sehr viele unbeantwortete Mails in seinem Postkasten. Ein
paar Tage sollte ich ihm also noch lassen, wenngleich ich nicht weiß, ob ein
Wechsel des Hauses jetzt noch irgendeinen Sinn hätte.
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Letztens im Park... |
Themenwechsel.
Am Wochenende war die
Examensfeier. Hier auf der Station waren alle Mitpatienten darauf bedacht, dass
ich schick aussehe. Eine hat mir ganz viele Kleider geliehen, die ich
anprobieren sollte und mir wurde auch angeboten, dass man mir die Haare machen
könne. Am Ende habe ich mein Abiballkleid genommen und mir die Frisur machen
lassen. Es sah wirklich umwerfend gut aus, das muss ich schon zugeben. Meine
Eltern kamen auch nicht umhin das anzumerken, wenngleich meine Mutter natürlich
irgendwie nicht bereit war einzusehen, dass auch Psychiatrie – Insassen etwas
auf die Beine stellen können.
Es war an sich eine schöne Feier,
aber schon etwas anstrengend. Meine Mutter hat sich die ganze Zeit über sehr
abgekapselt und war damit aber augenscheinlich unzufrieden. Also habe ich immer
wieder versucht, sie mit einzubinden, was aber nur eher mäßig gelang. Mein
Vater wollte mich am Nachmittag wieder hoch zur Klinik fahren, woraufhin sie
erwiderte, dass ihr kommuniziert worden sei, dass ich mit ihr und meiner
Schwester noch in die Altstadt gehe und die beiden mich dann zurück bringen. Ich
habe ihr das nicht kommuniziert und es wäre ja wohl das Naheliegenste gewesen,
mit mir persönlich über die Planungen zu reden. Jedenfalls stand die Situation
dann am Ende doch noch kurz vor der Eskalation.
Letzten Endes hat das aber wieder
eine grundsätzliche Frage aufgeworfen. Ich wäre ja so gern mal stolz auf meinen
Abschluss und würde mich darüber freuen. Nun waren die Umstände ja auch etwas
schwierig, aber ich kann es einfach nicht.
Das war schon eine der zentralen
Fragen beim letzten Klinikaufenthalt, für die es am Ende keine Erklärung und
Lösung gab. Warum kann ich mich nicht freuen oder stolz sein? Aktivitäten
ausprobieren bis das wieder kommt, hat seinerzeit nicht funktioniert. Wobei ich
eben meiner Meinung nach in mir selbst erstmal wieder eine positive Resonanz
fühlen müsste.
Im Moment untergäbt der Mantel um
mich herum, von dem ich eingangs geschrieben habe, aber ohnehin viele der
Gefühle. Dass der Hund meiner ehemaligen Vermieterin gestorben ist berührt mich
eben so wenig wie die Tatsache, dass der Betreuer meiner Doktorarbeit dier Uni
verlässt und das Projekt damit vermutlich endgültig gegen die Wand fährt.
Jedenfalls wird das Fehlen
positiver Emotionen sicher die Thematik meiner nächsten Einzelstunde werden.
Denn wenn man nur entweder neutral oder Negatives fühlt, landet man ganz
schnell bei der Sinnlosigkeit und von dort aus ganz schnell in der
Abwärtsspirale.
Vielleicht hat Herr Therapeut ja
eine Idee. Gut ist er ja – das muss man ihm schon lassen.
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In Gedenken an den Hund, der auch mich beinahe zwei Jahre begleitet hat... |
Mondkind
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