Zwischen Lysen und Verlusteindrücken

 Montag. 24 – Stunden – Dienst.
Als ich die Notaufnahme betrete um das Diensttelefon zu übernehmen, treffe ich auf den dienstplanverantwortlichen Oberarzt. „Mondkind, hast Du den Dienstplan für Dezember gesehen?“, fragt er. „Ja habe ich. Danke Dir“, entgegne ich. „Passt es so?“, fragt er. „Ja. Sehr gut“, entgegne ich. „Mondkind wir reden nochmal. Ich komme morgen früh ein bisschen früher und dann schauen wir, ob wir kurz Zeit finden.“

Um 19:20 Uhr brauche ich das erste Mal meinen Oberarzt im Hintergrund. Ich rufe die Rezeption an und lasse mich verbinden. „Ich habe hier einen Patienten, der um 15 Uhr akut eine motorische Aphasie entwickelt hat, im CT sehe ich noch keinen Infarkt, die Angio ist unauffällig. Wir sind im Zeitfenster, Kontraindikationen sind ausgeschlossen, ich würde ihn jetzt lysieren“, referiere ich kurz. Mein Gegenüber möchte sich noch schnell selbst die CT – Bilder anschauen und ruft mich drei Minuten später zurück. „Kannst Du lysieren Mondkind. Aber pass auf den Blutdruck auf, okay?“ „Habe ich im Blick, ist gerade bei 170 mmHg systolisch, ich messe jetzt nochmal und habe das Urapidil schon griffbereit. Ich hoffe, das war jetzt der Herzrasen – Moment für den Dienst…“

Die Nacht ist verrückt. Ein Patient nach dem anderen kommt mit dem Rettungsdienst und auch Covid ist zurück und macht uns das Leben in der Klinik nicht leichter. Irgendwann gegen ein Uhr wird es etwas ruhiger in der Notaufnahme. Ich klappere meine Stationen ab, erledige dort meine To Do’s und als ich mich gerade zum Briefe schreiben zurück ziehe, geht der Stroke Alarm schon wieder.
Halb 2 in der Nacht. „Ich brauche bitte meinen Oberarzt im Hintergrund“, erkläre ich der Dame an der Rezeption. Wenig später habe ich meinen verschlafenen Hintergrund in der Leitung. „Ich habe hier einen Patienten der ist gegen Mitternacht zu Hause umgekippt, ob er intial bewusstlos war, kann keiner sagen. Traumafolgen gibt es, soweit man das jetzt beurteilen kann, nicht, Schmerzen gibt er nicht an. Jetzt hat er aber eine Hemi links, eine Blickwendung und eine Dysarthrie, er ist im Zeitfenster, es gibt keine Kontraindikationen, ich würde ihn lysieren.“ „Mondkind, das ist die zweite Lyse in Deinem Dienst…“ „Ja ich weiß, aber was kann ich machen…?“

Nächster Morgen. Bilanz der Nacht: Mehr als 10 Aufnahmen, zwei Lysen, drei Covid – Patienten, die mich beschäftigt haben. Null Minuten Schlaf. Und statt des Gesprächs, das der Oberarzt und ich führen wollten, muss ich mich um die letzte Patientin des morgens kümmern, die mit Kopfschmerzen, Drehschwindel und Erbrechen kommt.

Bis Mittag muss ich noch meine Stationsarbeit machen und dann gehe ich endlich nach Hause. Ich bin bis jetzt nicht richtig wach geworden.

Aber zwei Tage später werde ich die MRTs der Patienten sehen. Ein Mediainfarkt im Sprachzentrum – aber sehr klein (dank Lyse…?) und dem Patienten geht es auch viel besser und ein beidseitiger Stammganglieninfarkt. Wie auch immer man da dran kommt, aber auch dem Patienten geht es besser.
Und ich… - bin tatsächlich mal ein kleines bisschen stolz auf mich. 

Herbst - look

 

Zeitgleich. Über die Tage verteilt.
Ich telefoniere mit einem Bekannten. Den ich noch von Klinikzeiten kenne. Und irgendwie für einigermaßen geeignet hielt. Ich erzähle von meinem Besuch bei der Mutter des Freundes. Von der Erschütterung; davon, dass es am Ende meistens richtig war mich auf mein Bauchgefühl zu verlassen und mein Bauchgefühl sagt mir, dass es hätte okay werden können.

„Aber Mondkind. Ihr habt nicht zusammen gewohnt. Ihr wart kein Paar.“
Hätte [der Freund] noch zwei Monate länger gelebt und hätten wir nur eine Woche zusammen in dieser Wohnung gelebt, hätte ich heute ein anderes Recht zu trauern. Es ist unglaublich, was die Menschen sich alles herausnehmen. Man muss auch die Zeitlinie sehen, die wir hatten. Und vielleicht war es keine klassische Beziehung – mit Sicherheit nicht. Allerdings können viele klassische Beziehungen mit weit weniger Kommunikation laufen, als wir sie hatten und vielleicht kann man auch einfach mal die emotionale Verbundenheit betrachten.

Im Lauf der Woche sitze ich bei meiner Therapeutin. Von der noch nicht ganz klar ist, wie sie weiter finanziert wird.
„Naja, so vom Prinzip her hat das Leben mit mir gar nicht mehr so viel zu tun. Wenn ich dazu gehören möchte, muss ich seit über 16 Monaten eine Person sein, die ich nicht bin. Die im Alltag über alles mögliche redet, aber nicht über das, was sie fast 24/7 bewegt.

Und so manchmal… - manchmal frage ich mich selbst, was von all dem echt ist. Ich habe in einem Zustand, in dem ich mich nicht mehr sonderlich zurechnungsfähig fühle, einen der heftigsten Dienste meiner bisherigen Karriere hingelegt und zeitgleich ging es die letzten Wochen so steil bergab, dass ich selbst nicht mehr mitkomme. Bis vor wenigen Wochen habe ich noch einen Klinikaufenthalt kategorisch ausgeschlossen, mittlerweile frage ich mich, ob ich es bis dahin überhaupt noch schaffe.“

„Ich glaube, ich hab’s irgendwie versucht. Ich habe mehr als 16 Monate irgendwie das versucht zu internalisieren, was mir die Leute gesagt haben, weil ich wusste, dass ich sowieso keine andere Chance habe, wenn ich noch Teil der Gesellschaft bleiben wollte. Das hat man mir in der Klinik damals schon deutlich gemacht: Entweder Du akzeptierst, dass es „nur“ ein Freund war, oder Du landest hier auf dem Abstellgleis. Und die Menschen in meinem Umkreis waren genauso eingestellt. Aber nach dem Besuch bei seiner Mutter habe ich mal wieder festgestellt: Das Mondkind – Bauchgefühl war noch nie so schlecht. Und es war – im Gegenteil - so richtig in Bezug auf den Freund. Er war genau der Mensch, den ich in ihm gesehen habe. Auch, als seine Mutter seine Biographie vervollständigt hat. Da war nichts dabei, wo ich dachte: Das passt nicht zu ihm, oder das hätte ich nicht erwartet.
Ich spüre so viel Erschütterung, so viel Traurigkeit in mir, ich spüre so viel Wut darüber, wie ich mit der Geschichte behandelt werde, wie einsam es macht nicht von meinem Standpunkt weg zu rücken. Und ich würde mir so sehr wünschen, dass es einfach mal akzeptiert wird. Es kann mir niemand abnehmen – das ist schon klar – auch wenn ich diesen ganzen Schmerz ab und an gerne mal für eine Stunde abgeben würde. Ich nehme ihn selbstverständlich zurück, aber mal für eine Stunde atmen können, das wäre schön.“

Und wenig später.
„Ich würde mir so sehr wünschen, dass mal jemand auf mich zukommt. Ich glaube, der dienstplanverantwortliche Oberarzt war einer der ganz wenigen Menschen, der gesagt hat: Wir reden da nochmal drüber. Ich weiß nicht, was er mir sagen möchte, ich bilde mir ein, dass es vielleicht etwas Nettes sein könnte. Aber dann kam halt morgens die Patientin und ich weiß, dass ich das wahrscheinlich nicht sagen sollte, aber manchmal frage ich mich schon, warum die Not der Patienten immer vorgeht.“

Heute auf der Arbeit. Eine Kollegin in der Leitung.
„Mondkind Du hast gehört, wir müssen die Belegung unserer Betten wieder runter fahren, das heißt wir müssen wieder Kollegen ins frei schicken. Wir hatten überlegt, ob wir Dich schicken.“ Ich schweige eine Weile. „Ich würde lieber zur Arbeit kommen“, sage ich irgendwann. Auch, wenn ich müde bin. „War das nicht gut mit der Mutter von Deinem Freund?“, fragt sie. Eine der einzigen Kollegen auf der Arbeit, die weiß, wo ich war. „Doch. Aber ich habe es ein bisschen unterschätzt“, entgegne ich. „Und dann geht es Dir auf der Arbeit besser?“, fragt sie. „Schon, ja“, entgegne ich. Das macht zwar die Müdigkeit nicht besser, aber ich kann nicht unendlich viel weinen.

Wie das ausgeht, weiß man noch nicht. Aber natürlich ist die Mondkind wieder die erste Adresse, wenn es darum geht ungefragt und ungeplant ins frei geschickt zu werden. 
Ich weiß nicht, wie das aktuell ausgehen würde. Ich sehe wirklich kein Licht mehr. Im Moment nicht. Und es wird noch ordentlich krachen. Aber bis dahin bin ich hoffentlich in der Klinik. Wobei das alles auch nicht sicher ist, mit der aktuellen Lage.

Was genau das jetzt alles aussagen soll… weiß ich selbst nicht. Es ist eben nur sehr, sehr schwer auszuhalten. Diese Diskrepanzen. „Wenn alles klappt, müssen Sie noch fünf Wochen durchhalten“, sagte Frau Therapeutin. Ob ich das gut oder schlecht finden soll, weiß ich nicht.

 

Mondkind

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