Von Dienstmarathon und Klinikplanungen

Am Ende werden es drei Dienste in sechs Tagen gewesen sein.
Mittwochmittag, um genau zu sein.
Zwei davon ungeplant.
Ich habe schon vernommen, ich hätte auch „nein“ sagen können. Aber „nein“ sagen, wenn Jemand nicht gerade aus Befindlichkeiten nicht kann, sondern weil er wirklich krank ist, ist immer etwas schwierig.

Die Nacht war aber zum Glück relativ ruhig. Was nicht heißt, dass ich geschlafen hätte. Aber es macht dennoch einen Unterschied, ob man durchgängig Herzrasen hat und rennt, oder ob man in Ruhe seine To Do’s abarbeiten kann.

Der nächste Morgen. Erst wenn ich das Diensttelefon los sein würde, würde ich die Ruhe finden mich auf meine Vorbereitung für morgen zu konzentrieren. Da ich morgen schon wieder Dienst habe, muss ich in sechs Stunden all das schaffen, was man sonst in acht Stunden (oder mehr) macht und noch dazu muss ich einer Kollegin, die jetzt in den Urlaub geht, sämtliche Epilepsie – Patienten abnehmen. Und sonderlich viel vorbereitet hat sie nicht.

Um 10 Uhr stecken die Kollegen vom Tagdienst den Kopf zur Tür herein. „Mondkind, was machst Du hier?“, ist die erste Frage.

Während der Visitendienst mit dem Oberarzt – aka der potentiellen Bezugsperson - die Stroke Unit visitiert, bereite ich meinen morgigen Tag vor.

Irgendwann gegen Mittag laufe ich ihm nochmal über den Weg. „Mondkind, sollen wir etwas essen gehen?“, fragt er mich. Ich bin etwas erstaunt über den Vorschlag. Der Visitendienst und die Dienstärztin werden auch noch gefragt, aber sie wollen nicht mitkommen. „Mondkind, sonst isst Du den ganzen Tag wieder nichts.“ Wir haben kürzlich darüber gesprochen, dass die Arbeitsmondkind und die private Mondkind so unterschiedlich sind, dass man nicht glauben würde, dass beide eine Person sind. Ich bin so erschöpft zu Hause, dass ich nach einem einstündigen Spaziergang vier Stunden auf dem Sofa liege, selbst für zwei Gänge in den Keller um die Wäsche hoch zu holen, manchmal eine Pause dazwischen brauche. Geschweige denn, dass ich zu Hause mal irgendetwas kochen würde. Zu Hause ist nur Ausruhen dran, damit ich die Arbeit irgendwie schaffen kann. Und nicht nur ausruhen. Es ist im Prinzip die völlige Lethargie, in der mir schon manchmal Reden zu anstrengend ist. „Mondkind, das wird langsam gesundheitsgefährdend“, kommentierte die potentielle Bezugsperson. Naja. So schlimm ist es auch nicht. 

Dienstzimmer...

Wir reden beim Essen. Es geht um das Klinikthema. „Mondkind, ich finde das besorgniserregend, wie es Dir geht. Auf der anderen Seite wundert es mich aber auch gar nicht.“ „Mich aber“, entgegne ich. „Es ging mir ja schon oft schlecht, aber dass ich zu Hause einfach nichts mehr auf die Kette bekommen habe – nicht mal mir etwas zu Essen zu machen – das gab es so tatsächlich eigentlich nicht. Was ist das? Ich verstehe es nicht. Bin ich zu faul?“ „Nein Mondkind, bist Du nicht. Aber ich stelle mir vor, dass es vielleicht ein bisschen wie kurz vor dem Urlaub ist, wenn man zum Beispiel ein halbes Jahr keinen Urlaub hatte. Dann sind so die letzten Wochen davor die Schwierigsten und Kräftezehrendsten. Das kennst Du doch sicher auch. Genauso wird es jetzt mit der Klinik bei Dir sein. Ich denke am Ende wird es so kommen, dass der endgültige Zusammenbruch zeitgleich mit dem Aufnahmetermin stattfindet.“ „Wahrscheinlich“, sage ich dazu nur. Und füge in Gedanken hinzu, dass dieses Klinikthema mich einfach unglaublich belastet. Natürlich ist es diesmal geordneter und geplanter; ich hoffe auch sehr, dass mir ein neues Klinikkonzept helfen kann, aber trotzdem hat es eben etwas von Versagen und ist nochmal ein Kapitel mehr, mit dem ich mich auseinander setzen muss und das mich stresst. Denn: Wie werden die Kollegen reagieren? Ich komme doch gerade recht gut mit denen zurecht, ich möchte das nicht kaputt machen. Und zeitgleich kann ich auch nicht immer damit um die Ecke kommen, dass niemand weiß wie es mir geht, der es nicht erlebt hat. Das ist zwar wahr, aber nicht das was die Menschen hören wollen wenn es darum geht, dass sie mehr Dienste machen müssen, weil ich fehle.
„Naja…“, fange ich nochmal an. „Ich bin auch gespannt, ob das dieses Jahr überhaupt noch klappt. Also ich habe gelesen, die haben lange Wartezeiten. Das beschäftigt mich halt sehr, weil ich nicht weiß, wie lange ich das noch schaffe hier. Und auf der anderen Seite hätte ich nichts dagegen, wenn ich dieses rettende Ufer zwar sehe und es vielleicht minimal Stabilität vermittelt, aber das alles noch ein bisschen dauert.“ „Mondkind…“, sagt er, „der Mann von Deiner Therapeutin ist der Chef einer der Kliniken. Was würde passieren, wenn wir unserem Chef sagen würden, dass wir ein Bett brauchen?“ „Ich nehme an, wir hätten eins?“, entgegne ich und schaue ihn fragend an. „Genau und so wird das bei Dir auch laufen.“ „Wo noch die Frage wäre, ab wann ich sozusagen gehen darf. Das muss ich ihr heute Abend noch auf den Anrufbeantworter sprechen, damit sie morgen anrufen kann“, erkläre ich ihm. „Ab Mitte Dezember. Das müssen wir hinkriegen, ich denke sehr viel länger geht es für Dich nicht mehr“, sagt er. Und nach einer langen Pause. „Verliere ich wirklich nicht meinen Job… ? Nicht dass meine Eltern mir wieder den Floh ins Ohr setzen und ich fünf Wochen Panik schiebe.“ „Du gibst dieser Klinik sehr viel. Das führt dazu, dass wir Dir so etwas halt zugestehen ohne, dass das Konsequenzen haben wird. Du musst keine Angst um Deinen Job haben. Du machst Deine Sache sehr gut. Jeder Oberarzt möchte mit Dir Dienste machen.“ „Naja. Ich fühle mich immer wie der größte Trottel auf diesem Planeten, wenn ich nachts wieder wegen irgendeinem Schmarrn die Oberärzte aus dem Bett klingeln muss“, entgegne ich.

Nach dem Essen trage ich meine Unterlagen für morgen früh zurück in den Altbau, ehe ich sie morgen Abend schon wieder alle rüber schleppen muss. Und dann gehe ich nach Hause. Und irgendwie bin ich ein bisschen dankbar für die Wendungen des Tages.

Die Mutter des Freundes hat geschrieben. Ich kann kommen. Die Zugtickets für übernächste Woche dürften preislich langsam explodieren und koordinieren müssen wir uns auch noch, aber ich denke es wäre wichtig vor der Klinik diese Orte abzuklappen, von denen ich während der Klinikzeit keine Zeit und Gelegenheit haben werde, sie zu besuchen. Damit ich schon mal weiß, wie es sich anfühlt dort zu stehen. An dem Ort, an dem die sterblichen Überreste des Freundes jetzt liegen.
Ob ich mir das jetzt in der Verfassung jetzt noch geben sollte, weiß ich nicht. Aber es sind die letzten Projekte hier. Bevor ich fallen darf. Und hoffentlich aufgefangen werde. Hoffentlich.

Am Mittwoch werden es 16 Monate. Nach dem Dienst zur Therapie (mal schauen, was da dann für Neuigkeiten gibt...), dann nach Hause und ein oder zwei Stündchen schlafen und dann kommt das Briefchen. Für die treuste Seele meines Lebens. So richtig vorschreiben geht gerade nicht. Es passiert so viel. So viel Neues. Für das ich ihn gern an meiner Seite hätte. Wobei man ja kaum sein eigenes Grab besuchen kann. Aber ich weiß, er hätte mich so etwas niemals alleine machen lassen. Ich wäre nie in der Position gewesen, dass ich niemanden hätte mitnehmen können, wenn es nicht sein eigenes Grab gewesen wäre.

Mondkind

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