Glaubwürdigkeit

„Aber so stelle ich mir halt einen normalen Zustand vor; nicht nur im Dienst. Aktiv, auf Zack, motiviert. Und das würde ich mir auch für mich von der Klinik wünschen: Dass es im Alltag nicht mehr alles so eine Überwindung und Kraftanstrengung ist. Dass mich nicht alles stresst, weil ich glaube dafür viel zu wenig Energie zu haben. Das glaubt mir halt immer Keiner, weil man mir das wahrscheinlich nicht glauben kann, wenn man mich aus den Diensten kennt, aber es ist wirklich belastend.“

„Da hast Du recht, ich kann es auch nicht glauben…“

Na dann… - ist alles gesagt. warum versuchen wir miteinander zu reden?
Offensichtlich habe ich wohl ein Problem mit meiner Glaubwürdigkeit.
Schon mein ganzes Leben lang. Meine Mutter pflegte irgendwann zu sagen: „Mondkind, das hast Du falsch verstanden“ oder „Mondkind, das nimmst Du falsch wahr“. Und wenn man mal für einen Augenblick hat durchblicken lassen, dass man nicht so stark ist, wie die Fassade, die um jeden Preis stehen bleiben muss, dann wurde man schnell wieder „auf Kurs“ gezogen.
Dass da eine Mondkind ist, die immer trauert, die immer noch nicht ihren Platz im Leben gefunden hat, die sich immer noch so sehr schuldig fühlt und die Dienste und dass sie anderen Menschen vielleicht ein winziges bisschen helfen kann, als minimale Wiedergutmachung betrachtet, das sieht niemand.
Mich sieht niemand.

Ich hätte so viel zu erzählen. Aus den Diensten. Einer mit mehr Anekdoten, als der andere. Ich könnte erzählen, wie ich letztens – quasi zufällig im Vorbeigehen, das Gespräch war nicht für meine Ohren gedacht – eine junge Patientin heraus gefischt habe, die ein Taubheitsgefühl auf einer Körperseite hatte. Ohne ein weiteres Defizit denkt niemand an einen Schlaganfall – offensichtlich weder die Pflege, noch die recht junge Patientin selbst. Ich könnte erzählen, wie ich durch die Notaufnahme gerannt bin, innerhalb von 5 Minuten ein CT organisiert und das auch noch gefahren habe, weil die Patientin ganz am Ende des Zeitfensters war und ihr meine Verdachtsdiagnose und mein Vorhaben sie zu lysieren mit den Worten: „Sie haben sicher gemerkt, dass wir hier gerade ein bisschen schnell geworden sind; ich glaube nämlich, dass sie gerade einen Schlaganfall haben“, eingeleitet habe. Ich könnte von der schnellsten Turbo – Lyse meiner bisherige Karriere erzählen, von zwei unruhigen Tagen, bis endlich das MRT vom Kopf gefahren wurde und sie tatsächlich einen – zum Glück (dank Lyse?) recht kleinen Infarkt genau dort hatte, wo die Bahnen für die Sensibilität im Gehirn durchgehen. Es geht ihr mittlerweile zum Glück besser.

Und zeitgleich könnte ich auch von Tagen erzählen, an denen ich so müde bin, dass ich kaum aufstehen kann. Dass man mich nur morgens anschauen muss, um festzustellen, dass etwas nicht so stimmt. Von der bleiernen Müdigkeit, von der endlosen Quälerei, von dem tapferen Durchschlagen durch die Tage, weil ich auch weiß, dass es nur schlimmer wird. Es kommt der Dezember, der Monat, in dem die Menschen zusammen rücken und ich gefühlt immer von den Menschen weg. Weil jeder sich in seiner eigenen Familie einigelt und natürlich gehöre ich nirgendwo hin. Und es kommt – so das nicht wegen Corona ausfällt oder verschoben wird – die Klinik. Und obwohl ich weiß, dass ich es nicht mehr sehr viel länger als einen Monat schaffen würde (und den wahrscheinlich auch nur, weil ich das Ende fast sehen kann), frage ich mich eine Menge: Wer weiß, wie die Neuro mich aufnimmt, wenn ich zurückkomme? Wer weiß, wie ich das irgendwann mal meiner Familie erkläre, wo ich eigentlich abgeblieben bin? Wer weiß, wie ich das aushalte, wenn die letzte stehende Säule bricht? Wenn ich nicht mal mehr ein funktionierender Teil der Gesellschaft sein kann. Geschweige denn, dass irgendjemand da sein wird, der mich einfach mal in den Arm nimmt oder zumindest am Telefon bleibt. Und wer weiß, ob man mir diesmal in der Klinik glaubt. Oder ob ich wieder wochenlang gegen Windmühlen kämpfe. Weil ein funktionierendes Jobleben und ein lahmendes Privatleben scheinbar zu wenig zusammen passen. Aber wenn man verinnerlicht hat, dass man – egal was ist – immer funktionieren muss, dann geht es doch irgendwie. 


 

„Mondkind, lass  [die Kollegin] in Ruhe, die schafft das nicht, es ist ihr unangenehm von Dir in Deine Probleme einbezogen zu werden.“
„Ich habe nichts gemacht, sie kam von selbst auf mich zu und hat festgestellt, dass es mir nicht so gut geht. Ich habe auch eigentlich nicht mit ihr geredet.“ Natürlich wird mir das nicht geglaubt. Und natürlich wird das so dargestellt, als müsste man schon irgendwie besonders sein, um mich im Griff zu haben.

Wahrscheinlich ist das das Problem an hochfunktionalem Tun. Es ist so viel schöner, die Mondkind nicht zu sehen. Nur die Dienste und das Jobleben zu sehen, die einwandfrei klappen. Und ganz schnell zu vergessen, dass es da eine Mondkind gibt, die nur bräuchte, dass sie jemand akzeptiert und bleibt. Dass jemand mal ein paar Meter mit ihr zusammen geht. Weil das seit bald 17 Monaten so sehr fehlt. Mit dem Freund ist ein Teil von mir mitgestorben. Nicht nur symbolisch. Nämlich der Teil, der ich war. Der bei ihm sein durfte. Genauso wie die Erfolgserlebnisse „meiner Lieblingsärztin“, wie er immer sagte.

Und am Ende ist der Blog sehr still. Weil ich einfach keine Kraft mehr habe. Für authentische Berichte eines Mondkindlebens. Weil die Tage so durch die Finger rinnen und mit ihnen all die Erlebnisse, die nur gelebt, aber nicht verabeitet werden. Weil es erst okay ist, wenn ich endlich im Bett bin. In dem Wissen, für ein paar Stunden schlafen zu können, um dann hoffentlich 2 % mehr auf dem Akku zu haben.

Mondkind

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