Pirouetten im alten Leben

Atmen.
Einfach weiter atmen. 

 


Die Menschen, denen ich mittlerweile gesagt habe, welche Reise ich diese Woche angetreten habe, finden es mutig. Die meisten – abgesehen von der potentiellen Bezugsperson – wussten das erst hinterher. Ich wollte keine Ratschläge, keine argwöhnischen Blicke, kein „Mondkind, muss das sein…?“

Ich weiß noch nicht, wie ich das alles einordnen soll. So viel wie in der letzten Woche, habe ich vielleicht die letzten fünf Monate zusammen nicht geweint.
Und obwohl ich so viel weine und das alles so furchtbar ist, bin ich so dankbar, dass das Bild meines Freundes so positiv vervollständigt wurde. Sein Verlust wiegt jetzt noch schwerer als vorher, aber ich weiß, dass er der Mann war, mit dem ich mein Leben hätte verbringen können. Mit dem ich das beste Leben hätte haben können. Wenn wir in uns und den anderen hätten vertrauen können, wenn uns beiden nicht die Krankheit dazwischen gerätscht wäre.

Gerade bin ich dabei, einen Text zu organisieren, den er mal für ein Kunstprojekt in einem Buch geschrieben hat. Ich habe den Autor aufgetrieben und er hat gesagt, dass er ihn für mich sucht.
Aus allen whatsApps erstelle ich mittlerweile ein Buch. Und wir haben irre viel geschrieben dadurch, dass wir so viel getrennt voneinander waren. Und immer wieder findet man zwischen den Zeilen kleine Liebeserklärungen: Ganz am Anfang noch: „Liebe [Mondkind] ich bin zu Hause. Es war ein wunderschöner Abend mit Dir zusammen. Du bist ein besonderer Mensch für mich. Ich bin froh, dass es Dich gibt.“ Und dann irgendwann: „Wie süß der Satz wegen der Aussage mit einer gemeinsamen Zukunft. Mach Dir mal keinen Stress, okay? Du musst mir jetzt sofort keine Aussage darüber machen. Wir sind ja nicht bei der Polizei ;) Ich lauf Dir nicht weg, versprochen. Hab Dich lieb.“ Und irgendwann schon ein, zwei Monate später: „Ich vermiss Dich jeden Tag, den ich Dich nicht sehe. Kann nichts dagegen machen…“

Und so brutal, wie all die Begegnungen, all die Erinnerungen auch waren, so sehr wie ich manchmal das Gefühl habe, dass der Herz einfach aufhören muss zu schlagen, weil es immer noch so weh tut, so dankbar war ich auch mein altes Ich besuchen zu dürfen. Nochmal ein bisschen die alte Mondkind zu spüren, die das zwar nie so richtig glauben konnte, aber sich doch irgendwo geehrt gefühlt hat. Nochmal eine Mondkind zu besuchen, die am Ende des Tages doch noch einen Funken Hoffnung und Zuversicht hatte. Ich kann das heute nicht mehr fühlen, aber allein die Mondkind von damals nochmal tanzen zu sehen, berührt das Herz seltsam.
Eine Mondkind, für die die Antwort auf "Mondkind wie machst Du das eigentlich alles?", der Freund war.

Noch von der Reise. Heimatbahnhof des Freundes...

Aktuell muss ich die Unterlagen für die neue Klinik ausfüllen. Es fällt mir sehr schwer schon wieder die ganzen Insuffizienzen aufzuschreiben. Und mit diesem ganzen Klinikaufenthalt habe ich ohnehin noch sehr zu kämpfen. Ich habe wirklich meine Oberärzte im Rücken, es muss mir diesmal niemand erzählen, dass ich meinen Job verlieren werde. Und selbst von denen werden langsam Stimmen laut, die behaupten, dass sich kein Mensch so einen Schicksalsschlag aussucht und dass ich alles Recht der Welt habe dafür zu kämpfen, dass es minimal besser wird. Aber trotzdem fühlt es sich wie Versagen an. Schon wieder nicht geschafft.
Ich habe die alten Unterlagen raus gesucht, die ich für Herrn Kliniktherapeuten ausfüllen musste (die habe ich Fuchs alle vorher fotografiert, damit ich selbst noch weiß was drin steht während des Aufenthaltes) und schreibe dort ein bisschen ab.

Es kommt mir schon so irre lange her vor, dass ich ihn das letzte Mal über den Flur habe hüpfen sehen. Und noch länger her, dass wir uns verstanden haben. Er arbeitet mittlerweile auch nicht mehr in der Klinik und in der Rückschau sind wir in einer seltsamen Naivitäts – Bubble gefangen. Wir haben versucht mein Leben vom Dunkel zu befreien, von diesen depressiven Gedanken und negativen Leitsätzen ohne zu wissen, dass das alles nichts bringt, weil die Dunkelheit die auf mich wartet so übermächtig ist, dass dysfunktionale Leitsätze keine Rolle mehr spielen werden. Oder zumindest nur noch eine sehr marginale Rolle... 

Und jetzt sitze ich hier. Mit meinen Kerzen.
Und wenn ich jetzt gerade etwas sagen dürfte zum Freund, dann wäre es: Danke für das Leben, das wir gemeinsam hatten. Manchmal muss man sich fragen, ob Zukunft noch Sinn hat, ob das nicht nur eine Verlängerung der Tage und eine Multiplikation von Leid wird und vielleicht ist es am Ende doch so, dass die besten Zeiten viel zu schnell vorbei gehen. Vielleicht sind meine besten Zeiten schon vorbei, vielleicht hatte ich die mit Dir, vielleicht ist das Wort Zukunft in meinem Leben zu groß, um dort noch eine Rolle zu spielen. Manche Leben sind vielleicht wie ein Feuerwerk. Kurz und dafür mit ganz viel Licht.

Ab morgen muss ich erstmal zurück in den Job. Dienst. Auch, wenn ich die Woche Urlaub hatte, das spielt keine Rolle. Niemand hat gesagt, dass das Wochenende dazu gehört. Und spätestens der erste Notfallalarm wird mich zurück in die Realität katapultieren.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen