Über die letzten Tage

Es ist interessant, wie automatisiert Krisen ablaufen.
Wie das immer und immer wieder dasselbe ist.
Seit Jahren.
Ich habe das halt nur einfach seit über einem Jahr in der Form nicht mehr erlebt.

Ich seh mir selbst dabei zu, wie all das wieder passiert, das ich von früher kenne. Und das ich ab einem bestimmten Punkt nie stoppen konnte. Ein letztes Aufbäumen vor dem Fall. Ganz viel Kontakt suchen, in der Hoffnung, dass irgendwer der Seele doch ein bisschen Schutz geben kann. Als könnte irgendwer etwas sagen, das hält. Ein Reden über den Krieg im Kopf, ohne wirklich zu erwähnen was das heißt, weil es nicht mehr tragbar wäre und die Angst vor den Konsequenzen zu groß ist. (Und nicht mal einfach beim ehemaligen Freund anzurufen (was ich nie ohne Ankündigung gemacht habe) und ihn um ein Ohr zu bitten, obwohl ich auch dann nicht weiß, was ich sagen soll, verschlimmert diesen Schmerz noch. Weil der Grundschmerz so hoch ist).
Und bald wird es still werden. Das kam immer danach. Ich war immer dankbar, wenn ich solche Zustände nicht alleine zu Hause aushalten musste. Die Zeiten, in denen es sich angefühlt hat, als würde die Seele auseinander brechen. In der Psychiatrie kannten die das irgendwann. Wussten, dass eigentlich nichts mehr Sinn hat, was Therapie anbelangt. Weil der Kopf so destruktiv unterwegs war, dass ich nichts mehr annehmen konnte. „Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr. So gern ich auch wollen würde, aber ich kann einfach nicht mehr wollen.“, habe ich mal irgendwann mal gesagt. „Das erklärt wo wir sind und warum wir dort sind“, sagte Herr Therapeut dazu.
Und dann war ich meist froh, wenn ich still irgendwo zwischen Menschen sitzen durfte. Und wenn es in der Studienstadt passiert ist, war ich ein oder zwei Wochen lang alle zwei oder drei Tage bei meiner Therapeutin. Das hatte fachlich keinen Sinn, aber mir hat es zwischendurch mal gefühlt kurz Raum zum Atmen gegeben. Und irgendwann – manchmal nach mehr, manchmal nach weniger Tagen – war es, als würde irgendetwas den Reset – Knopf drücken. Und dann ging es langsam wieder weiter. Den Mechanismus dahinter habe ich nie verstanden.
Ich hoffe, dass das jetzt alles halbwegs glimpflich über die Bühne gehen wird und mir nicht die Sicherungen durchknallen.

***
Die Ostertage stehen vor der Tür.
Ein Konzept dafür gibt es nicht.
Und gerade die Feste, an denen die Familie zusammen kommt, führten mir halt immer sehr brutal vor Augen, dass hier irgendetwas gewaltig schief läuft. Dass die emotionalen Bedürfnisse einer Mondkind da immer auf der Strecke bleiben.
Samstag muss ich arbeiten, meinen Vortrag muss ich mal zu Ende vorbereiten und wahrscheinlich werde ich auch versuchen mich viel auszuruhen, weil ich ja immer noch ein massives Problem mit der Erschöpfung habe und die Woche nach Ostern auch sehr anstrengend mit Dienst und Handwerkern im Dienstfrei wird. Ein bisschen Spazieren gehen werde ich sicher schaffen und ich hatte schon überlegt, ob ich mal ins Umland fahre und vielleicht eine kleine Wanderung versuche, wenn mein Zustand das hergibt. Aber da muss ich gut schauen, was die Temperaturen machen, weil es nachts bei uns immer noch gefriert und ich schon die Sommerreifen drauf habe.

Aber am Ende bleiben halt solche Feste auch immer die Frage: Wie kriege ich die Zeit krisensicher über die Bühne? Alle sind mit ihren Familien beschäftigt – das ohnehin nicht richtig vorhandene professionelle Helfersystem funktioniert natürlich auch nicht – wenn die Hütte brennt, dann brennt sie. 





***

Gestern Abend.
Nachdem der Spätdienst ruhig anfing, war natürlich abends wieder eine Menge los.
Ein älterer Herr war recht interessant. Er kam mit Fieber und war psychopathologisch auffällig mit einer Verlangsamung und einer leichten Verwirrtheit, außerdem wirkte er ein bisschen apraktisch. Ich war schon kurz davor, das alles auf einen Infekt zu schieben, aber irgendwie schien mir das doch etwas zu neurologisch für einen Infekt. Also habe ich ihn doch nicht versucht zuerst internistisch zu triagieren, sondern habe mir den Herrn genauer angeschaut. CT und Doppler haben nichts gezeigt, aber die Entzündungszeichen waren trotz des Fiebers auch nicht so hoch, dass man ihn hätte für so auffällig halten müssen. Also habe ich ihn noch um EEG geschickt und da kam dann ein fokaler Status mit PLEDs – Muster raus. Mit Benzodiazepinen haben wir ihn nicht raus bekommen, also mussten wir ihn dann mit einem Antiepileptikum schnell aufsättigen, worunter er leider komplett delirant geworden ist – das kann passieren bei dem Medikament. Dafür war er raus aus dem Status. Mal schauen, wie es ihm heute geht; ich hoffe besser.

Ich bin auf dem Heimweg und spüre mal ein bisschen in mich hinein.
Es ist seltsam normal geworden, wieder alleine zu sein. Mein Kopf hört auch langsam auf, automatisiert zu denken, wie ich die Dienste so gestalten kann, dass der ehemalige Freund und ich so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen können. Ich habe freitags nicht mehr im Kopf, dass ich noch packen muss, um danach schnell in die Nachbarstadt zu fahren. Es wieder normal geworden samstags im heimischen Bett aufzuwachen, abends alleine einzuschlafen, den ersten Kaffee am Wochenende an meinem eigenen Tisch zu trinken und ich fange langsam an mich darauf zu freuen, wenn es endlich warm genug sein wird, um mit dem Kaffee morgens auf den Wintergarten zu ziehen.
Und langsam wäre es glaube ich – umgekehrt – wieder etwas gewöhnungsbedürftig, das Wochenende woanders zu verbringen.

Es hat bald vier Monate gedauert, um zurück zu diesem Zustand zu kommen. Das ist etwa 80 % der Zeit, die wir überhaupt zusammen waren. Und diese vier Monate haben unglaublich weh getan. Ob der Schmerz jetzt besser ist, weil der Grundschmerz so hoch ist, oder ob das nochmal in dem Ausmaß der ersten Tage zurückkommt, weiß ich auch noch nicht.
Aber ich habe mir mal die Frage gestellt: Hätte ich am Anfang gewusst, dass es nur sechs Monate werden, hätte ich mich darauf eingelassen? Und macht so etwas im Gesamten Sinn, sollte ich mich nochmal verlieben? Ich hatte mal eine Bekannte, die mir gesagt hat, dass sie Beziehungen im Gesamten für sinnlos hält, weil die Meisten davon statistisch gesehen nicht halten und sie deshalb lieber auf gute Freunde setzt. Mich hat diese Aussage damals etwas irritiert; mittlerweile kann ich das besser nachvollziehen.
Ich habe immer gedacht, dass die Facharzt – Lernzeit ganz schwierig für den ehemaligen Freund und mich wird. Weil er diese Facharztprüfung immer als Formalität betrachtet hat, was sie definitiv nicht ist. Ich dachte, da werden wir Reiberein kriegen, aber das wäre in anderthalb Jahren gewesen, wahrscheinlich eher mehr.
Ich glaube hätte ich es gewusst; der Schmerz wäre mir zu viel gewesen. Das Leben gesehen zu haben nachdem ich mir das nach dem Tod des Freundes so sehr gewünscht habe und wieder umdrehen zu müssen, war sehr, sehr hart. Und wer weiß, wo ich heute ohne den Intensiv – Oberarzt wäre.
Aber man muss die Dinge akzeptieren. Kurz bevor wir zusammen gekommen sind, wollte der ehemalige Freund mit einer anderen Frau zusammen sein, die von dieser Idee nicht so begeistert war. „Sie will einfach nicht“, hat er mir damals am Telefon gesagt und in diesem Satz steckte wirklich viel Schmerz; ich kann mich gut dran erinnern. Dasselbe muss ich jetzt über ihn sagen. Er will nicht und ich kann nichts ändern. Beziehung bleibt ein Wunder.

Ich glaube, über die Monate kristallisiert sich auch eine Art des Vermissens heraus. Natürlich vermisse ich ihn immer noch sehr. Aber es ist ein anderes Vermissen als das des verstorbenen Freundes. Mit dem verstorbenen Freund war es eine Beziehung die insbesondere auf einer emotionalen Ebene lief. Ich glaube, ich habe mich nie irgendwo so verstanden gefühlt, es gab keinen Menschen, der mich besser kannte, mit dem ich mehr teilen konnte. Ich habe nie mehr blindes Verstehen erlebt und ich vermisse das bis heute ihn einfach so anrufen zu können, zu erzählen wie es mir geht und ein tiefes Verstehen zu erleben.
Mit dem ehemaligen Freund war das eine Beziehung auf einer sehr körperlichen Ebene. Wir hatten selten mal gute Gespräche, obwohl ich die sehr genossen habe, wenn er sich mal darauf einlassen konnte. Aber was mir wirklich fehlt, ist körperliche Nähe. Zu ihm muss ich sagen, dass es wahrscheinlich nie einen Menschen gab, der körperlich näher an mir dran war und das fehlt mir langsam sehr. Aber auch daran werde ich mich hoffentlich gewöhnen. Aber so eine körperliche Sehnsucht zu spüren, ist noch neu für mich.

Erstmal muss ich jetzt in den Spätdienst. Heute haben eine sehr liebe Kollegin und die potentielle Bezugsperson (die das definitiv nicht mehr ist; was habe ich mich über ihn geärgert in den letzten Monaten) zusammen Dienst. Die potentielle Bezugsperson findet immer Aufgaben und die Kollegin befindet immer, wenn wir nichts zu tun hätten (was selten vorkommt), könnten wir immerhin noch zusammen Kaffee in der ZNA trinken. Ich bin also darauf eingestellt: Egal was heute passiert – aber ich komme spät heim.

Startet alle gut ins Osterwochenende.
Ich hoffe viele meiner Leser können ein bisschen Zeit mit Freunden oder Familie verbringen.


Mondkind


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