Vom Dienst und einem Gespräch mit dem Oberarzt

Dienst.
Von Donnerstag auf Freitag.
Mit der potentiellen Bezugsperson.
Während er den ganzen Tag ultra genervt war und ich schon wirklich Angst hatte, mit ihm auch noch die Nacht verbringen zu müssen, bessert sich seine Laune am Abend.
Prinzipiell ist der Dienst aber nicht so der Knaller. Mit insgesamt elf Aufnahmen gibt es noch zwei Schmankerl. Zuerst habe ich einen Patienten, der mit seinem Auto gegen den Rasenmäher in seinem Garten gefahren ist; die ganze Situation muss wohl ein bisschen bizarr gewesen sein, sodass die Nachbarn die Polizei gerufen haben. Die hatten erkannt, dass der Patient sehr verwirrt ist und haben den Rettungsdienst dazu gerufen, der ihn schließlich ins Krankenhaus brachte. Der mehrere hundert Kilometer entfernt lebende Sohn wusste dann zu berichten, dass der Vater wohl schon länger verwirrt sei, fehlerhaft in der Handlungsplanung sei und zunehmen Wahnvorstellungen entwickle. Zunächst war der Patient noch recht lammfromm, ist auch mit ins CT gegangen. Mein Oberarzt meinte schon, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als ihn aufzunehmen und den mutmaßlichen dementiellen Prozess abzuklären, aber dass ich schon mal anfangen soll, Neuroleptika und Beruhigungsmittel einzudosieren. Der Riecher war auch gut, denn bevor ich das tun konnte entwickelte zunehmend die Idee, dass sich das Personal gegen ihn verschworen habe. Er wurde aggressiv und handgreiflich und ließ sich auch vom dazu gerufenen Security – Personal nicht einschüchtern, sodass es schließlich die Polizei brauchte. Erst dachte ich, dass das vielleicht noch eine Wirkung hat, aber das hat auch nichts mehr genützt. Also mussten wir akzeptieren, dass sich der Patient nicht behandeln lassen wollte. Da die Polizei (der Patient ist dort schon hinreichend bekannt) und ich allerdings eine Fremdgefährdung postulierten, musste der Patient in Begleitung der Polizei und gegen seinen Willen in die Psychiatrie gebracht werden. Das sind Dramen. Nicht nur für uns, sondern auch für die Patienten. Die verstehen das ja wirklich nicht in dem Moment. Erst kürzlich hatte ich einen, der in Begleitung der Ehefrau kam, nachdem er fast das Haus angezündet hätte und sich bis dato auch nicht untersuchen lassen wollte.
Kaum bin ich damit fertig kommt ein junger Patient im Status – bis ich den raus gebracht hatte, waren auch Stunden vergangen, sodass ich in der Nacht auf exakt Null Minuten Schlaf komme.

Mittlerweile müssen wir in der Frühbesprechung nicht mehr mit Maske sitzen und ich muss ausgesehen haben, wie eine wandelnde Leiche.
Am Tag vorher hat der Oberarzt mir noch angeboten, dass wir uns nach dem Dienst noch treffen können und er den zweiten Oberarzt alleine auf Visite schickt. 





Es ist kurz nach 10 Uhr am Morgen, als ich im Keller vor der intensivstation stehe, ich bin seit halb 7 Uhr in der Früh am Vortag wach. Aber da der Oberarzt jetzt zwei Wochen im Urlaub ist, müssen wir uns heute nochmal sehen, wenn wir uns vor seinem Urlaub sprechen wollen. Und da es gerade ordentlich kracht, ist das wichtig.
Ich habe selten einen Menschen erlebt, von dem ich mich so gesehen gefühlt habe.
Er erklärt, dass er viel nachgelesen hat die letzten Wochen um zu verstehen, wie es mir geht. „Ihr Leidensdruck ist immens, das spüre ich. Und das was Sie so leiden lässt, ist rational nicht mehr erklärbar. Weder mit dem Tod Ihres Freundes, noch mit der Trennung von Ihrem letzten Freund. Frau Mondkind, die Depression fängt dort an, wo rationale Erklärungen für einen emotionalen Zustand aufhören. Und Sie hängen da zu tief drinnen. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten und ich kann nicht in Sie reinschauen, aber ich denke diese Gespräche gerade bringen kurzzeitig Entlastung, aber langfristig überhaupt nichts. Sicher haben Sie Ihre Baustellen, aber Sie sagen ja selbst, dass Sie nicht mehr wissen, worüber Sie reden sollen, weil das einfach zu tief geht und zu viel ist. Ihnen steht das Wasser bis zum Hals, das spüre ich. Und da muss erstmal eine medikamentöse Therapie her, die Ihnen eine Basis schafft, auf deren Grundlage Sie dann vielleicht auch die Dinge besprechen und bearbeiten können, die Sie in der Hand haben.“ Wir schweigen eine Weile. „Sie haben ja schon eine Medikamentenhistorie, wenn ich richtig verstanden habe“, sagt er. Ich nicke. „Und das hat nie geholfen, oder wie?“, fragt er. „Naja, so richtig nicht. Aber ich war dann auch immer schnell der Meinung, dass ich das nicht mehr brauche, wenn es mir ein bisschen besser ging.“ „Und das ist wahrscheinlich auch ein bisschen ein Fehler Frau Mondkind. Ich kann das schon nachvollziehen  - Sie schämen sich ja sehr für ihren psychischen Zustand, obwohl das nichts ist, das Ihnen peinlich sein muss und Sie tun so viel hier auf der Arbeit – Sie müssen auch keine Angst haben, dass Sie sich darauf ausruhen. Aber dann wollten Sie immer so schnell es ging nichts mehr damit zu tun haben.“ Ich nicke. „Jetzt sind ja auch 30 % der Frauen Therapieversager; Sie wissen, das ist alles viel Experimentieren, aber das muss jetzt sein.“ Und dann versichert er mir nochmal, dass niemand daran Schuld hat. Weder die Menschen, die eben nicht bleiben konnten, wie der verstorbene Freund oder der ehemalige Freund noch ich selbst. An einer Depression hat niemand Schuld.
„Ihr erster Schritt ist, bei der Intitutsambulanz anzurufen und sich mal nach der Struktur dort und den Wartezeiten zu erkundigen. Und dann bin ich auch gerne bereit, mit Ihnen zum Chef zu gehen, dass wir beide für Sie da den Rahmen generieren, den Sie brauchen. Sie brauchen Zeit dafür, das schaffen Sie nicht zwischen Tür und Angeln. Und letzten Endes geht es eben – das müssen wir beim Chef auch so argumentieren – darum, Ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten.“

Später geht es um das Thema Suizidalität. Und es ist so schön, dass er da so gut reagiert und mir Raum für dieses Thema gibt. „Das ist häufig Thema in letzter Zeit, oder?“, fragt er. „Es ist halt nicht so, dass ich aktiv Lust habe, darüber nachzudenken. Aber es drängt sich halt so auf. Überall, wo ich mal länger als zwei Tage frei habe, kriege ich ein Problem, weil dann sofort ein Teil in mir ein Schlupfloch bemerkt und dass mal eben zwei Tage keiner nach mir fragt. Und es ist eben gerade schwer das Leben so wie es jetzt ist auszuhalten. Und dann gibt es da diesen rationalen Teil, der dagegen hält und der Meinung ist, dass ich ja nicht einfach gehen kann. Und dann wird es dieser viel zitierte Krieg im Kopf.“
„Aber Frau Mondkind, gerade wenn sich das so aufdrängt, dann ist das  ein Warnsignal. Und ich glaube nicht, dass es in Ihrem Fall um Aufmerksamkeit oder irgendetwas geht. Sie gehen ja damit nicht hausieren. Bei Ihnen ist das ernst und wenn wir da mit der Depression bei Ihnen so weit sind, dann muss da etwas getan werden. Und dann brauchen Sie jetzt einfach gerade ein Netz, das Sie hält. Wir – also meine Frau und ich – sind gerne weiter für Sie da, aber dann brauchen wir eben auch Fachleute. Ich kann zwar viel lesen, aber ich bin weder ein Psychiater noch ein Therapeut.“

Am Ende gibt es noch eine kleine Ansprache:„Frau Mondkind – nicht „ich gebe mir Mühe“, sondern „ich packe das an jetzt.“ Und Sie erstatten mir Bericht. Und – aber wie gesagt – alles auf freiwilliger Basis. Sie müssen es nicht. Ich bin nicht Ihr Armeechef oder so etwas. Aber ich sehe, wie Sie verblühen und das ist nicht schön. Das ist schrecklich. Aus meiner Sicht ist das schrecklich. Und das geht auch anders. Es wird eine Lösung geben.“

Als ich zu Hause das Gespräch nochmal reflektiere, bin ich so bewegt, beeindruckt und dankbar von und über diesen Menschen, dass ich darüber weinen muss und ihm das auch nochmal in einer Mail zurück melde. Ich habe mich selten so gesehen gefühlt und ich bin viel besser bereit das anzunehmen, wenn ich auch spüre, dass jemand auf mich zugeht. Bei ihm ist es, als würde er mich nicht nur treten, mich endlich zu bewegen, er umgreift und trägt die Situation auch mit. Und ich weiß, dass ich schon auch Vieles selbst machen muss und diesen Kopf und den Krieg darin auch selbst aushalten und händeln muss, aber einen Menschen mit Verständnis, der so nah daneben geht, ist so unendlich viel wert.

Jetzt ist er zwei Wochen im Urlaub... - mal sehen wie das wird. Aber er kommt wieder und dann reden wir weiter und bis dahin komme ich allein zurecht.

Mondkind

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