Wochenübersicht

 Die Woche war anstrengend. Konfrontativ.

Montag.
Der Intensiv – Oberarzt und ich hatten Sonntag geredet.
Oder eher – er hatte geredet. Unsere Gespräche bestehen mittlerweile zu großen Teilen aus Vorschlägen seinerseits, die wirklich lieb gemeint sind, aber meine Antwort dazu ist in den allermeisten Fällen, dass ich zu müde bin. Wir kommen nicht mehr weiter und drehen uns im Kreis.
In der Visite an diesem Montag klingelt mein Telefon. Der Intensiv – Oberarzt. „Frau Mondkind, ich habe mich gestern Nachmittag nach unserem Gespräch noch eine Weile mit Ihnen beschäftigt – können Sie mich bitte nochmal anrufen, wenn Sie Zeit haben?“
Und dann erklärt er ganz lieb, dass er auch langsam am Ende mit seinem Latein ist. „Bisher habe ich Ihnen ja immer gesagt, dass Sie die Zähne zusammen beißen müssen und habe versucht, Sie da ein bisschen zu schubsen, aber je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr glaube ich wirklich, dass Sie da wieder in eine ordentliche Depression rein gerutscht sind und Sie brauchen dringend externe Hilfe. Die [nächste Psychiatrie hier] hat eine Institutsambulanz, aber ich verstehe, dass Sie da vor Ihrem Psychiatriejahr nicht hin wollen. Aber dann müssen Sie sich etwas anderes einfallen lassen. Dann halt ein Stück weiter fahren, aber tun Sie wirklich bitte etwas. Es wäre schade, wenn da irgendetwas schief geht mit Ihnen. Und das heißt nicht, dass wir – also meine Frau und ich – nicht weiterhin gerne für Sie da ist. Aber Sie brauchen eben auch noch ein professionelles Helfersystem im Hintergrund.“
Ich habe das mal ein paar Tage ignoriert. Wie soll das jetzt wieder gehen? Er hat auch gesagt, dass die psychiatrische Versorgung hier auf dem Land natürlich eine Vollkatastrophe ist und dass er das schon weiß, aber ich habe mich mal schlau gemacht – wenn ich das wollen würde, müsste ich in die nächste Großstadt; da fährt man eine Stunde hin mit dem Auto. Das wird selbst vor einem Spätdienst eng, wenn ich nicht in die ZNA rotieren würde, was immer noch nicht sicher ist.
Ich habe überlegt, dass ich vielleicht meinem alten Psychiater mal eine Mail schreibe und ihn um Rat frage. Ob das jetzt alles wirklich so schlimm ist… ? Wie er das einschätzt… Ich weiß zwar nicht, ob er das so witzig findet, aber wenn es ihm zu viel ist, muss er die Mail ja nicht beantworten. (Von der ehemaligen Therapeutin, der ich Mitte März geschrieben habe, habe ich übrigens tatsächlich nichts mehr gehört… - keine Ahnung, was da los ist… - ich mache mir schon ein bisschen Sorgen. Das kam eigentlich nicht vor, dass sie sich überhaupt nicht gemeldet hat).

Mittwoch
Da gibt es diese eine Patientin.
Diese Frau, die dann irgendwann mal zugegeben hat, dass sie am Abend drei Tabletten Zopiclon und ein bisschen viel Quetiapin genommen hat. Dass sie auch nicht genau wisse, wie das passiert ist und nein, das war bestimmt nicht gewollt. Irgendwie so eine Art aus Versehen. Könnte nur sein, dass sie dadurch vigilanzgemindert wurde und deshalb zu uns kam. Und dass das ihrer COPD auch nicht so gut getan hat.
Ich spüre, wie sich in mir alles zusammen zieht, wie ich am liebsten fragen würde, ob jemand anders die Patientin weiter betreuen kann. Ich kann mich erinnern an dieses „nein Mondkind, ich nehm nicht zu viel davon und wirklich nur zum Schlafen und auch nicht täglich.“ Und ich erinnere mich, dass irgendwann das Hausärzte – hopping nicht mehr geklappt hat und der Vorrat dieser ganz sicher nicht täglich eingenommenen Medikamente nicht mehr ausreichend gefüllt werden konnte. Ich erinnere mich, wie naiv ich war. Und dass ich es ihm einfach geglaubt habe.

Ich sehe diesen Mann auf der Station. Der, der unbedingt draußen rauchen möchte trotz dessen, dass er gerade am Bahnhof einen Krampfanfall hatte. Die Pflege wundert sich über meine Geduld mit ihm. Die Haare ein bisschen kürzer und nicht ganz so zerzaust, der Dreitagebart etwas ordentlicher und dann könnten die beiden als Geschwister durchgehen. Der verstorbene Freund und er. Nur, dass der verstorbene Freund nicht geraucht hat.

Donnerstag
Ich muss kurzfristig einen Dienst einer erkrankten Kollegin übernehmen.
Es geht eigentlich. Die meisten Fälle sind nicht zu kompliziert. Um kurz vor Mitternacht meldet sich mal wieder die Intensiv – Station, aber auch das habe ich im Griff. Und obwohl ich sogar 1,5 Stunden schlafen kann, sitze ich am Morgen wahrscheinlich ziemlich müde in der Frühbesprechung. In den Diensten merke ich wirklich, dass da mittlerweile kaum noch Reserven sind. Sonst geht es gerade so, aber kompensieren kann ich fehlende Nächte kaum noch.

Freitagmittag.
Ich sollte den Funk bis 10 Uhr behalten. Pünktlich um 10 Uhr kamen fünf Notfälle gleichzeitig, deshalb haben der Kollege und ich die noch parallel abgearbeitet. Um kurz nach 12 laufe ich in Richtung Heimat



Frühling.
Wenn man 24 Stunden im Gebäude war und dann wieder die Nase an die Luft steckt, kann man fast sehen und riechen, wie ein bisschen mehr Frühling geworden ist. Auf der einen Seite ist es super schön, auf der anderen Seite beginnt jetzt wieder die Zeit, in der man hätte die Räder flott machen können und zu den ersten Fahrradtouren aufbrechen könnte. Ich erinnere mich wie traurig ich letztes Jahr war. Wir sind so lange gefahren, wie es ging und auf der letzten Tour war es schon wirklich sehr matschig, kalt und ungemütlich. Ich hatte mich damit getröstet, dass es hoffentlich einen neuen Frühling gibt, aber den gibt es ja nun leider nicht mehr. Und dann sind das die schweren Momente des Frühlings.

Dieser neue Mensch aus der letzten Woche kommt diese Woche nicht. Wir hatten kaum Kontakt, weil auf der Arbeit zu viel zu tun war und das Energielevel zu gering war. Bei uns fehlt so viel Personal – an einem Tag musste ich Früh- und Spätdienst in einem machen. Und Sonntag habe ich schon wieder Dienst. Und dann ist morgen auch noch der Geburtstag des verstorbenen Freundes, an dem ich etwas Zeit für mich brauche. (Ich wundere mich schon ein bisschen, dass er mich weiterhin kennen lernen möchte… - es war wirklich nicht viel los diese Woche mit mir außerhalb der Arbeit).
Aber wir haben schon ein bisschen gesprochen, wie wir das nächste Woche organisieren und ich habe schon ein bisschen laut darüber nachgedacht, dass ich auch nächsten Freitag aus einem 24 – Stunden Dienst kommen werde, erstmal Schlaf brauchen werde und keine Ahnung habe, wie ich noch Einkaufen und Putzen auf die Reihe bringen soll und dann habe ich um 17 Uhr noch einen Termin bei der Frau des Oberarztes in der Nachbarstadt. Der Intensiv – Oberarzt hat mir mal irgendwann nahe gelegt, dass ich eine potentielle neue Beziehung ein bisschen mehr zu meinen Bedingungen gestalten muss. Zum Beispiel mich eben nicht nach einem 24 – Stunden – Dienst ins Auto setze und irgendwo hin fahre. Da gehört man ins Bett – und nirgendwo anders hin, da muss der andere eben kommen. Aber da muss ich mich bei diesem neuen Menschen irgendwie keine Gedanken machen. „Das ist kein so großes Problem Mondkind. Ich habe den ganzen Freitag Zeit. Ich kann uns für Freitag etwas zu essen mitbringen, zum Beispiel vegane Burger aus meinem Lieblingsrestaurant und dann gehen wir Samstag gemeinsam einkaufen. Und ich kann Dich, wenn Du zu müde bist, auch zu Deinem Termin fahren und Dich hinterher wieder einsammeln. Und mach Dir keine Gedanken um die Wohnung, ich weiß wie viel Du arbeitest und es ist okay. Hauptsache, wir verbringen irgendwie ein bisschen Zeit miteinander und wir können uns auch einen ganz entspannten Tag machen, den ganzen Tag bei Dir sitzen und Kaffee trinken, wenn Du zu erschöpft bist, um irgendwo hin zu fahren.“
Das ist schon sehr lieb…



Mondkind


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