Entwicklungen

Irgendetwas ist passiert.
Ich bin mir aktuell nur unsicher, was genau.
Ich habe lange nicht mehr so viel Druck in mir gespürt.
Schnipsel.
***
 
Ich im Büro von einem meiner Psychosomatik – Oberärzte. Wir werten die Zwischenbilanzbögen der Patienten aus und ich bin sehr erstaunt und beeindruckt, was der Oberarzt daraus alles lesen kann und wie er die Patienten zwischen den Zeilen versteht. Auch Dinge registriert, die sie wahrscheinlich gar nicht laut sagen wollten.
Danach driften wir irgendwie ein bisschen auf ein „fachliches Privatgespräch“ ab – es geht um den Facharzt. „Also Sie machen jetzt sowieso erstmal Ihren Neuro – Facharzt“, stellt er klar. „Naja, das kommt darauf an“, entgegne ich. „Das hängt davon ab, ob ich meine Unterschriften für die vier Jahre Neuro, die ich gemacht habe bekomme, oder nicht. Das Problem ist nämlich, dass ich nie in der Reha gearbeitet habe und formal einfach nur die drei Chefs unterschreiben müssten, aber nirgendwo geschrieben steht, wie lange man wo gearbeitet haben muss. Ich habe allerdings gehört, dass es da zuletzt Probleme gegeben hat und zwei Jahre Neuro – Reha würde ich jetzt nicht mehr machen.“ Er selbst berichtet, dass er auch super viele Probleme mit den Unterschriften gehabt habe – ich bin also wenigstens nicht allein damit.
 
Im Nachhinein denke ich noch viel drüber nach. Dass die Neurologen wollen, dass ich erst den Neuro – Facharzt mache ist mir ja verständlich, aber dass man das auch hier für wichtig hält… und gerade im Vergleich meiner jetzigen Arbeitssituation mit der in der Neuro realisiere ich langsam, wie sehr ich mich da gequält habe, etwas gemacht habe, das mir zuletzt überhaupt keinen Spaß mehr gemacht hat und dass ich mich nicht zu wundern brauche, dass ich auch keine Motivation mehr hatte.
Die Mondkind von jetzt gefällt mir viel besser. Die übernimmt nämlich wirklich gerne Aufgaben, sitzt abends noch mit einem Fachbuch am Tisch und muss erstmal sortieren, was zu lesen jetzt am Wichtigsten ist.
Ich spüre ein bisschen, ich werde hier meine Nische finden, aber ich befürchte, dass ich aus einer Ängstlichkeit heraus, den Facharztansprüchen nicht zu genügen oder auch mir selbst nicht zu genügen und vielleicht doch eine Chance verstreichen zu lassen, vorerst nicht hier bleiben werde nach dem Jahr. Der Weg zum Traumberuf wird noch etwas Längeres. Aber ich darf schon mal Luft schnuppern.


***
Im Moment denke ich viel über den verstorbenen Freund nach.
Meinen Umgang damit.
Über meine Beziehungen.
Über den Kardiochirurgen.
 
Ich weiß bis heute nicht, wie man mit einem solchen Thema im Jetzt in weiteren sozialen Beziehungen umgeht.
Es war nicht unser einziger Trennungsgrund, aber ich befürchte mit ein Grund, dass der ehemalige Freund und ich uns getrennt haben. Am Anfang konnte er das Thema noch gut tolerieren, allerdings verstehe ich auch, dass man nicht ständig eine verstorbene Person zwischen zwei Menschen in einer Beziehung stehen haben möchte. Wie gesagt, im Vordergrund standen andere Themen. Aber irgendwann konnte er diese ganze Traurigkeit in mir, die manchmal in den besten Momenten unvermittelt hochkam, nicht mehr aushalten. Und ich konnte sie nicht erklären.
 
Mit dem Kardiochirurgen läuft es jetzt ganz anders. Er weiß zwar, dass da etwas war, kennt allerdings nicht die Einzelheiten. Und als ich das mal vorsichtig versucht habe anzusprechen, kam da viel Abwehr und auch viel Unverständnis für mein Denken, meine Sichtweise der Dinge. Er hält es nicht mal für nötig die Mutter des verstorbenen Freundes zu besuchen – das hatte ich ihm hinsichtlich der Dezember – Urlaubsplanung noch gesagt, dass das noch aussteht dieses Jahr. Was das denn für einen Sinn machen würde, sich damit in seiner freien Zeit zu beschäftigen, hat er gefragt.
Die Beziehung, das Leben an sich, ist ein Doppelleben. Ich versuche halt „normal“ zu sein. Obwohl sich weiterhin viele Fragen stellen, obwohl ich weiterhin immer noch nicht weiß, ob ich mit dieser Geschichte im Gepäck, mit so viel Versagen, noch ein wertvoller Mensch sein kann. Und ich lasse mich nicht in den Kardiochirurgen fallen als der Mensch, der ich bin. Das geht auch gar nicht, wenn er manchmal einfach so mehrere Tage von der Bildfläche verschwindet, weil er so beschäftigt in seinem Beruf ist, dass er es nicht mal schafft eine kurze whatsApp am Tag zu lesen. (Und mir aber irgendetwas davon erzählt, dass ich mich nicht mit dem Job verheiraten soll…).
Ich bin mir nicht sicher, ob das mit uns beiden jetzt eben einfach das ist, wie man das Leben nach so einem Verlust irgendwann wieder leben muss. Ob das eine Art „Übergangsbeziehung“ ist und wir uns beide betrügen. Ich bin da, weil ich nicht alleine sein will und er…? Vielleicht, weil ich eines der wenigen Mädels bin, die seinen Lebensstil überhaupt länger als ein paar Wochen mitträgt. Ständig nicht erreichbar, super unverbindlich, oft kommt mir das vor, als hätte ich gar keinen Freund. (Gut, wir sind auch nicht offiziell zusammen, obwohl wir mal Urlaub für nächstes Jahr planen und ich weiß nicht, ob das nicht ein bisschen dumm ist, denn natürlich muss man seine Pläne dann nicht nur den anderen Kollegen, sondern auch dem Kardiochirurgen anpassen und dann fliegt meine geliebte Mai – Urlaubswoche zum Beispiel nächstes Jahr raus. Und nach zwei Wochen Urlaub im September nochmal eine Woche zurück zu kommen, wird sicher auch irgendwie blöd, aber der Kardiochirurg hat halt Nachtdienst in der letzten Septemberwoche; da können wir also nicht gemeinsam im Urlaub sein).
Es ist eher so ein gelegentliches Nachspüren, wie das ist, wenn man einen Partner hätte und sicher werden da auch ab und an einige Bedürfnisse befriedigt, aber mir ist schleierhaft, wie mit ihm jemals ein Leben unter einem Dach oder sogar mit einer Familie möglich sein soll. Wie soll ich dem Kind erklären, dass Papa jeden dritten Tag erst nachts um eins nach Hause kommt? Und wer wird sich  um absolut alles in der Familie kümmern, weil er ja unverzichtbar auf der Arbeit ist?
Und gleichzeitig ist das für mich natürlich auch ein Benefit, so wie es ist. Ich will mich nicht mehr so emotional binden. Ich will immer wissen, dass ich auch allein zurechtkomme. Ich will das, was ich erlebt habe, nicht nochmal erleben. Und gleichzeitig – natürlich fehlt in dieser Beziehung viel. Wenn nicht sogar das Meiste.
 
***
Ich spüre viel Traurigkeit im Moment.
Viel die Frage: „Ist das so okay?“ und „Kann es noch okay werden?“
 
Mir wird langsam bewusst, dass das hier noch so eine irre lange Durststrecke ist, von der ich nicht weiß, ob ich sie bewältigen kann.
Bis ich mal irgendwann meinen beruflichen Platz gefunden habe, wird eventuell noch sehr viel Zeit vergehen. Wenn man sich das mal überlegt: Nächstes Jahr im Herbst zurück in die Neuro, dann eine fragliche Zeitspanne, bis ich mich für den Facharzt anmelden kann und sicher werden die mir auch nicht immer die Wahrheit erzählen über das Procedere – ich erwarte, dass das selbst wenn die mit „offenen Karten“ spielen, wesentlich länger dauert, als damit veranschlagt. Dann zurück in die Psychosomatik, Facharzt machen, nebenbei Psychotherapieausbildung…? Wann soll ich fertig sein…? Mit Mitte 40?
 
Und mit der Familie… ? Ich weiß nicht, ob das noch etwas wird. Vielleicht soll man sich auch mal überlegen, ob das nicht auch zu integrieren wäre, für immer alleine zu bleiben. Während man natürlich mitbekommt, dass die Menschen um sich herum diese Träume erfüllen können. Denn so eine Partnerschaft – die kann man nicht erzwingen. Man kann natürlich etwas dafür tun, offen sein, sich mit Leuten treffen, aber alleine kann man das eben nicht verwirklichen. 

Fühlt sich ein bisschen an, wie ein ganzer Korb voller Gedanken

 
***

Und ich weiß, all das sind temporäre Einbrüche.
Es wird besser werden.
Weil ich ja weiterhin dran arbeite, dass das Leben so wird, wie ich mir das irgendwann mal vorgestellt habe. Nur, es geht eben langsam voran. Mit vielen Umwegen. Und manchmal fehlt mir die Geduld. Und manchmal bin ich auch irgendetwas zwischen traurig, wütend und enttäuscht. Dass eben Vieles im Leben so schwierig war. Dass ich mit meiner Familie sicher nicht die besten Startbedingungen hatte. Dass ich für so Vieles so hart kämpfen musste. Und dass selbst sicher geglaubte Dinge nicht sicher waren. Dass ich ganz sicher nicht noch oben drauf den Tod des Freundes gebraucht hätte.
Und wahrscheinlich ist das einfach dennoch das Leben. Bei den Einen mehr und bei den Anderen weniger. Und trotzdem bin ich ab und zu einfach ein paar Tage müde davon.
 
Morgen ist by the way Balintgruppe in der Klinik. Nachdem die Chefin nochmal betont hat, wie wichtig Weiterbildung ist, werde ich da morgen selbst wenn ich wollte, kaum drum herum kommen. Das heißt dann aber auch morgen bis 19 Uhr in der Klinik hocken – und das heißt, der Kardiochirurg und ich sehen uns dann morgen wieder nicht. Ich denke ja immer, wenn er schon nicht auf gemeinsame Zeit für uns aufpassen kann, dann muss ich das tun, aber das soll halt irgendwie nicht heißen, dass ich nirgendwo mehr teilnehme, weil es ja sein könnte, dass er mal pünktlicher von der Arbeit kommt und Zeit hat – was ohnehin fast nie passiert.
Manchmal ist es schwer das umzusetzen. Dinge zu tun, die mir wichtig sind oder für mich wichtig sind und damit in Kauf zu nehmen eventuell eine der wenigen Chancen zu verpassen, in denen wir uns sehen könnten. Aber Ihr habt ja auch Recht, wahrscheinlich ist es nicht unwichtig für mich und ich bin auch gespannt, was da morgen so passiert. Ich werde mir das Ganze erstmal anschauen.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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