Neuro - Dienste, Abschied und Unruhe in der Gruppe

Die letzten Tage hatten es in sich.
Donnerstag.
Ich bin schon langsam müde von der Woche. Wir hatten viele Entlassungen und viele Aufnahmen in dieser Woche und ich bin nicht nur für meine eigene Gruppe, sondern auch für die umliegenden Gruppen zuständig. Die neuen Patienten sind auch tatsächlich alle schwer belastet und der Verbrauch von Taschentüchern in meinem Büro ist enorm angestiegen.
„Mondkind“, lese ich im Betreff einer Mail, die in meinem Postfach gelandet ist. Der Absender ist der dienstplanverantwortliche Oberarzt aus der Neurologie. Ich kann das Seufzen hinter dem Betreff dieser Mail fast hören. Ich öffne sie. „Es ist eine Katastrophe“, sind die Worte, mit denen sie beginnt. Kurzfassung: Die Intensiv hat einen Covid – Ausbruch, jeder der dort arbeiten kann muss dort Dienste machen, dementsprechend fehlen Kollegen im ZNA – Dienst und für Sonntag gibt es absolut keinen Dienstarzt mehr. „Kannst Du den Dienst machen?“, fragt er mich. Ehrlich gesagt… - ich habe letztes Wochenende gearbeitet, Freitag und Samstag ist Psychosomatik – Fortbildung und Sonntag nochmal arbeiten, um dann abgearbeitet in die Woche zu starten…? Ungern. Aber leider ist er mein Lieblingsoberarzt, ich bin seine Lieblingsassistentin (sagt er zumindest…), ich habe Sonntag nichts vor und der Kardiochirurg hat ohnehin auch Dienst. Also sehen wir uns sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn wir beide am Campus sind. Nur der Montag… - der wird höhergradig unlustig.
Ich sage zu. Ob das richtig ist, weiß ich nicht. 

Mein Büro 😊
 

Freitag.
„Ein Gefühl sagt mir, dass die Patienten Unfug getrieben haben in der Nacht“, habe ich am Morgen dem Kardiochirurgen geschrieben und mein Gefühl sollte Recht behalten.
In der Wochenabschlussgruppe hat der Kessel schon ein wenig gekocht, das war spürbar, aber die Gruppe hat zumindest noch gearbeitet. In der verbalen Gruppe ging es dann aber turbulent weiter. „Frau Mondkind, ich muss Sie sprechen, sofort nach der Gruppe“, äußerte ein noch recht neu angereister Patient im Anschluss. Ich habe ihn dann nach der Gruppe mit in mein Büro genommen, wo er mir erstmal eröffnet hat, dass er sofort abreisen möchte. Mir war schon klar, wie es dazu gekommen war und dass das etwas mit dem Problem zu tun hat, weshalb er bei uns in Therapie ist. Aber jedes Hinweisen darauf hat er abgeblockt oder als persönliche Beleidigung aufgefasst, ich konnte ihn nicht dahin bringen, sich zumindest erstmal noch begrenzt auf uns einzulassen.
Da braucht es dann externe Hilfe vom Oberarzt. Die letzte Tat „unseres“ Oberarztes, der heute den letzten Tag hat. „Es tut mir ja leid, dass ich Sie jetzt am letzten Tag noch mit Schwierigkeiten behelligen muss“, habe ich eingeleitet, aber so enthusiastisch wie er war, hatte er natürlich gleich eine Idee. Meine Kollegin, der Oberarzt, der Patient und ich haben sich dann auf neutralen Boden in einem Besprechungszimmer getroffen und es ist so ein Kino, wie er die Patienten einfängt. Mittlerweile kenne ich ihn ja ein wenig und sehe auch, wie die Stimmung gerade hinter der Maske bei ihm ist und als der Patient ihn zum fünften Mal unterbricht und er sich umständlich Gehör verschaffen muss, spüre ich auch, dass er ultra – genervt ist, aber es ist, als würde man einem Tanz zusehen, in dem sich der Oberarzt und der Patient permanent auf einander zu und wieder voneinander weg bewegen, ein bisschen umeinander tanzen, bis der Patient nach viel Geduld seitens des Oberarztes doch einsieht, dass diese Überreaktion und diese Idee von „ich bin hier nicht erwünscht“ auch irgendetwas mit ihm zu tun hat.
Am Ende lässt er sich darauf ein, zumindest erstmal bis Montag zu bleiben. Das erspart uns fürs Erste einen Brief zu schreiben und dem Patienten ist hoffentlich auch geholfen. Ich werde das echt vermissen. Von solchen Situationen kann ich so viel lernen und ich wünschte, ich könnte das auch irgendwann. So souverän mit Patienten sein. Am Ende erklärt er uns um welchen Grundkonflikt es bei dem Patienten geht und wie schwer manchmal die Gratwanderung ist, innerhalb der Grenzen und des Rahmens zu bleiben, den die Klinik vorgibt, aber dem Patienten doch irgendwie noch eine gewisse „Eigenaktivität“ zuzugestehen, sodass er hier bleiben kann.
 
Später treffen wir uns noch kurz in seinem Büro. Tatsächlich – das ist nicht meine Idee – tauschen wir noch Telefonnummern aus. („Mondkind – schreib mal Deine Telefonnummer auf“, sagt er und schiebt mir einen Zettel unter die Nase, um nach wenigen Sekunden hinzuzufügen: „Es tut mir leid, vielleicht ist das etwas übergriffig…“). Ich wüsste zwar nicht aus welchem Grund ich ihm jemals schreiben sollte, aber irgendwie ist es doch schön, dass die Bindung nicht ganz verloren geht. Wir finden noch zueinander, wenn wir denn wollen.
Er meinte, er hat schon registriert, dass ich mich sehr interessiere und begeistere und ich musste ihm auch nochmal sagen, dass ich ihm so dankbar bin für diese zwei Monate die wir hatten und wirklich viel von ihm lernen durfte. Ich hätte mir wirklich keinen besseren Einstieg in die Psychosomatik wünschen können und da steht und fällt auch immer viel mit den Kollegen.
 
Mal schauen, wie es ab nächster Woche weiter geht. Unsere Oberärztin ist auch sehr nett. Aber eben deutlich distanzierter, reservierter und sie lässt nicht so durchblicken, was ihre Gedanken hinter den Interventionen sind.

Am Nachmittag und Abend ist noch Fortbildung vom Ausbildungsinstitut und mittlerweile finde ich mich schon ein kleines bisschen besser in diesen Settings zurecht und kann zumindest minimal etwas beitragen. Einer der Psychologen aus unserer Sektion, der auch anwesend ist, beruhigt mich etwas und sagt, ich soll mich nicht stressen; es dauert halt seine Zeit, bis man dieses Denken lernt.
Danach gehe ich noch mit zwei Kollegen etwas essen und lerne auch mal den Hund meiner Kollegin kennen – vielleicht darf ich ja demnächst wenn sie Dienst hat, mal mit ihm spazieren gehen.

Morgen früh geht es erstmal mit Fortbildung weiter und dann treffen der Kardiochirurg und ich sich und am Sonntag ist dann Dienst. Viel los aktuell. 

Mondkind

 

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