Von einem Geburtstag und Entwicklungen in der Psychosomatik

Donnerstag
Am Abend bin ich auf dem Geburtstag vom ehemaligen Freund eingeladen. Das Ganze hatte sich kurzfristig vor zwei Tagen ergeben, als wir miteinander telefoniert hatten. Mit der Balintgruppe am Mittwochabend hatte ich es nicht mehr geschafft, ein vernünftiges Präsent zu organisieren. Deshalb fahre ich auf dem Weg zu ihm einfach noch am Blumenladen vorbei, der zum Glück bis 19 Uhr offen hat. Eine Pflanze hat noch gut Platz in seinem Fensterbrett beschließe ich (und er wird sie später genau an den Platz stellen, an dem ich beim Kaufen auch gedacht habe).
Es sind ausschließlich Kollegen von seiner Arbeit da. Also Mondkind unter… - vielleicht so 12 Psychologen und Kreativtherapeuten… - ich habe irgendwann aufgehört die Leute zu zählen. Aber ich gehöre ja jetzt irgendwie auch dazu und bin mal nicht die einzige Neurologin unter einem Haufen Psychologen. Natürlich kam auch irgendwann die Frage, woher der ehemalige Freund und ich sich kennen und ich hatte ihn eigentlich vorher noch fragen wollen, wie offen wir da sein wollen. „Das ist eine längere Geschichte“, habe ich gesagt und ihn angeschaut. „Erzähl ruhig“, hat er gesagt. Ich befürchte ja immer so einen Stempel zu bekommen, wenn ich zugeben muss, Patientin in dem Laden gewesen zu sein, aus dem die alle kommen. „Ach so Du bist das“, meinte Eine, nachdem ich das erzählt habe. „Aber es ist doch schön, dass Ihr noch so viel Kontakt habt.“ „Ach so, die Geschichte hat sich wohl herumgesprochen…“, habe ich entgegnet. Zu Zehnt oder Zwölft in diesem Wohnzimmer um einen Tisch zu sitzen, auf dem Kerzen stehen, während im Hintergrund Musik läuft, ein Kuchenteller herumgereicht wird und alle einen Strickpullover tragen, von dem man nicht weiß, ob der selbst gestrickt, oder aus einem Second – Hand – Laden ist - oder zumindest so aussehen soll - hat übrigens etwas dieser in meiner Welt nie statt gefundenen Studentenpartys.
Ich denke kurz an die Zeit vor einem Jahr. Wir haben und vor und nach seinem Geburtstag gestritten und ich habe so gehofft, dass an diesem Tag mal Ruhe ist und es ein bisschen schön wird. Ich hatte mir für den nächsten Tag einen Spätdienst auf der Intensivstation eintragen lassen, deswegen konnte ich ihn am Abend besuchen und wir waren in seinem Lieblingsrestaurant indisch essen.
 
Diese Wohnung ist immer noch sehr vertraut, stelle ich jedes Mal fest. Es war ja auch irgendwie ein paar Monate der Ort, an dem ich die meisten meiner Wochenenden verbracht habe. Und irgendwie… - vielleicht ist es nur mein Eindruck, aber ich spüre immer noch sehr viel Zuneigung von seiner Seite. Manchmal muss ich mich schon erinnern, dass er sich von mir getrennt hat und nicht umgekehrt.
Und manchmal wünsche ich mir, das wäre so nicht passiert. Ich mag ihn immer noch und irgendwie hat es etwas seltsam Vertrautes zwischen uns. Aber ich könnte ihm nie wieder im Sinn einer partnerschaftlichen Beziehung vertrauen. Wir haben ja irgendwann mal über Zeitfenster in einer Beziehung gesprochen und dieses ist definitiv verschlossen, egal was passieren würde. Kurz denke ich über den Kardiochirurgen nach und daran, dass er und ich meilenweit entfernt sind von dem, was der ehemalige Freund und ich hatten. Da war mal so viel Leichtigkeit und Echtheit zwischen uns; beim Kardiochirurgen bin ich immer auf der Hut, immer irgendwie anders, als ich eigentlich bin.
Allgemein betrachte ich den ehemaligen Freund im Moment ein bisschen als „Bonus“. Ich mag das sehr gerne, wenn wir telefonieren und uns sehen. Und gleichzeitig möchte ich für mich selbst die Abgrenzung nicht verlieren, dass das auch okay wäre, wenn es ab morgen anders wäre.
Und ich sehe aber auch, dass jeder von uns seinen Weg weitergeht. Er sich manchmal noch überschneidet. Dass niemand mit einem zu großen Schaden aus der Sache rausgegangen ist und immerhin beide noch leben. Und das ist das Wichtigste.
 
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Mit den Erinnerungen an den verstorbenen Freund ist es weiterhin schwierig.
Sehr schwierig.
Mittlerweile habe ich auf der Arbeit mal mit einem meiner Oberärzte über das Thema Abgrenzung gesprochen. Und, dass mir das in manchen Bereichen schwerfällt. Er hat eine Gruppensupervision vorgeschlagen – für den Fall, dass ich weiterhin Psychosomatik machen möchte, sei das sowieso wichtig und verpflichtend und wenn es da private Schwierigkeiten gibt, kann man das doch da gleich besprechen. Die Idee ist schon geschickt, das muss ich schon sagen, ob das allerdings so schlau ist, wieder so ein Thema in eine Gruppe rein zu schmeißen, ist mal eine ganz andere Frage. Bisher habe ich da nicht die beste Erfahrung gemacht, denn irgendeine Form von Sonderrolle hat man da immer. Und die möchte ich nicht haben. Ich brauche einfach nur Strategien an die Hand, wie dieses Thema irgendwann mal integriert werden kann.
Er war auch sofort so nett und hat mir ein paar Adressen aufgeschrieben. Letzten Endes sind das natürlich alles irgendwelche Psychosomatiker kurz vor der Rente, die eben die Befugnis zur Supervision haben und innerhalb von einer knappen Stunde zu erreichen sind.
Ich weiß es nicht… - vielleicht soll ich da einfach mal anrufen und fragen, ob ich da richtig bin mit meinem Anliegen. Aber ich schäme mich leider schon jetzt…
 
Aber egal welche Lösungen wir finden – das dauert eben alles wieder. Das Hirn kündigt es ja nicht fünf Wochen vorher an, dass es plant zu dekompensieren. Und ich hasse das so sehr, diese fast unerträglichen Spannungszustände einfach irgendwie aushalten zu müssen, weil ich das selbst gerade nicht regulieren kann, das selbst mit einem Gegenüber sicher nur bedingt für mich möglich wäre. Wirklich ruhig wird es in solchen Zeiten nie und noch dazu ist dieses Gegenüber eben nicht richtig verfügbar.

Seine Mutter hat sich jetzt nebenbei auch überlegt, sein Grab nochmal umzugestalten – er soll einen Stein bekommen und wir wollen uns demnächst zusammen darum kümmern. Das macht die Sache auch nicht unbedingt einfacher, zumal ich sie auch dieses Jahr noch besuchen wollte.
 
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Meine Mama hat übrigens seit ein paar Tagen schlecht Laune. Seitdem ich es nicht lassen konnte, ihr in einer ziemlich euphorischen Sprachnachricht mitzuteilen, wie glücklich ich auf der Arbeit bin. Und es geht glaube ich gar nicht darum, dass sie es mir nicht gönnt, glücklich zu sein. Und auch nicht darum, dass ich jetzt halt 10 Jahre länger gebraucht habe für diesen Move in die Psychologie, als das nötig gewesen wäre und ich mir selbst doch sehr dankbar bin, das geschafft zu haben. Es geht glaube ich weiterhin darum, dass sie das einfach deswegen nicht möchte, weil sie tierische Angst hat, durchschaut zu werden. Bei ihr läuft ganz viel – aber alle Psychologen haben ja einen Sockenschuss, also kann sie sich selbst nicht verstehen und sich aber auch nicht helfen lassen. Aber in ihrer Wahrnehmung müssen Psychologen einen Sockenschuss haben, sonst würde das Konstrukt nicht funktionieren und man könnte ja schon mal auf die Idee kommen, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Und früher wollte sie mich mit dieser Einstellung auch ganz weit weg von Beratungsstellen, Psychologen und Kliniken bringen, als sei alles was dort passiert, eine ansteckende Erkrankung. So viel Abwehr ist schon erstaunlich.
Mir persönlich macht das – zumindest aktuell – gar nicht mehr so viel aus. Was mich selbst anbelangt, ärgere ich mich natürlich schon, dass ich mich da habe so beeinflussen lassen, aber immerhin kann ich ja jetzt etwas tun, selbst überlegen, das mit Leuten besprechen, von denen ich glaube, dass Sie nicht voreingenommen sind und es gut mit mir meinen. Und was meine Mama anbelangt - der Abstand ist groß genug. Sie könnte mehr aus ihrem Leben machen. Aus meiner Sicht. Aber es gibt keine Notfallindikationen und auch keinen Zwang für Psychotherapie. Hat auch gar keinen Sinn.
 
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Und zuletzt kleine Erfolgserlebnisse von heute.
 
Ich habe heute mit dem Oberarzt nochmal eine Patientin nachbesprochen, die Anfang der Woche einen kleinen Infekt hatte und dadurch ganz stark dekompensiert ist im Sinn einer anhaltenden Somatisierung. Zwischendurch ging es ihr sogar so schlecht, dass ich sie hoch an den Campus zur Diagnostik geschickt habe und aber schon den Eindruck hatte, dass das gerade ihr Beziehungsangebot war und nicht Ausdruck einer schlimmen körperlichen Erkrankung. Das hat mich dann ein bisschen wütend gemacht, weil ich den Eindruck hatte, dass ich – als diejenige, die auf dem Konsilschein stand – sicher wieder als „der Depp“ gelte, der es übertrieben hat.
Der Oberarzt hat mich auf das Kapitel „depressive Somatisierung“ hingewiesen, das ich schon gelesen hatte, deswegen hatte ich das auch von vorn herein so klar erkannt. (Gut für mich, da hat er gleich realisiert, ich lese wirklich) Der Oberarzt hat erklärt, dass es da um mehrere Dinge geht. Zum Ersten: Ich habe nichts falsch gemacht. Wir müssen das schon abklären und sicher sein, dass wir nicht auf einer schlimmen somatischen Diagnose sitzen, aber wenn das erledigt ist, dann ist es so. Und dann geht es aber auch darum, den Patienten erst zu nehmen. Ihn dort abzuholen, wo er gerade ist. Es kann schon sein, dass da ein Infekt war und dieser Infekt vor dem Hintergrund einer sowieso instabilen Situation „das Fass zum überlaufen“ bringt und der Patient unbewusst diesen Infekt als Beziehungsangebot und Möglichkeit sich auszudrücken nutzt – einfach, weil er keine andere Möglichkeit hat, sich auszurücken. Der Patient kann in dem Fall nicht erwachsen sagen: „ich habe hier ein Problem“, sondern er sagt im Prinzip „Mama ich habe Bauchschmerzen, hilf mir.“ Und dann muss ich mich auf den regressiven Patienten erstmal einlassen, damit er sich gesehen fühlt und dann vorsichtig im Gespräch auf die Diskrepanz zwischen Befunden und körperlichen Leiden hinweisen und behutsam hinterfragen, ob es nicht etwas anderes gibt, das gerade drückt.
„Also – nicht wütend werden. Sondern zurücklehnen, den Patienten machen lassen, anerkennen, dass der gerade nicht anders kann, ihn ernst nehmen und ihn versuchen dorthin zu begleiten hinter seine Somatisierung zu schauen.“
Das war so gut. Ich mag das so gern mit ihm im Büro zu sitzen und Patienten oder Therapien nachzubesprechen, weil man so immens viel lernen kann. Und dabei glaube ich nicht mal, dass das Konstrukt an sich schwer zu verstehen ist – das ist auch ohne ein Psychosomatikbuch zu lesen relativ klar. Aber die Frage ist: Wo hole ich so einen Patienten ab? Dass er ein bisschen was versteht und sich aber trotzdem nicht abgewiesen fühlt.
 
Und dann hatte ich heute meine ersten Krisenintervention bei einer Patientin aus unserer Gruppe, die es super versteht, sich passiv um sich selbst zu drehen und ich hatte da wirklich einige Befürchtungen. Aber – nachdem ich mich erstmal ein bisschen wie ein seelischer Mülleimer gefühlt habe – konnte ich zumindest noch einige Impulse setzen, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie die ein bisschen annehmen konnte und am Ende hat sie sich auch noch für das gespräch bedankt und meinte, sie bräuchte jetzt eigentlich gar keinen festen Termin mehr am Wochenende, für den die Kollegin sie schon eingetragen hat. Ich habe gesagt, sie soll trotzdem hingehen, vielleicht kommt ja noch etwas nach und wenn das Gespräch nach drei Minuten beendet ist, ist es auch nicht schlimm.
Ich habe auch das dann noch mit dem Oberarzt nachbesprochen; er hatte noch einige Anmerkungen, war aber im Großen und Ganzen recht zufrieden. „Ich habe Sie gelobt vor dem Wochenende. Nehmen Sie das an und nehmen Sie das Gefühl mit ins Wochenende…“ Wir achten auf Psychohygiene nicht wahr…?  ;)
 
***
Und ganz zum Schluss… - wer hat sich gestern gedacht: Noch ein Buch schadet nicht… ?


Naja, eigentlich war es schon vorgestern, als die Oberärztin uns zum Briefe schreiben angehalten hat und nochmal betont hat, wie wichtig das ist, die Konfliktachse der Patienten zu sehen und zu verstehen. „Ich hadere ja seit zwei Wochen mit mir, ob ich das wirklich brauche…“, habe ich gesagt. „Aber ich realisiere langsam – ich brauche es. Auch, wenn es schon wieder 80 Euro kostet.“ „So teuer?“, fragte die Oberärztin, „ich habe auch noch das alte OPD.“ „Mh…“, habe ich gesagt. „Deshalb überlege ich mir das ja seit zwei Wochen. Aber die Fortbildung darüber was sehr gut und die haben das alle so gelobt, dieses Buch.“ Und dann habe ich das gestern bestellt…
Und dann meinte die Oberärztin, dass sie auch noch ein ganz gutes Buch für mich zu Hause hat, das sie mir auch mal leihen könnte, wenn ich interessiert bin. Grundsätzlich ja. Aber wann soll ich das lesen… ?
 
In dem Zusammenhang ist mir heute übrigens noch etwas aufgefallen. Und zwar, dass das Leben wieder mehr in die Balance rückt. Job und Privatleben sind beide wichtig und das Eine kann das Andere so ein bisschen ausgleichen. In der Beziehung mit dem ehemaligen Freund gab es ja „nur“ die Beziehung. Ich habe in der Zeit auf der Intensivstation gearbeitet und dass ich die Zeit dort gehasst habe, muss ich ja nicht mehr erwähnen. Es gab als nur die Säule Privatleben und deshalb war jeder Streit zwischen uns auch immer schlimm.
Tatsächlich sehe ich das mit dem Kardiochirurgen jetzt wesentlich entspannter. Wenn er am Wochenende nicht kann, dann lese ich halt meine Bücher. Und wenn die private Säule gerade nicht funktioniert, dann habe ich immer noch Spaß in der Arbeit. Es ist alles nicht mehr so absolutistisch. Und das ist super gut.
 
So – jetzt starte ich erstmal in das Wochenende. Eingekauft habe ich schon (yay! – und zwei Kollegen getroffen, von denen einer meinte, dass man mein Fehlen im Team durchaus bemerken würde) und jetzt höre ich erstmal einen Vortrag von Stephanie Mauer (Ihr Buch ist übrigens das Authentischste, das ich je gelesen habe und da nochmal rein zu schauen, hat mir die Tage wirklich geholfen, weil ich mich da schon etwas abgeholt gefühlt habe).

 

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