Reise

Was kann ich sagen… ?
Die letzten Tage hat es mehrere Versuche gegeben, mal wieder einen Blogeintrag zu verfassen. Aber die sind alle irgendwo in der Versenkung verschwunden. Weil sie nicht das getroffen haben, was ich sagen wollte. Weil sie am nächsten Tag schon wieder „alt“ waren. Und weil ich tatsächlich nach vier bis fünf Stunden Gesprächen non – stop am Nachmittag auch erstmal recht müde bin.

In den letzten Tagen ist in unserer Gruppe in der Psychosomatik viel los. Die ersten Patienten, die wir damals in diese neu eröffnete Gruppe aufgenommen haben, sind letzte und diese Woche wieder abgereist. Die Einen haben mehr für sich erreicht, die Anderen weniger, aber wie schön ist es eigentlich, wenn man eine Patientin vor sich sitzen hat, die dann am Ende sagt: „Frau Mondkind, das Gespräch mit Ihnen hat einen Knoten bei mir platzen lassen, ab dann ging es mir viel besser.“ Die Patientin war zugegebenermaßen sehr anstrengend und es hat mich einiges an Überwindung gekostet sie immer wieder verbal am Kragen zu packen, auf ihre Problematik hinzuweisen und im Gespräch dort zu bleiben, was sie selbst tun kann, statt dem, was die anderen tun müssen, damit es ihr besser geht. Es scheint wohl etwas genützt zu haben.
Die neuen Patienten die gekommen sind, sind auch eine Herausforderung – die sind irgendwie alle recht schwer krank muss man ehrlich sagen. Mit einem Patienten brauchte ich wirklich ganz viel Geduld, er konnte anfangs überhaupt nicht über sich sprechen, ohne in Tränen auszubrechen.

Der Job macht mir nach wie vor Spaß – nur die Arbeit mit meiner Kollegin ist langsam nicht mehr so erfreulich. Sie beruft sich nämlich darauf, dass sie weiterhin die Gruppe leitet – was eine Stunde Arbeit ihrer vier Stunden Arbeit ist. Und sonst macht sie halt nichts. Nicht mal EKGs befunden oder Briefe schreiben. Und solange, wie ich alles am Nachmittag auch noch gut alleine rocken konnte, war alles gut, aber die schmeißen mich – weil ich oft am Nachmittag auch die einzige Ärztin bin – mit medizinischen Fragestellungen und medizinischen Aufnahmen zu und dann beginne ich langsam relevant Überstunden zu machen. Da brauche ich schon Hilfe von der Kollegin. Aber sie arbeitet halt in dieser Klinik, weil sie nirgendwo anders einen Job in einer Klinik bekommen hat, in dem sie ein Chef zu den Bedingungen genommen hat, die sie der Betreuung ihrer Kinder wegen braucht. Aber Interesse hat sie halt gar nicht und das nervt auf Dauer auch mich ziemlich.

Tatsächlich löst diese Reise auf der ich gerade bin, auch ein bisschen Angst aus. Es scheint ja nun nicht nur so zu sein, dass ich selbst den Eindruck habe, dass ich in der Psychosomatik ganz gut aufgehoben bin, auch die anderen können meine Begeisterung tatsächlich spüren. Ich erinnere mich im Moment so viel an mein 18 – jähriges Ich, das den Pädagogik – Leistungskurs jetzt nicht unbedingt super toll fand – wir haben die Entwicklungstheorien/-aufgaben von Hurrelmann, Piaget und Erikson so lange hoch und runter gekaut und darüber mehrere Klausuren geschrieben, bis ich es einfach nicht mehr hören konnte, aber wir haben eben auch Psychologie gehabt mit Tiefenpsychologie, Freud, der Kritik und Weiterentwicklung daran, bis hin zu psychiatrischen Krankheitsbildern wie der Depression oder Angst. Es war nicht Hauptbestandteil des Kurses, aber ich konnte mich so begeistern dafür und damals ist eben auch der Wunsch entstanden, Psychologie zu studieren.
Nach über zehn Jahren Medizin – mit 19 Jahren habe ich das Studium begonnen – zu spüren, dass es mir umso besser geht, je weiter ich mich davon weg bewege, ist auch irgendwie befremdlich. Die ZNA würde ich weiterhin gern machen, aber den ganzen Rest nicht. Und wenn ich mir in einer stillen Stunde meinen Blog durchlese und lese, wie sehr ich unter der Arbeit auch gelitten habe, dann denke ich, dass es in einem noch viel größeren Umfang war, als ich das wahrgenommen habe. Denn es wirklich wahrzunehmen, hätte zu einer Krise geführt, in der ich mich ernsthaft mit Alternativen hätte auseinander setzen müssen und nicht jede leise Idee wieder in die Ecke hätte stellen können.
Und trotzdem – in der Psychosomatik zu sein bedeutet auch, wieder ein Anfänger zu sein. Es bedeutet, sich damit auseinander setzen zu müssen, dass es eben von Neuro – Seite heißt „Mach wenigstens Psychiatrie“ und ein Verbleiben in der Psychosomatik nicht vor dem Hintergrund einer fachlichen Begeisterung gesehen wird, sondern als Ausdruck von Faulheit, denn „da macht man ja nichts den ganzen Tag.“ Die meisten haben sich tatsächlich nicht mit der Materie beschäftigt und lieber für den Neuro -Facharzt gelernt.

Ich werde mich am Ende des Jahres hier damit auseinander setzen müssen, ob ich dem Verstand oder dem Gefühl folge. Beruf bedeutet keinen „unendlichen Selbstfindungstrip“, wie ein Oberarzt letztens einer Patientin sagte, die aber als alleinerziehende Mutter auch noch ihren Sohn finanziell mit versorgen muss. Ich bin eigentlich in der komfortablen Position, dass ich mir das aktuell leisten kann. Und manchmal tatsächlich auch befinde: Ich habe es auch mal verdient mich an dem zu erfreuen, was ich tue.


***

Die Trauer, die Fassungslosigkeit und all die Gefühle die man als Angehöriger eines an einem Suizid verstorbenen Menschen nun mal hat, sind wieder sehr laut geworden.
Das hat mich in solche unerträglichen Spannungszustände gebracht, dass es sich schon fast angefühlt hat wie ein Überflutungserleben und eine Emotionsregulation überhaupt nicht mehr möglich war. Dieses ständige Gefühl innerlich zerrissen zu werden hat mich dazu gebracht meine Fühlerchen wieder auszustrecken und ich war nochmal bei der Frau des Oberarztes.
Persönlich konnte sie mir eher weniger helfen, aber sie hat mich nochmal darauf hingewiesen, dass es auch in der Nachbarstadt eine Selbsthilfegruppe gibt. Das hatte ich damals sogar auf dem Schirm, da war die aber voll. Aktuell ist da scheinbar nicht so viel los. Ich habe mir überlegt, ich werde es erst nochmal versuchen mit der Selbsthilfegruppe etwas besser verarbeiten und regulieren zu können. Und wenn das nicht klappt oder ich mit der Frequenz nicht hinkomme – die sehen sich ja auch nur ein Mal im Monat – dann braucht es vielleicht nochmal eine Therapie. Aber aktuell weiß ich es wirklich nicht. Es gibt noch so viele blinde Flecken in der Geschichte und in jeder Therapie habe ich ein paar kleine Details ausgespart, von denen ich gehofft habe, dass dort nicht der Fokus hingelegt wird und die Behandler so lange darauf stehen, bis ich eine Antwort gebe. Ich bin immer noch nicht bereit über einige Dinge zu reden ehrlich gesagt und das hat so nicht sehr viel Sinn. Ich glaube, ich kann da immer noch nicht hundert prozentig ehrlich sein.

Anfang Dezember möchte ich seine Mutter besuchen. Ein bisschen ist der Dezember eben doch der Monat der bisher nicht eingelösten Versprechen des Jahres und das ist sicher bisweilen anstrengend.

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Das Wort „Papa – Präsenz“ hat mich ein bisschen beschäftigt. Der Oberarzt, dessen letzter Tag an diesem Freitag ist, hatte es in den Mund genommen.
Und da ist mir irgendwie aufgefallen, dass mein eigener Papa mich noch gar nicht gefragt hat, wie es mir eigentlich auf der Psychosomatik geht. Ich bin mir sehr sicher, dass er das auch nicht tun wird. Eltern melden sich nicht bei ihren Kindern, ist seine Devise. Das muss zwingend andersherum sein in seiner Wahrnehmung. Aber in seiner Wahrnehmung ist ja auch ein „kinderfreies Weihnachten“ erstrebenswert. Nicht nur jetzt – das war es schon in unserer Jugend.

Mir ist aufgefallen, dass manche Themen vielleicht nie ihre Aktualität verlieren. Dass manche Dinge, die gefehlt haben, für immer fehlen werden. Man kann das nicht aufholen und das fühlt sich wie ein Loch an, in das man immer mal wieder hinein schaut und bisweilen auch hinein gesogen wird.

Manchmal denke ich mir, es ist vielleicht ganz gut, dass er geht. Das erspart mir einiges. Er wäre schon ein Kandidat, an den sich irgendetwas in mir gern anlehnen würde. Wahrscheinlich hat er wieder irgendetwas an sich, an dem sich dieses Fehlen in mir anhängen würde. Und das ist immer anstrengend. Immer. Weil das nicht so sein darf. Und deshalb – ich mochte ihn auch von einer fachlichen Sicht sehr gern, er hat erst seinen Facharzt gemacht, das Wissen ist frisch und er scheut nicht, das zu verbreiten, aber ich glaube emotional ist es besser so.

***
Was den Kardiochirurgen anbelangt. Ich bin böse geworden. Aber so richtig. Denn nachdem er nach mehrfacher Erinnerung mal seinen Urlaubsplan mitgebracht hat, hat sich heraus gestellt, dass er im Dezember nicht – wie seit Wochen verkündet – die zweite Woche frei hat. Sondern lediglich den Freitag. Jetzt hat er noch einen Dienst getauscht, sodass ein Donnerstag – Dienstfrei dazu kommt.
An dem Abend habe ich gar nichts gesagt und die Wut am nächsten Tag auch noch mit auf die Arbeit genommen, wo den Kollegen sofort meine Kratzbürstigkeit aufgefallen ist. Und dann musste es raus. Fünf Monate Wut auf ein katastrophales Zeitmanagement haben dann so einiges mobilisiert und so schnell war der Herr noch nie hier. Ich glaube ihm war klar, dass die Hütte jetzt ordentlich brennt.
Am Ende hat er eingesehen, dass da wirklich auch von seiner Seite aus einiges schief gelaufen ist und er meinte, dass es dann berechtigt sei, wenn ich wütend sei. Er sagte, es würde ihm auch helfen, wenn ich ihn dann ab und an mal zurecht weisen würde und ihn stressen würde, wenn er nicht aus dem Quark kommt und es sei dann auch okay, wenn ich wütend auf ihn bin. Aber er hat betont, dass er mich sehr gern hat und das mit uns beiden nicht als „Spiel“ oder Beschäftigung nebenbei betrachtet.
So viel hat er tatsächlich noch nie zu irgendetwas gesagt, wenn ich mich ein bisschen beschwert habe.

Ich bin mal gespannt. Vier Tage haben wir ja immerhin gemeinsam frei. Aktuell überlegen wir, was wir gemeinsam machen. Der im Moment wahrscheinlichste Plan ist, dass wir nach Österreich fahren und ein bisschen die Vorweihnachtszeit genießen. Ich wäre ja schon sehr gespannt wie das funktioniert, wenn wir uns wirklich mal vier Tage an Stück haben.

Mondkind


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