Gedankenchaos

Es war eine Weile still hier.
Bis auf den üblichen Monatsbrief.
Es ist so viel los und gleichzeitig kann ich es nicht sagen.
Die Tage sind schwer geworden. Irgendwie. Langsam und leise. Obwohl… - wirklich so leise?
 
Aufstehen.
Auf die Arbeit schlappen. Hin.
Acht Stunden ein Ohr für die Patienten haben.
Zurück.
Warten. Zeitgleich Neuro lernen.
Und vielleicht sehen wir uns ne Stunde. Aber auch immer mit einem Auge auf der Uhr.
Und Repeat.
 
Seit Tagen.
Wochen.
Die Abende, die wir gemeinsam hatten seit Anfang des Jahres, kann man zählen.
 
Diese Beziehung fühlt sich an, wie absolute Machtlosigkeit. Kontrolllosigkeit. Alles das, was ich so sehr hasse. Und ich weiß, es ist einfach so. Das wird sich nicht ändern.
Wir planen von heute auf morgen. Wenn überhaupt. Und wenn im Dienstplan steht, dass beide frei haben, heißt das eigentlich gar nichts. Denn, turns out: Irgendwie macht der Kardiochirurg ständig irgendwelche Dienste, die nicht drin stehen.
 
Es ist ein permanentes Fehlen.
Und selbst, wenn wir dann abends mal kurz nebeneinander liegen reicht es nicht, um das Gehirn runter zu fahren, weil nach spätestens fünf Minuten einer von uns zappelig wird. Wir müssen ja nach Hause, wir müssen ja ins Bett.
Es fühlt sich ständig an, wie nicht gesehen werden.
 
Es ist ein ständiges Löcher stopfen. Ein ständiges Wollen, aber nicht können.
Ein ständiges „ich soll zufrieden sein, aber es geht einfach nicht.“
Es ist weiterhin die Frage: Geht das überhaupt mit zwei Medizinern? Denen beiden ihre Ausbildung wichtig ist.
Geht das, wenn zwei Menschen ständig so sehr im Außen sind? Wenn es nicht mal ein Innen richtig gibt. Wenn jeder Fokus auf das Innen zu ganz viel Sprachlosigkeit führt. Und wenn dort nur Erschöpfung herrscht. Die wenigen Wochenenden die wir haben, sind wir beide völlig platt.
 
Und dann wird das eine Grundsatzfrage.
Auf wie viel bin ich bereit zu verzichten? Wie wichtig ist mir die Karriere? Wie wichtig ist mir das Privatleben? Und wo mache ich die ersten Abstriche, wenn beides parallel nicht geht?
Haben wir Antworten?
 
***
„Bis es dann endlich Sommer wird…“
Es gab keinen ruhigen Frühling mehr. Seitdem es ein „Davor“ und ein „Danach“ gibt.
Und das „Davor“ im „Danach“ keinen Platz mehr hat.
 
Es gibt Momente von ganz viel Fühlen. Von Druck. Und Wut. Vom innerlichen Zerreißen
Vom Ringen um die Wörter.
Wenn das „Davor“ auf das „Danach“ trifft.
Was zur Hölle haben wir da gemacht? Was haben wir uns gedacht?
Wussten wir, dass eine Nacht für immer alles ändert?
 
Momente.
Ich in der grünen Jacke, die Du auch noch kanntest und mit den Autoschlüsseln in der Tasche, die uns damals vielleicht gerettet hätten, vor Deinem Grab. Bewaffnet mit einem Blumengesteck und einer Kerze. Weil mehr nicht mehr geht.
 
Momente.
Ich in dieser AGUS – Gruppe. Wieder. Der erste Versuch der Ablösung ist gescheitert.
Die brutale Konfrontation mit „Da ist etwas passiert.“
Fluchtimpuls zwischendurch. Ich kann hier nicht mehr bleiben. Das nicht mehr aushalten. Das hier, das kann nicht mein Leben sein. Ich will das nicht erlebt haben.
Manchmal kann man nicht wachsen an irgendwelchen Katastrophen.
 
Momente.
Ich hätte nicht gedacht, dass er kommt. Es ist nämlich zu spät. Nach der Gruppe. 22 Uhr schon durch.
Ich will ihn schon bei der Begrüßung nicht mehr loslassen. Es geht ums Halten. Wenigstens den Körper zusammenhalten, wenn das Innen zerfällt.
Manchmal schäme ich mich so sehr, dass ich verschwinden möchte.
Und dann retten nur noch Heizungsmomente. Still sein und sitzen. Nur spüren. Den anderen neben mir. Nicht alleine sein.
 
Momente.
Abschlussgespräch. „Darf ich auch noch etwas sagen?“ Ich nicke. „Sie sind eine ganz tolle Therapeutin.“ Und eine kurze Begründung wieso. Das tut seltsam weh. Ein bisschen was davon, vielleicht wäre das genug gewesen.
Vielleicht ist dieser Job eine unendliche Wiedergutmachung.
 
Die Zeit heilt die Dinge nicht.
So viel Schuld kann ein Mensch nicht wieder gut machen. 


***
Und dann gibt es das „nur“.
Diejenige, die „nur“ Psychosomatik macht. Während alle um mich herum ein paar Leben retten.
Warum will ich beim „nur“ bleiben?
Und ist das alles gut und richtig für mich?
Manchmal ertappe ich mich, die ZNA zu vermissen.

Hin.
Ein Ohr sein.
Zurück.
 
Und in diesem „Ohr sein“ bewegt sich auch für einen Selbst etwas.
Die Psychosomatik kann ein guter Lehrer sein.
Und wenn man das erste Mal die Psychodynamik der eigenen Eltern als „nicht hilfreich“ begreift, kann das verwirrend sein.
Niemals hinterfragte Dinge, die man als unumstößliche Wahrheit hingenommen hat, fallen vom Thron.
 
„Davor“. Irgendwann in diesem „Davor“, das heute so weit weg scheint:
Wir zu Dritt. Meine Mum, der Herr Psychiater und ich. In der Psychiatrie.
„Du willst doch wieder nach Hause, oder?“
„Ihre Tochter bleibt hier. Sie verlässt das Gelände erstmal nicht und Sie betreten das Gelände erstmal nicht.“
Ich hätte ihm um den Hals fallen können. Er war ziemlich gut darin, hochexplosive Situationen zu lösen, indem er einfach so getan hat, als sei das nichts. Im Kittel in seinen Sessel geflegelt, als wären wir auf einer Studentenparty.
 
Es war ein Ende. Von diesem Wahnsinn. Der sich bis heute schlecht definieren lässt.
Und ein Anfang. Davon, die Welt kennen zu lernen.
Fünf Monate habe ich gebraucht, bis ich vorerst selbstständig sein durfte. Vorerst. Und die Familie endgültig verloren hatte.
 
 
***
Und am Ende ist es alles gleichzeitig.
Beziehungsarbeit, Trauerarbeit, Biographiearbeit. Die Frage nach der beruflichen Zukunft.
Nebeneinander. Übereinander. Untereinander.
Chaos im Kopf.
Und der Körper quittiert das mit Erschöpfung, Magen- und Kopfschmerzen
****
 
Vor uns liegt wieder ein Wochenende.
Das eigentlich nur durch sechs Stunden Psychosomatik – Fortbildung gestört sein sollte.
Aber er hatte Rufdienst. Gestern. Ich hatte 24 - h - Dienst und habe mich gewundert, warum er von der Arbeit anruft. Der Dienst stand nicht im Plan. Und es war ultra – viel zu tun. Er ist nach zu wenigen Stunden Schlaf wieder hin. Wird wahrscheinlich heute und morgen komplett platt sein. Ob er er heute überhauopt arbeiten ist, wenn er bis 2 Uhr nachts im OP war, weiß ich nicht. Er müsste nicht, aber wie ich ihn kenne, ist er es doch. Und hat Sonntag wieder Dienst. Der stand auch nicht im Plan.
Es wird kein Wochenende für uns.
Dafür komme ich vielleicht mit Neuro voran.

Ach so – und jetzt habe ich auch noch vernommen, dass es schon wieder Stress mit den Verträgen gibt und mein Arbeitsvertrag nicht mal bis zum Ende meiner Psychosomatik – Zeit geht. Wenn die schon immer nur befristete Verträge verteilen, sollen sie halt wenigstens mit ihren Fristen zurecht kommen, meine ich.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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