Vom zu Hause und der Selbstsabotage

Pendeln.
Ständig.
Der Frühling löst irgendetwas.
Bricht die Oberfläche.
Macht Platz für die guten Momente.
Und all der Schwere, die darunter liegt.
 
Westlife.
„Home“.
Croke Park Stadium.
80.000 Menschen.
Und ich mitten drin.
Dieser Song war meine Hymne.
So viele Jahre.
Nach Hause kommen. War die Idee, das Ziel, eine Illusion.
Es war eigenartig. Dieser Song. 2012. Live. In diesem Stadion. In einer Verbindung. In der Masse. Wo ich den sonst nur alleine und in der Nacht gehört habe.
Zu Hause. So lange gesucht. Und nicht gefunden. Übergangs – zu – Hause etabliert. Und schließlich doch gefunden. Und wieder verloren.
 
Immer, wenn ich diese alten Songs raus krame, bewegt sich etwas.
 
Vielleicht haben wir Angst. Oder ich?
Sind nicht so gut im Bleiben.
Auch, wenn grad Vieles passt.
 
Wie ein Vogel.
Der über dem Nest kreist.
Noch nicht bereit, dort einfach mal zu landen.
Ruhe zu finden.
Zu vertrauen.
In mich, in uns, in das Leben.
Als könnte es sich wiederholen. Dieses Fallen. Ohne Boden. Fast, als hätte ich mich selbst aufgelöst.
 
Zu Hause im Wir finden.
Ich hätte nicht gedacht, dass das so schwer sein könnte.
Dass ich so unendlich viele Sicherheiten brauche. Rückversicherungen.

***

Manchmal ist`s schwer.
Weil die Wahrnehmungen so auseinander gehen und ich nicht mehr weiß, wo ich mich einsortieren soll.
Sonntagabend. Fast 21 Uhr. Meine Schwester kurz in der Leitung, während ich auf den Kardiochirurgen warte.
„Also Mondkind, mein Freund wollte heute Abend um 20 Uhr mit mir telefonieren. Aber Sonntag 20 Uhr, das ist doch mitten am Tag. Das geht doch nicht. Und er kann nicht verstehen, dass ich noch Putzen und Lernen und Kochen muss und jetzt einfach keine Zeit dafür habe, ich bin ohnehin noch bis mindestens Mitternacht beschäftigt – in letzter Zeit fordert er schon ein bisschen viel Zeit ein.“
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich scharre schon genauso ungeduldig mit den Hufen in meiner Warterei und ahne schon, dass ich vielleicht gar nichts mehr vom Kardiochirurgen hören werde, was mir wieder eine schlaflose Nacht beschert, was ich hasse, aber was jetzt schon mehrfach so war. Ich spüre eine Solidarität mit dem Freund meiner Schwester und eine in mir aufkeimende Genervtheit.

Ich glaube, ich war genau so. Mit dem verstorbenen Freund damals. Was haben wir uns gestritten, weil er mehr Zeit eingefordert hat und ich völlig überfordert in diesem Job war und zu Hause auch ab und an auch einfach mal meine Ruhe haben wollte. Und deshalb: Irgendwo auch ein sensibles Thema, weil ich da noch eine immense Ladung Schuldgefühle schleppe.
Und gleichzeitig: Vielleicht werde ich auch wieder genauso. Wenn ich zurück in die Neuro gehe. Oder der Facharzt näher rückt. Wenn Du ein Mal drin bist in dieser Bubble, dann kannst Du da nicht objektiv drauf schauen, glaube ich. Ich jedenfalls konnte das nicht.

Und irgendwie – und ich glaube das ist der Verwirrende daran - ist die Arbeit ja auch ein Schutzschild. Du kannst da gar nicht dagegen argumentieren - in der Diskussion ob gerade ein schwer kranker Patient oder der Partner wichtiger ist, wirst Du immer verlieren. Zum Teil ist das sicher einfach der Job, zum Teil aber auch sicher irgendwo Selbstsabotage.
Und es lässt einen immer fühlen, als wäre man einfach nicht wichtig genug oder als wäre es selbstverständlich, ständig zurück zu stecken.

Manchmal ist das echt so offensichtlich, dass es fast erschreckend ist. Meine Schwester ist gerade unsicher, ob sie das alles will. Sie könnte Funktionsoberärztin werden, sie würde sicher eine Oberarztstelle bekommen, nach dem Facharzt. Alles aufzugeben, für eine Beziehung, die man bislang nur als Fernbeziehung erlebt hat, ist sicher keine leichte Entscheidung. Aber statt das offen zu diskutieren, hat sie sich jetzt entschieden, mit ihren Arbeitszeiten völlig aufzudrehen. Eventuell nicht mal absichtlich. Selbstsabotage eben, in der alle Beteiligten irgendwie scheinbare Opfer werden. Und ich kann nur schwer verstehen, wieso Kommunikation manchmal so kompliziert ist. Wieso Menschen so viel mit sich selbst ausmachen. Das macht es doch nicht besser.

Wie das bei dem Kardiochirurgen und mir ist, weiß ich nicht. Dazu reden wir zu wenig. Der reine Sachstand ist zumindest mal ähnlich. Und es fällt schon schwer, es nicht als Desinteresse zu interpretieren. Und ich weiß, manchmal geht es einfach nicht. Aber statt es dann im Kopf abzuhaken – frei nach dem Motto – „für heute ist das Problem gelöst“, wäre ich ja manchmal schon dankbar für ein „gute Nacht – auch wenn ich mich heute nicht melden kann.“

Und gleichzeitig hinterfrage ich mich auch ein bisschen. Bindungen sind so eine Sache. Ich würde nicht behaupten, bisher sonderlich gute Bindungserfahrungen gemacht zu haben. Deshalb würde ich mich auch nicht für besonders bindungsfähig halten. Woher denn? Aber es gibt ein großes Bedürfnis nach Bindung. Und gleichzeitig ein ziemlich schwaches Vertrauen in eine Objektkonstanz.
Ich kann mich nicht ganz frei machen von diesem Wertesystem in der Familie, bei dem ich irgendwie immer durchgerutscht bin. Warum Jemand wie der Kardiochirurg bleiben sollte, ist doch eigentlich eine gute Frage und nicht so richtig zu erklären. Obwohl ich das hoffe, aber er hat meiner Meinung nach keine Gründe. In meiner Wahrnehmung profitiere ich einfach mehr von ihm, als umgekehrt. Vielleicht bin ich auch deshalb mal grundsätzlich sehr kritisch eingestellt und es braucht schon immense Überzeugungsarbeit, damit ich irgendwie glauben kann, wichtig in seinem Leben zu sein. Das ist eben ein tägliches Schwanken.
Und da ist das schon die Frage: Ist das eine einigermaßen adäquat funktionierende Beziehung oder bin ich so sehr auf der Suche nach Bindung, dass ich alles irgendwie mitmache, um die behalten zu dürfen und gleichzeitig merke, dass es aber für mich sehr schwierig ist.

Und seine Arbeitszeiten – egal, was dahinter steckt - und meine Bedürfnisse – das knallt einfach vor dem Hintergrund von dieser Dynamik täglich massiv. Und ich glaube (naja, vielleicht ist das auch „nur“ ein Wunsch), es ist lösbar. Aber mutmaßlich nur durch viel Kommunikation. Und da schließt sich der Kreis.

Auf der ersten Fahrradtour des Jahres kürzlich...


***

Im Moment ist es wirklich ein bisschen schwierig. Im Hintergrund tauchen fast täglich neue Probleme auf. Sei das nun, dass ein neuer Frühling die Erinnerungen an den verstorbenen Freund wieder lebendig werden lässt und auch das Versagen in jenem Frühling. Oder, dass die Personalabteilung mir eine Mail geschrieben hat, ob mir denn bewusst wäre, dass mein Vertrag nicht mehr bis zum Ende des Psychiatrie – Jahres reicht. Nee, das war mir ehrlich gesagt nicht bewusst. Und auch, wenn es eher ein formales Problem ist – aber ab Mitte September mal formal arbeitslos zu sein bei nicht gerade sonderlich vielen Krankenhäusern hier auf dem Land außer eben dem, in dem ich arbeite – ist schon eher unangenehm. Ja, es wird alles lösbar sein, aber wenn der Konzern Leute einsparen will im Notfall eben mit einem Umzug oder viel Fahrerei verbunden sein.
Zudem hat mich auch noch meine Versicherungsfrau angerufen. Die Frau ist so unangenehm, dass mir jetzt echt die Hutschnur gerissen ist und ich versuche mit allen meinen Versicherungen zum früheren Versicherungsmakler zurück zu gehen. Mal sehen, ob das klappt; Aufwand ist es in jedem Fall, aber ich möchte die Frau hier nicht mehr sehen.
Zudem gibt es natürlich weiterhin Schwierigkeiten mit dem Kardiochirurgen. Wir haben uns die letzten anderthalb Monate größtenteils eher sporadisch gesehen. Ich rede schon viel auf ihn ein, aber es ist weiterhin schwierig.

Und mit einem Kopf voll Sorgen auch noch täglich acht Stunden für die Patienten da zu sein, hat mich jetzt so an die Grenzen gebracht, dass ich denke, dass ich vielleicht doch zurück in die Neuro gehe. Ich schaffe das einfach gerade emotional nicht mehr.
Zumal alles früheren Anlaufstellen recht versiegt sind. Mit dem Intensiv – Oberarzt ist das alles etwas schwierig geworden, ebenso mit seiner Frau. Und mehr gab es nicht mehr.

Im Moment ist das eher so ein Überleben.
Ich bin froh, wenn der Tag überstanden ist und ich mich zur Ruhe legen darf.
Nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen.


Mondkind


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