Von einem Coaching - Termin

Du stehst jeden Morgen auf uns hoffst, dass es minimal besser ist.
Aber das ist es einfach nicht.
Wieder die halbe Nacht wach gewesen.
Wieder so erschöpft, dass Dir permanent beinahe die Augen zufallen.
Wer weiß, wie man den Tag überleben wird. Geschweige denn, dass es etwas mit Neuro wird.

Nachmittag.
Eine Kollegin aus der Neuro ruft mich an. „Mondkind, nachdem zwei Leute nacheinander durch die Facharztprüfung durchgefallen sind, überlegen die Chefs sich das schon genauer, ob sie jemanden zur Prüfung schicken.“ „Naja, ich kann ja nicht ewig warten. Ich habe jetzt einfach angefangen zu lernen und gehe diese Woche aufs Repetitorium – ich hoffe natürlich sehr, dass die Mühe der letzten Monate nicht umsonst ist und ich nicht mal einfach über 500 Euro zum Fenster raus geschmissen habe.“ „Mondkind, du wirst Dich noch umgucken, was da verlangt wird. Das ist nicht so einfach.“
Nachdem ich aufgelegt habe, muss ich erstmal durchatmen. Eigentlich wollte ich ja auch nie schon nach knappen fünf Jahren diese Prüfung machen, aber mit dem Wechsel in die PSK vor der Nase geht es nicht anders. Es ist jetzt nicht so, dass ich mich bereit dafür fühlen würde und das befürworten würde, demnächst ohne Oberarzt arbeiten zu dürfen. Aber das sollte ich mal lieber für mich behalten.

Am Nachmittag bekomme ich dann auch noch eine ziemlich unschöne Mail.
Das Vorhaben der Doktorarbeit gilt offiziell als abgebrochen, weil ich jetzt über die Frist bin. Natürlich wusste ich das schon längst und ich wusste auch, dass diese Arbeit nicht mehr fertig wird. Ich habe mich schon gefragt, wo diese Mail bleibt und ob ich vielleicht doch irgendwo durch gerutscht bin.
Und irgendwie wird mir aber doch klar, dass seitdem Examen bisher alles schief gegangen ist. Privat und beruflich habe ich es nicht wirklich geschafft, Fuß zu fassen. Privat haben der Freund und ich das eben nicht geschafft mit der Distanz. So wenig, dass es ihn das Leben gekostet hat. Und ob ich beruflich wirklich Fuß gefasst habe, darüber lässt sich sicher streiten.
Meine Schwester hat das irgendwie besser hinbekommen. Sie hat einen Freund, mit dem sie dieses Jahr zusammen ziehen möchte, hat ihren Doktortitel und eine Funktionsoberarztstelle hat man ihr auch angeboten.
Ich frage mich, wo ich so viel falsch gemacht habe. Habe ich mich nicht genug bemüht? Oder muss man auch einsehen, dass das Leben nicht immer planbar ist?

Am Abend nach der Arbeit fahre ich mal wieder zur Frau des Oberarztes. Ich war seit November nicht mehr da. Der Termin heute ist eher zur Entlastung gedacht. Ich denke, das werden wir zwei schon hinkriegen.
Und dann erzähle ich. Von den langen Tagen, den kurzen Nächten, von der Erschöpfung und der fehlenden Resonanz in mir, dass ich morgens eigentlich nicht mehr weiß, wie das einen weiteren Tag so gehen soll. Dass es erstaunlich ist, so schnell wieder dort gelandet zu sein und es nicht geschafft zu haben, das vorher abzuwenden. Ich erzähle davon, dass aktuell alles unklar ist. Man weiß nicht, wie es mit dem Facharzt weiter geht, wo ich ab Oktober weiter arbeiten werde. Man weiß nicht, wie es mit dem Kardiochirurgen weiter geht.
Tagespläne, schlägt sie vor. Kleine Schritte. Runter streichen, was nicht geht – aber nicht Neuro nach Möglichkeit. Prioritäten setzen. Vielleicht geht eine nicht laufende Beziehung und Facharztvorbereitung zusammen nicht. Vielleicht sollen der Kardiochirurg und ich eine Beziehungspause machen bis wir bereit sind, aufeinander zuzugehen und unsere Dinge zu klären. Weil es anstrengend sein muss, jeden Abend auf ihn zu warten, immer etwas zu essen in der Hinterhand zu haben wenn er kommt und fast kein eigenes Leben mehr zu haben. Etwas für mich zu tun, das gibt es ja quasi überhaupt nicht mehr. Die Tage werden länger; man könnte nach der Arbeit auch erstmal eine Runde spazieren gehen, ehe man sich wieder an den Schreibtisch setzt, aber wenn man natürlich spätestens halb acht Uhr am Abend das Soll erfüllt haben möchte, ist das nicht drin, außer der Kardiochirurg hat wirklich Dienst. (Obwohl er gefühlt dieses Jahr noch nie vor 19 Uhr raus war…). Und in der Position, dass ich einfach mal beschließe, ich habe heute keinen Bock auf Stress und dann kommt er eben einfach nicht, weil ich nicht fertig bin – auch, wenn ich eben nicht mehr auf der Arbeit an sich hocke – in der Position sind wir nicht. Dann sehen wir uns de facto auch nicht mehr.

Schwierige Zeiten. Weil ich nicht weiß wo es hingeht und es zu wenig Zeit gibt, um Dinge zu klären.


Manchmal liebt man die richtigen Menschen zum falschen Zeitpunkt. Vielleicht wird er irgendwann ruhiger. Vielleicht kann er irgendwann auch eine mögliche Partnerin neben sich sehen. Aber jetzt gerade ist er eben lieber mit seiner Arbeit verheiratet. Das, was ich noch machen muss, hat er längst getan. Er hat seine Prioritäten gesetzt. Er hat sich entschieden. Und ich stehe eben nicht an erster Stelle, stelle ihn aber noch an erste Stelle.
Und das ist ja nicht mal böse gemeint. Mir war dieses Medizinerding eben nie so wichtig. Bei ihm war das vielleicht anders. Generell ist einem ja immer das am Wichtigsten, das man nicht hat. Okay, oft zumindest. Ich verurteile ihn da auch gar nicht. Das ist okay. Aber so geht es eben einfach nicht.
Weil allerdings der verstorbene Freund aktuell so präsent ist, postuliert sie auch, dass der Platz neben mir vielleicht gar nicht frei ist. Selbst, wenn ich die Zeit hätte. Ich weiß es nicht. Generell würde ich das so nicht unterschreiben. Aber der Frühling hat es in sich, da hat sie Recht.

So, mehr kann ich heute nicht mehr sagen, obwohl das Hirn voll ist.
Ich versuche, mich minimal zu erholen.

Mondkind

 Bildquelle: Pixabay

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