51 Monate und Start in der Neuro

Mein lieber Freund,
schon wieder ist ein Monat vergangen. Und der war ziemlich turbulent.
Anfang des Monats hat relativ abrupt der Herbst an die Tür geklopft. Nach den langen, sonnigen und warmen Sommertagen, die schon Ende August merklich kürzer geworden sind, ist es vom einen auf der anderen Tag knapp 20 Grad kühler und regnerisch geworden. Ich habe an Dich gedacht und daran, dass es sicherlich erleichternd für Dich gewesen wäre. Alles über 25 Grad war Dir zu warm und der halbe Sommer war einfach eine Katastrophe für Dich.
Und dann bin ich das erste Mal seit bestimmt 15 Jahren geflogen, was ziemlich aufregend war. Zum Einen funktionieren viele Dinge anders als damals (ich kam mir streckenweise echt dämlich vor…) und zum Anderen hat es mich sehr an mein früheres Ich erinnert, das ja unbedingt Pilotin werden wollte. Naja, ehrlich gesagt war mir beim Start ziemlich mulmig und ich hatte irgendwie etwas Angst, dass wir abstürzen. (Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel „Mayday – Alarm im Cockpit geschaut“… - *hust*). Auf jeden Fall möchte ich ja nach dem Facharzt vielleicht paragliden lernen und irgendwie dachte ich mir, dass man da ja nur sich selbst in der Luft hat und nicht mal einen schützenden „Bau“ außen rum (wobei einem das im Flugzeug bei einem Absturz aus 10.000 Meter Höhe sicherlich auch nicht hilft). Naja, Du würdest beides unnötig finden. In den Urlaub fliegen und paragliden auch. Ach ja – und nur so zum Spaß würde ich ja schon ein Mal aus dem Flugzeug hüpfen. Aber nur ein Mal, sicher mache ich keine Fallschirmspringlizenz. Das würdest Du noch unnötiger finden.
Die Zeit auf Teneriffa war ganz gut. Ich bin noch dabei das zu verarbeiten. Irgendwie hat das schon viel an frühere Urlaube mit der Familie erinnert und so langsam bin ich da in eine andere Position gerückt. Schon crazy, dass wir theoretisch schon eigene Kinder dabei haben könnten. Vom Kardiochirurgen hat man indes einige Tage gar nicht so viel gesehen, was es dann doch streckenweise wieder etwas schwierig gemacht hat.
Tatsächlich habe ich auch in diesem Urlaub das erste Mal von Dir geträumt. Das hat mich richtig doll verwirrt und ich wollte es eigentlich diesen Monat in der AGUS - Gruppe besprechen, aber einer der Nachteile in der Neuro ist nun mal, dass Du Dir sehr genau überlegen musst, wann Du abends ins Bett gehst, wenn der Wecker vor halb sechs am nächsten Morgen klingelt. Und diese Abende werden immer spät. Das war mir zu heikel am ersten Tag zurück auf der Neuro, aber ich hoffe, dass ich es nächsten Monat wieder schaffen werde.
Naja und dann war die Zeit auch geprägt vom Ende in der Psychosomatik. Die Woche nach meinem Urlaub war wild – ich musste so viel nacharbeiten, dass ich selbst dort viele Überstunden geschoben habe. Ich habe jetzt allerdings gehört, dass die Gruppe nach meinem Weggang (und es sind ja erst wenige Tage) ziemlich eskaliert ist und es recht viel Streit gibt. Teilweise würden die sich in der Gruppe anschreien und dann gibt es im Nachgang Kriseninterventionen ohne Ende. Also entweder ich bin genau zum richtigen Zeitpunkt gegangen oder ich hatte die Patienten doch mehr im Griff, als ich dachte. Wobei man auch echt sagen muss, dass die neuen Patienten sehr schwierig waren und es da einiges an Fingerspitzengefühl brauchte. 

Eines der Bilder vom Urlaub. Das war ein richtig schöner Bootsausflug. Man sieht das auf dem Bild gar nicht so gut, aber wir sind quasi vom Nebel in die Sonne gefahren und das war so magisch...


Gerade habe ich ein paar freie Spitzen. Der Kardiochirurg hat Rufdienst. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum er immer noch so naiv ist und meint, es wird schon nichts passieren, wenn er an einem Feiertag oder Wochenende Rufdienst macht. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, dass das schon ein Mal so gewesen wäre. Aber ich habe schon damit gerechnet, dass ich heute die Wohnung etwas putzen und Dir schreiben kann. Wobei die Wohnung auch mal eine Generalüberholung bräuchte. Es geht jetzt wieder – man kann sich wieder wohler fühlen, aber so grundsätzlich… Ich habe vorhin mal die Sonnencreme wegsortiert und da stehen noch ein paar Alte, die halb leer und abgelaufen sind im Schrank und so ist es mit vielen Dingen hier. Ich habe manchmal das Gefühl, man könnte die halbe Wohnung weg schmeißen. Vielleicht muss ich das mal machen. Nach dem Facharzt. Aber dazu gleich auch noch ein paar Gedanken.

Ich bin wieder in der Neuro gelandet. Ehrlich gesagt sanfter als gedacht. Ich bin auf der Stroke Unit und gerade arbeite ich mit tollen Kollegen zusammen. Welche die schon lange dabei, aber sehr nett sind und ein paar Youngstars aus der Reha, die richtig fleißig sind. Die Faulis haben gerade Urlaub oder sind krank. Und wir haben einen neuen Oberarzt, für den ich nicht mehr die rechte Hand und grundsätzlich Schuld an allem bin. Die ersten beiden Tage habe ich mir erstmal Patienten mit Komplikationen eingefangen, die mich bestimmt an beiden Tagen je zwei Zusatzstunden gekostet haben, aber das ist okay.
Und das hat mich schon zu der Überlegung gebracht, inwieweit das Arbeitsklima eigentlich die Berufsentscheidung beeinflusst. Die letzten neun Monate Stroke Unit bevor ich gegangen bin, waren quasi nicht mehr zu ertragen, aber da war die Situation eine ganz andere. Umgekehrt hat mich in der Psychosomatik auch eine Sektion sehr genervt, weil da im Grunde nur Arbeit hin und her geschoben wurde und die Oberärztin interessiert an der Rente, aber nicht an der Ausbildung war. In meiner zweiten Sektion war ich dann quasi unsichtbar, weil ich der Oberärztin noch zusätzlich zugewiesen wurde, nachdem eine andere gegangen war. Und erst mit meiner dritten Sektion war ich richtig doll zufrieden und habe so gerne gearbeitet… - allerdings war die neue Oberärztin jetzt lange krank und habe sich am Tag bevor sie krank wurde bei einer der Schwestern ausgekotzt, dass ihr das alles zu viel wird. Ich hoffe so, sie kündigt nicht. Da wäre sie nicht die Erste.
Also was ich sagen will: Manchmal ist es so schwer Interesse am Fach von zwischenmenschlichen Miteinander zu unterscheiden. Für mich ist Letzteres einfach sehr wichtig. Ich kann mich in viel rein hängen und für viel begeistern, wenn ich das Gefühl habe, dass es im Team passt.

So – ich werde mich mal mit Epilepsie beschäftigen. Vielleicht noch zwei, drei Worte zum Facharzt: Ich habe mich in der letzten Zeit gefragt, ob es auch irgendwie „falsche Zeitpunkte“ für den Facharzt gibt. Ich glaube, es geht nicht nur um objektiv sinnvolle Prioritätensetzung, sondern auch um das, was man selbst aufbringen kann, trotz allen Bemühens.
Also, vielleicht muss ich das erklären: Mit dem Kardiochirurgen ist es ja nicht so einfach. Sobald es irgendeinen freien Tag gibt, startet er durch wie eine Rakete. Er ist überall an diesem Tag, nur nicht bei mir. Wie gesagt – wir hatten noch kein freies Wochenende zusammen dieses Jahr außerhalb von Urlaub. Zwar scheinen freie Wochenenden schon generierbar zu sein, aber eben nicht für mich – dieses Wochenende ist zum Beispiel so Eines…  (Deswegen hat es mich auch im Urlaub so geärgert, weil das normalerweise eben schon funktioniert, dass wir Paarzeit haben, wenn wir gar nicht erst hier sind und diesmal ging es auch nicht…) Wenn man das mit dem Facharzt jetzt ernst nehmen würde, dann würde das bedeuten, dass es bis nach dem Facharzt jetzt erstmal keinen Urlaub mit weg fahren mehr gibt. Also – zumindest nicht mit größerem Wegfahren. Zwei, drei Tage in die Berge, wie letztes Jahr – das war sehr schön – das ginge sicher noch, aber mehr nicht. Und ich müsste auch mal aufhören können, die Variable zu sein. Es müsste eine Lernvorgabe geben und an die müsste ich mich halten. Aber das funktioniert eben nicht – zumindest dann nicht, wenn ich möchte, dass wir uns eben doch auch nochmal irgendwann sehen. Meine Funktion in dieser Beziehung ist nun mal, Variable zu sein. Naja, nicht DIE Funktion. Aber eine der Funktionen. Deshalb macht mir das mit der Neuro jetzt auch sehr, sehr viel Sorge. (Und es nervt mich arg, dass ich keinen der am Wochenende zu vertretenden Visitendienste bekommen habe. Zum Einen wird meine Laune ohnehin unterirdisch schlecht sein am Wochenende, da wäre Ablenkung nicht schlecht, zum Anderen hätte ich dann zumindest versuchen können, der Kollegin, die dann hoffentlich wieder da ist, einen meiner Visitendienste der kommenden Wochenenden abzugeben, damit ich halt irgendwann mal ein freies Wochenende generieren könnte, denn meine hören auf, wenn seine anfangen… - jedenfalls die für mich…).
Jedenfalls – zurück zum Facharzt: Vielleicht haben wir in zwei, drei Jahren die Beziehung besser auf der Kette. Oder die Lebenslage ist dann wieder eine andere. Im Moment habe ich den Eindruck, dass ich einer Sache eine Priorität einräumen müsste, die ich nicht ausreichend einräumen kann, ohne dass etwas anderes, das mir viel wichtiger ist, darunter leidet. Es wird keine gemeinsamen Lernabende geben. Das haben wir seit über einem Jahr nicht hingekriegt, warum soll das jetzt demnächst funktionieren…?
Und gleichzeitig sehe ich, dass alle um mich herum eben langsam den Facharzt machen und ein Teil von mir nimmt eben doch diesen Druck wahr, das langsam machen zu müssen und zu wollen, zumal ich für mich immer noch keine große Zukunft in der Neuro sehe. Mich wird da niemand zur Oberärztin machen…
Und irgendwie bin ich aber nicht nochmal bereit, einen Partner an dieses Leistungsding zu verlieren. Ich meine, er wird sich nicht umbringen, so meine ich es nicht. Aber ich will nicht am Ende den Facharzt haben, aber dafür keine Beziehung mehr. Dieser Facharzt wird mich nämlich nicht glücklich machen. Es ist dran jetzt, ohne komme ich auch beruflich nicht wirklich weiter. Aber ich werde nicht stolz drauf sein. Ich war auf keinen Abschluss je stolz. Ich hätte die alle nie haben müssen, hätte ich dafür etwas mehr vom Leben gehabt, etwas mehr Beziehung und Bindung, ein paar mehr Erlebnisse für die Ewigkeit. Ich habe an die Schulzeit und an das Studium kaum Erinnerungen, kaum Leute, die ich von dort noch kenne. Das ist okay jetzt, aber es muss ein Ende haben. Irgendwann mal.

Naja, soweit erstmal, ich geb mir jetzt mal Mühe, etwas voran zu kommen.
Halt die Ohren steif. Ich denk an Dich.
Gibt bald ein neues Lied von Florian Künstler. „Weiße Haare“, wird es heißen. „Ich werd immer Deinen Namen sagen, wenn mich irgendjemand fragt, wer meine große Liebe war.“ Wahrscheinlich kann es mehrere große Lieben in einem Leben geben. Muss es mehrere zumindest in meinem Leben geben. Jedenfalls war es ab diesem Teil in dem Song für mich vorbei. Dein Name wird immer fallen. Ich versprech’s Dir. Auch, wenn ich Dir langsam doch nicht mehr versprechen kann, dieses Jahr noch Dein Grab zu besuchen. Wann soll ich das noch machen… ?

Mondkind


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