Von einem Freitag
„Der Start in ein langes Wochenende steht an, die Autobahnen sind dementsprechend voll“, tönt es aus dem Lautsprecher im Auto.
Stimmt. In einer anderen Welt gibt es etwas wie lange Wochenenden.
In meiner schon lange nicht mehr.
Von dem langen Wochenende bleibt dem Kardiochirurgen und mir genau ein halber Tag. Von Freitag bis Samstag hat er Dienst. Wahrscheinlich wird er am späten Vormittag aus dem Dienst kommen; allerdings zu spät, als dass es sich noch lohnen würde frühstücken zu gehen. Und am Sonntag habe ich Dienst. Heute gab es nochmal ordentlich Stress wegen der Dienste am Wochenende, weil ein Kollege, der schon eher eine Notlösung war, noch krank geworden war. Ich habe nochmal versucht auch meinen eigenen Dienst ein bisschen umzuschieben, sodass es ein bisschen besser zusammen passt und es wäre mir auch fast gelungen, aber dann war eine Kollegin doch nicht einverstanden.
Es ist ein seltsames Erleben. So entrückt, so neben mir stehend, als sei ich nicht mehr Teil dieser Welt und von allem, was hier passiert.
In mir schreit alles danach, mal irgendwo einfach zur Ruhe kommen zu dürfen. Gefühlt hat es das seit dem Frühling nicht mehr gegeben, seit den ersten heißen Tagen, die wir in Slowenien verbracht haben. Seitdem ist es immer irgendwie Stress, ist immer einer auf dem Sprung, man kann fast spüren, wie irgendetwas einen immer antippt, wenn man es auch nur wagt, ein bisschen stiller zu werden. Wir haben keine Zeit, der nächste Termin ist immer auf dem Schirm.
Und irgendwie fühlt es sich so an, als wären die letzten Kraftreserven fast aufgebraucht.
Der Plan für nächste Woche sieht auch nicht vielversprechend aus. Abgesehen davon, dass ich ja Sonntag bis zwei Uhr nachts oder so in der Klinik sein werde und kurz nach sieben in der Früh am Montag schon wieder da sein muss und dementsprechend neben mir stehen werde, ist Dienstag theoretisch noch AGUS – Gruppe, Mittwoch ist Balintgruppe in der Psychosomatik. Dann wechsle ich auch am Mittwoch von der Stroke Unit auf die Kurzliegerstation, was bedeutet, dass ich an zwei Tagen hintereinander Chefarztvisite habe, die auf der Stroke am Dienstag und auf der Kurzliegerstation am Mittwoch ist und am Donnerstag habe ich Dienst und natürlich hat man mich nur auf die Kurzliegerstation gesetzt um zu verhindern, dass ich Freitag früh gehe – was von der Stroke schon möglich ist, von der Kurzliegerstation eher nicht, weil man meistens am Freitag 10 Briefe oder irgendetwas in der Range am Hals hat und die natürlich Niemand für einen schreibt und man dort so lange sitzt, bis alles fertig ist.
Und so ganz nebenbei wartet da ja auch noch eine Facharztvorbereitung…
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Hab meinen Schlüssel zuletzt etwas aufgepimpt |
„Wie geht’s Dir eigentlich?“
Als dieser Song raus kam, warst Du schon tot.
Ich hab ihn zum ersten Mal gehört in diesem Sommer danach, irgendwo in der Studienstadt, am Fluss. Und ich hab so sehr geweint damals, weil ich mir zum ersten Mal seitdem Du tot warst die Frage wirklich gestellt habe. Nicht, dass ich davor nie gefragt worden wäre in diesem Sommer, der alles verändert hat. Aber ich habe mich nicht gefragt.
Seitdem höre ich diesen Song immer wieder, wenn ich die Frage gerade bräuchte und niemand mehr sie stellt.
Zurück in der Neuro zu sein, ist verrückt. Diese Fließbandarbeit. Dieses Einsortieren von Menschen in Kategorien. Das Zuordnen der Symptome in neurologische Schubladen, von denen man mal gehört hat. Die Wut darüber, wenn das nicht klappt. Wenn die Patienten Dinge erzählen, die vorne und hinten nicht zusammen passen, neurologisch keinen Sinn ergeben, aber wenn man fünf Minuten zuhört begreift man, es ist auch nicht die Neurologie, sondern die emotionale Verfassung, die diesen Menschen einen Streich spielt und meistens wird das bei uns nicht besser.
Ich frag mich, wie es den Menschen geht, wenn wir denen sagen, dass sie einen Schlaganfall, einen Tumor oder irgendetwas haben. Wie fühlt man sich, wenn der Körper, auf den man sich doch verlassen konnte, anfängt Dinge zu machen, die man für sich nicht vorhergesehen hatte? Die wenigsten Menschen thematisieren es – diejenigen die es tun, landen meist wieder in einer Schublade. In keiner Guten.
Hier zu arbeiten macht mir manchmal Angst. Denn manchmal frage ich mich: Was mache ich, wenn ich je in einem dieser Betten lande? Wohin mit allem, das da noch ist?
Frühbesprechung.
Wir reden über einen Patienten Anfang 40.
„Das sind sensationelle Bilder, die können wir auf der nächsten neurovaskulären Konferenz präsentieren“, redet sich der Chef heiß. Heute wird sogar extra der PC im Besprechungsraum hoch gefahren, damit alle die Bilder sehen können.
Wir haben alle schon mal ein Gehirn gesehen, das so ödematös angeschwollen ist, dass der Mensch quasi schon tot ist – was daran so besonders sein soll, verstehe ich jetzt wirklich nicht.
Unser neuer Möchtegern – Assistent sucht die Bilder und braucht schließlich Hilfe vom Oberarzt, während ich mich schon wieder frage, in welchem Film ich hier eigentlich bin. Da stirbt gerade jemand auf der Intensivstation; ein junger Patient und alles woran wir denken ist, dass man die Bilder ja irgendwo präsentieren könnte. Und es ist nicht mal ein Patient unserer Fachrichtung – ursprünglich kam er wegen anderer Dinge und dann hatte er super viel Pech.
Ich frag mich so oft, ob es der richtige Job ist.
In dem ich manchmal selbst enthusiastisch über die Flure fege, am liebsten in der ZNA bin, etwas tue. Versuche zu retten, was zu retten ist.
Aber, in dem wir auch nicht inne halten, wenn nichts mehr zu retten ist. Dann tun wir so, als wären diese anderen Menschen ein Objekt, weit weg von uns. Dann gibt es plötzlich keine Helden mehr.
Ich frag mich, ob ich mich immer fühlen möchte, wie in einer Werkstatt, immer so viel geben möchte, das Privatleben einfach komplett vergessen möchte. Vielleicht nie eine Familie gründen werde, weil irgendwie nie Zeit dafür war, weil man so schwer aus diesem Kreisel raus kommt, wenn man ein mal drin ist. Weil man quasi immer verfügbar sein muss, außer man hat Urlaub und selbst dann hat man bitte verfügbar zu sein.
Ich möchte lange Wochenenden haben, ich möchte mitbetroffen sein, wenn von Staus geredet wird am Anfang der Wochenenden. Ich möchte zwei Tage in der Woche einfach mal die Seele baumeln lassen, den Partner ohne Stress an meiner Seite haben. Spontan mal was machen können. Wir versuchen seit einem halben Jahr in einem neuen Frühstückslokal essen zu gehen und das ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit.
An manchen Tagen kann ich das alles akzeptieren. Akzeptieren, dass das nun mal mein Leben ist und ich mich wohl oder übel gerade irgendwie damit anfreunden muss. Und an anderen Tagen denke ich immer noch, dass ich das so nie gewählt hätte.
„Oh sag wie geht`s Dir eigentlich?“
Heute geht es mir nicht gut.
Übrigens werde ich das auch dieses Jahr nicht mehr schaffen.
Am Rhein sitzen. Und nachspüren.
Und manchmal wünschte ich, ich könnte dafür sorgen, dass ich trotz allem zumindest die wichtigen Dinge tun kann.
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