Von einem Gespräch mit dem Oberarzt
Dritter Kaffee.
Und trotzdem verschwimmen die Buchstaben noch vor den Augen und ich bin so müde, dass ich gefühlt in jeder Ecke einschlafen könnte.
Solche Wochen erfordern ihren Tribut. Irgendwann immer. Meist, wenn es stiller wird.
Vaskulitiden sind heute dran.
Fertig werde ich sicher nicht. Aber die Wichtigsten könnte ich zusammen fassen. Und wenn dann noch Zeit ist, kann ich nochmal ins EMG – Buch schauen.
Schnipsel.
Weil chronologische Zusammenfassungen gerade nicht mehr drin sind.
Aus Zeitgründen. Konzentrationsgründen. Weil die Hälfte ein paar Tage später schon nicht mehr aktuell ist.
Manchmal klingt’s anders, wenn man es dann wirklich mal ausspricht.
„Naja, die letzten Tage waren ein kleiner Test. Irgendwie hat es gerade gepasst. Er hatte „Frei – nach – Nachtdienst – Woche“ und ich hatte Spätdienste und habe dann einfach mal beschlossen, dass ich nach den Spätdiensten bei ihm schlafe und am Morgen auch von ihm aufbreche. Ich war kaum zu Hause die letzten Tage.“
„Und wie hat es geklappt?“
„Naja, nicht wie ich mir das gedacht habe. Er war halt einfach ab Donnerstag super genervt, es war so schwer, das auszuhalten und ich habe mir schon ganz ernst überlegt gestern, ob ich wirklich nach dem Dienst zu ihm fahre, aber ich wollte das einfach mal durchziehen.“
„Überhaupt war das mit diesem Dienst, den er heute hat, auch so ein Experiment.“
„Was für eins?“
„Naja, wir wussten früh genug, dass es dieses Wochenende mal wieder so ist, dass ich Samstag arbeite und er Sonntag. Und ich wollte wissen, wenn ich einfach mal nichts mache – versucht er zumindest irgendetwas? Passiert irgendetwas, wenn ich einfach mal nichts mache? Ich habe den Kollegen bekniet, dass er seinen Urlaub verschiebt, damit wir beide noch eine Woche kriegen Anfang Dezember, ich tausche ständig die Wochenend – Dienste und wahrscheinlich wirkt das langsam komplett desorganisiert. Und das ist auch mal okay – wenn das auf Gegenseitigkeit beruht. Aber das tut es ja irgendwie nicht.“
Ich überlege ein bisschen. „Ich glaube, es geht da auch viel um Schuld, um ein Nicht – verstehen der Position des Anderen. Ich weiß schon, dass es ihm schlecht geht, wenn er nach seiner Nachtdienstwoche die ganze Woche hier ist. Für ihn ist das nichts, was er schätzen könnte, dass wir mal die Abende haben oder so. Ich weiß schon, dass ich der Grund bin, dass seine Laune jetzt so schlecht war; er meinte auch mal, er fühlt sich eingeengt von mir und könne nicht mehr tun, was er wollte. Wenn es nach ihm ginge, dann würden wir uns nämlich in der Nachtdienstwoche nicht hören und die Woche danach wäre er auf Reisen. Und natürlich hat er mich das jetzt spüren lassen.“
Ich schweige eine Weile.
„Facharzt und dieses Beziehungschaos, das geht einfach nicht…“
„Na und wenn Sie einfach mal eine Weile Abstand halten?“
„Naja, dann vermisse ich ihn…“
„Vermissen Sie ihn, oder was vermissen Sie da?“
„Das habe ich mich auch schon gefragt…“ Ich denke eine Weile nach. „In der Psychosomatik haben wir immer gesagt, wenn jemand bleibt, dann will er noch etwas von der Situation, sonst würde er gehen. Ich glaube, das ist eher diese Illusion. Dass es gut werden könnte. Oder nochmal werden könnte, wie es war. Manchmal denke ich, genau das ist auch dieses Florian – Künstler – Ding. Er hat natürlich viele Songs und ich liebe die meisten, aber die erfolgreichsten sind die, die so eine „Heile – Welt – Bubble“ sind. „Kleiner – Finger – Schwur“, oder jetzt zuletzt „weiße Haare.“ Wenige haben das Glück und erleben so etwas und die restlichen Menschen können zumindest ab und an die Augen schließen, den Tönen lauschen und sich das zumindest mal vorstellen und allein das generiert eine Wärme um das Herz.“
„Aber Sie sind sich hoffentlich zu schade, um sich das nur vorzustellen.“
„Naja ich weiß nicht. Offensichtlich hab ich da ja nicht so das Händchen für. Er Erste bringt sich um und ich kann jetzt halt auch nicht behaupten, dass ich absolut gar nichts damit zu tun hätte. Es ist sicher nicht die Aufgabe des Umfeldes Jemanden im Leben zu halten und gleichzeitig sagt das etwas über den Wert, den der andere der Beziehung und dem anderen Menschen beimisst aus, wenn Jemand auf die Art geht. Mit dem Zweiten ging es nicht mal ein halbes Jahr und das war auch von Anfang an schwer. Und die Zeiten von Unbeschwertheit in der jetzigen Beziehung, waren auch kurz. Also irgendetwas scheine ich nicht richtig zu machen. Vielleicht habe ich zu hohe Ansprüche, vielleicht überfordere ich andere mit meiner Vorgeschichte. Ich weiß es nicht.“
„Das glaube ich nicht. Ich meine, ich kenne Sie nicht so gut privat, aber hier habe ich immer eher das Gefühl, dass Sie Ihr Licht weit unter den Scheffel stellen. Vielleicht haben Sie nicht lange genug das „Du – nicht – Spiel“ gespielt.“
„Was ist denn das?“
„Das ist ein Procedere von Aussortieren, sobald Dinge nicht mehr kompatibel sind.“
„Naja, dann hätte ich den Ex – Freund nach zwei Monaten schon abschießen müssen, als das mit der Polygamie dann raus kam, was er irgendwie vergessen hatte, mir zu sagen. Aber ab da wusste ich eigentlich, es ist nicht mehr rettbar.“
„Dann hätten Sie das tun sollen. Und wie ist das jetzt?“
„Naja, es gibt jetzt nicht unbedingt ein K.O. – Kriterium. Aber viele Dinge, über die wir mal reden müssten. Zum Einen geht es ja schon mal mit der Frage nach Verbindlichkeiten los. Irgendwie hat allein dieses Chaos der letzten Monate dazu geführt, dass ich einfach nie weiß, woran ich bin. Ich hab schon ein paar Ideen für den Advent, aber wer weiß, ob wir da noch zusammen sind. Und das ist nicht so daher gesagt, es ist eine massive Unsicherheit gerade, die wir sowohl im Innen tragen, die aber auch nach Außen hin kommuniziert wird. Er möchte weiterhin nicht, dass wir zusammen gesehen werden. Ich hatte gedacht, das hätte auch mal irgendwie ein Ende, aber erst kürzlich musste ich wieder woanders parken, weil sein Nachbar, der auch am Campus arbeitet, irgendwo in der Kante herum stand, wo ich sonst mein Auto parke. Und ich bin mir auch sehr sicher, dass seine Familie von Nichts weiß. Das ist mir per se jetzt erstmal relativ egal – ich kann gut damit leben, dass ich die nicht kenne und die mich nicht – aber ich würde schon gern wissen, warum das so ein massives Problem für ihn ist. Für mich fühlt sich das halt einfach echt blöd an, dass das mit uns eher so im Geheimen läuft, ja - auch so etwas komplett Unverbindliches hat, keine Fragen nach sich zieht, wenn ich irgendwann nicht mehr an seiner Seite bin, weil das ja auch nie Jemand gewusst hat. Das hat etwas von der Beziehung mit dem verstorbenen Freund, nur umgekehrt. (Manchmal denke ich, es ist Schicksal, dass ich so viele Parallelen zum Damals nochmal erlebe nur genau andersherum, als es damals war, als wollte irgendwer, dass ich nochmal verstehe, wie es ihm gegangen sein muss). Irgendwie hat es etwas von Unsichtbar sein, von etwas Störendem und so nehme ich mich in dieser Beziehung auch wahr. Bei mir kommt an, dass es ständig irgendwie anstrengend ist, dass man sich ständig für mich verbiegen müsste, obwohl ich eigentlich meiner Meinung nach gar nicht so viel will. In meiner Wahrnehmung sind wir mit unserer Beziehungsgestaltung in eine Komplette Vertikale gerutscht, in der ich mich ständig versuche anzupassen, über die Dinge hinweg zu sehen und von Zeit zu Zeit reißt mir eben doch die Hutschnur. Und gleichzeitig gibt es aber auch keine „erwachsene Beziehung“ mehr. Ich fühle mich wie so ein Kind, das ständig gemaßregelt wird, ständig ermahnt wird, bitte nicht zu viel zu sein. Wir reden auch nicht mehr darüber wie es uns geht, was uns beschäftigt – also er hat das noch nie so richtig getan – aber auch ich bin langsam an einem Punkt, an dem ich glaube, dass es sich weder lohnt, noch richtig anfühlt.“
„Naja das sind aber basale Dinge, die Sie klären müssen.“
„Nicht, dass wir das nicht sein Monaten versuchen würden. Ich habe selten eine Beziehung erlebt, in der ich so ratlos war.“
Ich bin eine Weile still. „Ich weiß nicht, ob wir das nochmal hinkriegen würden. Selbst wenn wir es klären würden. Ich rede seit April gegen Wände. Nichts von dem das ich versucht habe, hat irgendetwas genützt. Ich hätte schon viel Lust, dieses Jahr im Dezember nochmal in die Alpen zu fahren. Aber ich weiß auch, dass dahinter die Hoffnung steht, die Tage vom letzten Jahr nochmal aufleben zu lassen und dass das wohl nicht gehen wird. Ich habe auch noch ein Foto von uns aus dem letzten Dezember, das auf einem Schneespaziergang entstanden ist, in meinem Wohnzimmer stehen. Und ich weiß nicht, ob nur ich das sehe, aber man erkennt auf unseren Gesichtern fast den Zauber der Beziehung von damals. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber sich fallen lassen zu können an der Seite eines anderen, Vertrauen in den anderen zu haben, in diese Beziehung, darin, dass sie trägt; einfach sein zu können mit allem was man ist – das war schon etwas Besonderes. Im Moment ist jeder auf leisen Tatzen und auf „hab – Acht – Stellung“ unterwegs. Und diese sechs Monate, die das jetzt schon geht – was ja so ziemlich die Hälfte der Zeit ist, die wir uns kennen, die bleiben natürlich. Ich glaube, das würde unendlich viel Arbeit erfordern, diese Beziehung nochmal da hin zu kriegen, wo sie war. Da sind wir bei Florian Künstler zurück: „Wenn wir beide weiße Haare haben, will ich noch immer in Deinen Armen schlafen.“ Wir schlafen ja nicht mal jetzt Arm in Arm ein.“
Und nachdem ich eine Weile still war, füge ich hinzu: „Ich meine, ich hinterfrage mich da schon. Manchmal denke ich, vielleicht kann ich nur dieses Anfangsmoment. Wenn die Schmetterlinge noch im Bauch kribbeln. Vielleicht ist mir Alltag zu langweilig. Vielleicht ist nicht das Kennenlernen die Schwierigkeit, sondern das Aufrechterhalten.“
„Manchmal möchte ich Sie wirklich schütteln.“
„Wieso?“
„Sie haben doch für sich sehr klar, was Sie wollen von Beziehung. Und das ist jetzt nicht außergewöhnlich und extravagant, aber sicher nicht das, was alle von Beziehung wollen. Und wenn es in dieser Beziehung nicht geht, dann heißt es nicht, dass Sie falsch sind oder er falsch ist, sondern, dass sie beide einfach komplett unterschiedliche Vorstellungen von Beziehung haben. Und das ist okay, aber an irgendeiner Stelle dann auch mal nicht mehr kompatibel.“
Ich spüre, dass in diesen Worten mehr Wahrheit drin steckt, als mir lieb ist.
Und einen Appell hinsichtlich Facharzt gab es natürlich auch noch. Gas geben jetzt. Aber richtig. „Wenn Sie noch frei brauchen vor dem Facharzt, dann sollten Sie das im ersten Quartal machen. Im Sommer wird es schwierig.“
„Naja, ich wollte mit dem Chef nochmal über unbezahlten Urlaub verhandeln.“
„Bedenken Sie, dass das teuer wird. Dann müssen Sie Krankenversicherung und Rentenversicherung komplett selbst bezahlen – das kostet Sie pro Monat 2000 – 2500 Euro und Sie verdienen Nichts.“ Mein Studenten – Ich weint in dem Moment ein bisschen, aber mein jetziges Ich weiß, dass das möglich wäre, wenn ich mich damit sicherer fühlen würde. Viele haben zuletzt irgendetwas gehabt. Teilzeit, Elternzeit, schwanger. Ich werde wahrscheinlich nichts davon haben. (Okay, schwanger möchte ich gerade nicht sein). Aber all das hat Lernzeit generiert. Gut – größerer Urlaub wird dann nächstes Jahr mangels noch verfügbarer Urlaubstage ohnehin Nichts, aber… naja.
Und manchmal denke ich, wenn wir die wenige Zeit die wir hätten ab nach dem Facharzt wieder gut nutzen könnten und uns koordinieren könnten – zum Beispiel ein Wochenende mal in die Therme fahren könnten, ein anderes zum Beispiel mal in eine andere Stadt – nach Frankfurt oder München oder so, oder vielleicht mal nach Berlin – dann wäre das vielleicht alles gar nicht so schlimm mit dem nicht vorhandenen Urlaub. Immerhin haben wir damit die letzten gemeinsamen freien Wochen auch wenig sinnvolle Dinge angestellt und jetzt geht es eben erstmal nicht mehr. Der September – Urlaub war der letzte Wegfahr – Urlaub und das sollte ich wahrscheinlich auch streng so durchziehen. In den beiden Dezemberwochen muss viel geschafft werden, sonst wird das mit dem Facharzt im ersten halben des nächsten Jahres alles irgendwie sehr, sehr schwierig.
Eigentlich müsste man jetzt jeden Abend – abhängig davon wann man nach Hause kommt – noch ein bis zwei Stunden lernen. Aber das wird mit der ewigen Warterei auf den anderen und dem wieder los fahren und noch ewigen Kochen eben irgendwie nichts. Vielleicht muss man das unter der Woche alles mal langsam einstellen. Oder andere Lösungen finden. Die gäbe es ja. Nur irgendwie nicht bei uns.
Ich mag solche Gespräche irgendwie sehr. In meiner Zeit in der Psychosomatik habe ich das nochmal ganz anders zu schätzen gelernt. Das sind alles Anregungen von Menschen, die nicht drin stecken. Es muss auch erstmal nichts draus gemacht werden. Aber es darf nachklingen.
„Ich vertraue mittlerweile sehr darauf, dass solche Gespräche noch lange nachdem sie geführt wurden, nachklingen. Vielleicht ist das auch nur eine Illusion“, sagte die PSK – Oberärztin letztens. „Ich glaube nicht“, habe ich entgegnet. „Das kennen wir doch alle von uns selbst. Ich hatte es schon, dass mir Jahre später irgendetwas eingefallen ist, das mal wer gesagt hat. Und erst in dem Moment, hat es plötzlich Sinn gemacht, habe ich es für mich verstanden.“
Mondkind
Danke für das Teilen Deines interessanten Gespräches mit dem Oberarzt- das hat auch mir viel gegeben. Danke hierfür!!
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