Von Diensten und Anfängen

Freitag. Ich habe schneller einen Dienst geerbt, als ich „Huch“ sagen konnte.
Ich komme kaum auf die Station, bin noch nicht mal dazu gekommen den PC hochzufahren, als schon riesiges Theater ist. Eine meiner Patientinnen soll in der Nacht eine kurzzeitige Asystolie gehabt haben (der Oberarzt der Kardiologie wird mich später auslachen, weil einfach nur das Kabel diskonnektiert war, wie sich heraus stellen wird). Allerdings kann ich das so schnell gar nicht nachhalten, denn dieselbe Patientin hat auch noch eine akute Cholezystitis – bevor allerdings die Chirurgen kommen können, schießt sie einen Schlaganfall mit M1 – Verschluss hinterher und muss erstmal thrombektomiert werden. Im schriftlichen Befund des Bauch – CTs beschreiben die Radiologen auch noch eine frische BWK – Fraktur – um die wird sich an diesem Tag aber niemand mehr kümmern können. Es ist nach Mitternacht bis die arme Dame an einem Tag zwei OPs hinter sich hat und aufstehen wird sie so schnell auch nicht.
So viel Pech muss man erstmal haben. Und so bin ich auch selten in einen Dienst gestartet. Eigentlich wollte ich am Abend noch kurz mit dem Kardiochirurgen telefonieren, aber bis 1 Uhr nachts ist so viel Halligalli überall, dass ich nicht eine ruhige Minute habe, den ganzen Tag auch weder gegessen, noch getrunken habe. Ich wundere mich schon selbst über meine Kondition.
Es stellt sich heraus, dass der Kardiochirurg bis jetzt am PC gezockt hat, deshalb ist er immer noch wach. Wir telefonieren wenige Minuten, während ich noch auf die Internisten warte. „Schreib, falls in der Nacht noch etwas sein sollte“, sage ich, denn eigentlich hat der Rufdienst, aber er erwartet zumindest nichts Klinikinternes mehr; die Stationen sind wohl ruhig.
Ich fege morgens kurz nach sechs immer noch zwischen den Stationen hin und her – so viele grenzwertig psychotische Patienten hat die SU wohl selten gehabt, als mein Handy in der Tasche vibriert. „Hi, Dissektion“, lese ich. Na toll. Das heißt bis mindestens 13 Uhr OP. Eigentlich war doch mein Plan, unsere Dienste zu synchronisieren…

Nach dem Dienst gehe ich ganz schnell einkaufen, schmeiße eigentlich nur alles in den Einkaufswagen und bekomme kaum noch etwas mit. An der Kasse quatscht mich ein Typ an, den ich wohl kennen sollte (irgendein Nachbar?), aber ehrlich gesagt kramt mein Gehirn im Leeren. „Du siehst echt müde aus“, sagt er irgendwann. „Naja, ich hatte 24 Stunden – Dienst“, entgegne ich. Er will wissen, wie viel freie Wochenenden es pro Monat gibt. „Bis Ende November eins“, antworte ich. „Fühlt sich manchmal an wie Urlaub, so ein normales Wochenende.“

Wieder zu Hause ist mir schon ziemlich schwindelig, aber ich düse noch schnell zum Kardiochirurgen, der jetzt auch fertig ist. Als ich bei ihm bin, sind schon die Rollläden unten und wir schlafen einfach beide nebeneinander sofort ein, bis er irgendwann wieder in den Nachtdienst muss und ich heim fahre, noch kurz die Bude putze und dann dort weiter schlafe.

Sonntagfrüh bin ich immer noch gerädert. Ich habe vergessen, wie sehr mich solche Dienste raus hauen. „Hi, hast Du Eier?“, lese ich in einer whatsApp vom Kardiochirurgen, als ich nach dem Aufwachen das wlan einschalte. Mein müdes Gehirn fragt sich, ob er wirklich physische Eier damit meint…? „Das ist ja ne Begrüßung, wie wäre es mit „guten Morgen“? Und ja, habe ich.“ „Sorry. Ich brauche die für einen Kuchen, kann ich kurz vorbei kommen?“, fragt er.
Ich dachte er bleibt wenigstens für einen Kaffee, aber er möchte wirklich nur die Eier. „Es tut mir leid, ich bin müde Mondkind. Ich muss sofort schlafen.“ Tatsächlich freue ich mich aber, dass wir uns überhaupt gesehen haben und irgendwie ist das halt so typisch er. Überhaupt nicht nachdenken.
Ich verbringe den Tag mit Putzen, Wäsche waschen, endlich mal dem Lernen, einem Telefonat mit einem Kumpel und Schreibseln am Abend. Eigentlich war der Plan noch zu kochen, aber weil der Magen mal wieder rebelliert, gibt es einfach nur Gurkensalat.




***

Mit dem Kumpel in der Leitung spaziere ich durch den Kurpark. Jetzt, wo ich nicht mehr in der Psychosomatik bin und dort ständig Patienten treffen werde, kann ich das ja wieder machen. Irgendwann unterbricht er mich. „Mondkind, so wie Du jetzt drauf bist, habe ich Dich ein Jahr lang nicht erlebt. Ich habe befürchtet, dass das passiert, wenn Du zurück in die Neuro kommst. Merkst Du eigentlich, wie Du Dich überschlägst, wie Du in dieser Mühle nach zwei Wochen schon wieder drin hängst…?“, fragt er mich.
Aufgefallen ist mir das wohl auch schon. Ich wollte mich mal bei ein paar Leuten melden, was ich nicht gemacht habe. Ich kann noch schlechter schlafen als sonst. Der Magen rebelliert ständig und selbst wenn er das nicht tun würde, hätte ich kaum Zeit zum Essen.

Ich will nicht sagen, dass alles doof ist. Denn so nehme ich das nicht mal wahr.
Wieder von früh bis spät über die Neuro zu fegen, nicht zu merken, wie die Zeit vergeht, sich mit den meisten Dingen nicht beschäftigen zu müssen, weil es auch einfach nicht geht, hat schon Vorteile. Es verschwindet Vieles dahinter und wenn im Privatleben und in puncto Facharzt sowieso gerade Vieles nicht läuft, schafft das plötzlich ein Feld, in dem man sich über die Maßen austoben kann. Die Neuro funktioniert wie ein Uhrwerk, in dem wir aktuell fast täglich alle Patienten der Stroke Unit austauschen, in dem es nicht mehr um Gefühle geht, nicht mehr um die Frage, wie es einem eigentlich geht. Es kann nicht mehr vorkommen, dass ich komplett platt bei meiner Oberärztin sitze, weil ein Fall mich wieder an meinem privaten Scheiß erinnert hat. Obwohl es sehr tragend war, einen solchen Raum zu haben und mir das auch irgendwie fehlt, aber ein Konzept war es nicht. Es war schon eigenartig an diesen Nachmittagen mal kurz durchzuatmen, das innere Flattern zu spüren und mal kurz zu schauen, was hinter der Fassade eigentlich gerade los ist.

Die ZNA ist immer noch richtig cool. Ich liebe es, über die ZNA zu fegen (außer in den Fällen, in denen ich nicht weiß, was ich tun muss, aber das wird ja immer seltener) und selbst nachts um zwei mache ich das noch gern.
Aber ich merke eben auch, wie nach knapp zwei Wochen auf dieser Drehzahl die Kapazitäten schon wieder ziemlich weit erschöpft sind.

Ich denk viel an den verstorbenen Freund im Moment. „Nachdem Du erlebt hast, dass es auch anders sein kann, hast du hoffentlich wenigstes ein Bewusstsein für das, was gerade los ist“, hat der Kumpel heute gesagt. Sagen wir mal so: Ich hätte es gern. Ich sehe es von der Ferne. Ich merke, dass ich mich auch ändere mit diesem Wechsel und dass ich – so komisch sich das auch anhört – anfange die Welt wieder anders zu sehen. Da ist nichts Entspanntes mehr – ich habe genau im Plan, wann geputzt wird, wann einkaufen gegangen wird, weil das mit der Arbeit sonst nicht anders geht. Tätigkeiten die zu viel Energie ziehen – wie demnächst die AGUS – Gruppe - fliegen wahrscheinlich vom Plan. Wenn der Wecker so früh klingelt, wenn man so früh schon wirklich am Start sein muss, wenn die Nächte aufgrund der umliegenden Dienste sowieso kurz oder nicht vorhanden sind, dann muss ich an den anderen pünktlich im Bett liegen. Ein Verschwinden hinter der Arbeit lässt viele Konflikte, viele Dinge von denen man ohnehin nicht weiß, wie man die je ins Leben integrieren kann, einfach verschwinden.
Ich frag mich, wie das für ihn gewesen sein muss. In den ersten Monaten des Jobs war es ja noch viel krasser – auch aufgrund von Unerfahrenheit. Da war ich ja nicht selten erst nach 22 Uhr zu Hause, habe nur noch schnell geduscht und bin ins Bett gefallen. Ich frage mich, wie muss das für ihn gewesen sein, mich da so zu verlieren? Ich glaube, er hat versucht mit mir darüber zu sprechen, aber ich glaube auch, ich war dafür nicht sehr zugänglich.

Die Mondkind von Jetzt ist die Mondkind, die ich kenne. In und auswendig.
Ob es eine gute Mondkind ist, weiß ich nicht. Aber sie bringt mehr Frieden in Vieles.
Auch zwischen dem Kardiochirurgen und mir wird es irgendwie ruhiger. Wir haben beide keine Zeit mehr. Also – er hatte die schon vorher nicht. Aber jetzt habe ich sie auch nicht mehr und muss nicht mehr warten, weil ich auch nicht mehr da bin. Die Lichtblicke sind die Urlaube – natürlich nur gesetzt des Falls, wir verbringen die zusammen, was aktuell auch nicht klar ist und auch eher nicht danach aussieht.

Ich denke an die Mondkind der Jahre nach 2020. „Sie konnten das nur so überleben“, sagte meine letzte Oberärztin mal irgendwann, als ich ihr erklärt habe, wie viel Angst ich vor der Neuro – Zeit habe. Ich konnte es mir nicht mehr vorstellen, dahin zurück zu gehen. Jetzt, wo ich mich ein bisschen wieder gefunden hatte, die Freude am Leben. In dem ich endlich mal beruflich das getan habe, das ich mir für mich ausgesucht hätte.
Die Neuro war eine Hass – Liebe. Hat mir irgendeine Struktur gegeben, nachdem der wichtigste Mensch in meinem Leben das nicht mehr mit mir teilen wollte. Und war eine Möglichkeit irgendwie mit der Schuld umzugehen. Wenn ich ihn schon nicht mehr retten konnte, vielleicht dann wenigstens irgendwen anders.
Es gibt immer noch viele Morgen, an denen mir unsere Café – Dates fehlen. Gerade jetzt, wo es irgendwie einige Parallelen gibt zwischen den ersten Tagen in der Neuro und den ersten Tagen nach der Pause. Was würde er eigentlich dazu sagen, dass ich nach weniger als zwei Wochen den ersten ZNA – Dienst gerockt habe? „Na Sie wissen doch, was er gesagt hätte“, hätte mich die alte Oberärztin ermuntert. „Naja ich glaube, er wäre stolz auf mich gewesen“, hätte ich dann bestimmt gesagt. Weil er einer der Wenigen war der wusste, was für ein Kampf dieser Job am Anfang war.

Irgendwo in den hintersten Hirnwindungen habe ich das Philosophieren über das Leben nicht verloren.
Aber oft ist es so diffus, dass es mir zwischen den Fingern hindurch gleitet und es ist noch schwerer, es in Worte zu fassen.

Mondkind


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