Gedanken zu einer Begegnung
Ich bin mit der Lieblingskollegin unterwegs.
Sie ist den letzten Tag hier, ehe sie wieder aufbricht nach Tschechien. Wir nutzen die Gelegenheit und holen uns nochmal einen Kaffee. Für einen vier – Euro – Kaffee muss man zumindest einen Pseudogrund haben.
Auf dem Weg zurück zur Station, sehe ich den Kardiochirurgen über den Flur fegen. Von hinten. Er sieht uns nicht. Für einen Augenblick spüre ich einen Stich im Herzen. Und so oft weiß ich nicht mehr, ob es dieses fast verloren gegangene Gefühl von Anziehung ist, oder der unendlich große Schmerz dahinter, dass die Dinge wahrscheinlich nie so sein werden, wie ich sie mir wünschen würde. „Weißt Du, wer sich heute Morgen mal melden wollte wegen der Planung des Abends und es wieder nicht getan hat…?“, frage ich. „Da läuft er doch, willst Du zu ihm?“, fragt sie. „Nein, er ist im Stress, ich lass ihn in Ruhe jetzt.“
Eine halbe Umarmung auf dem Flur wird es an diesem Abend. Der Chef läuft irgendwo auf demselben Flur herum und wir müssen uns bemühen, nicht gesehen zu werden. Er ist genervt und gestresst, das kann ich selbst an den wenigen Worten merken, die er sagt.
Es tut weh.
So oft tut es mittlerweile einfach nur noch weh.
Ich werde lange auf der Arbeit bleiben an diesem Abend.
Vielleicht wird die Neuro bald wieder das, was sie früher mal war.
Ein Zufluchtsort.
Damals, als nach dem Tod des Freundes nichts als die leere Wohnung geblieben ist, von der ich wusste, dass sie nun auch lange Zeit leer bleiben wird und alle unsere Ideen nie Realität werden.
Und heute, wo trotz Partnerschaft kein Leben ins Leben kommt.
Ich denke darüber nach, dass es werden wird wie damals, als ich erstmal aus der Neuro weg bin und gehofft habe, dass es anders sein wird, wenn ich wieder komme. Wir werden uns wahrscheinlich die meiste Zeit wieder irgendwo zwischen Tür und Angeln sehen, mehr im Krankenhaus als irgendwo anders. Das wirft mich immer kurz aus dem Konzept, weil ich wünschte, dass es mehr Zeit gäbe. Es ist wie ein Windstoß, den man einmal in den Haaren spürt und dann ist auch schon wieder Stille.
Ich werde ihn weiterhin in ungefähr 98 % der Nächte vermissen. Wir werden keine gemeinsamen Wochenenden haben, die für andere Dinge dann irgendwie doch generierbar sind, aber nicht für mich. Da werden sogar noch Dienste in freie Tage rein geschoben. Wir werden für die wenigen Momente leben, die wir haben. Wie ein kurzer Tanz, eine kurze Pirouette, ehe die Wege sich wieder trennen. Aber ich befürchte, wir werden nie einen Alltag haben. Wir werden uns seltenst abends treffen und wissen, dass wir uns den Rest der Nacht haben. Dass wir früh zumindest noch nebeneinander aufwachen dürfen. Die chronische Leere, das chronische Fehlen, das Gefühl, nie Teil im Leben des anderen sein zu dürfen, wird eben bleiben.
Ich wünschte so sehr, ich hätte wenigstens einen Dienst machen können dieses Wochenende. Das sind einfach die schlimmsten Wochenenden. Die, die frei sind, aber doch nicht frei. Wenn man hört „schönes Wochenende Mondkind“ und man weiß: Es wird nicht schön. Es wird alles, aber nicht schön. Bis Ende November mindestens wird es eben keine schönen Wochenenden mehr geben. Es ist einfach so. Dieses Aufatmen am Ende der Woche, das man überall spürt, das gibt es eben einfach nicht.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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