Erlebnisse aus der Woche

Dienstag.
24 – h – Dienst. Ich komme schon früh auf die Arbeit, bin schon kurz nach sieben Uhr da, weil es auf der Station, auf der ich vertretungsweise aushelfen soll allerhand zu tun gibt. Und im Normalfall nimmt keiner darauf Rücksicht, wenn man erst um 10 Uhr zum Dienst kommt. Mein Plan ist, am nächsten Morgen auch einfach früh zu gehen.
Erstmal verlege ich allerdings meinen Transponder zwischen dem kleinen und dem großen Arztzimmer und suche eine Stunde lang wie eine Verrückte, ehe ich heraus finde, dass ihn jemand von der Nachbarstation auf der Toilette gefunden und mitgenommen hat. Wenn ich ein was normalerweise verlässlich bei mir habe, sind das meine Schlüssel und mein Portemonaie – Schlüssel verlegen ist also ein Zeichen von Fahrigkeit und erhöhten Stresslevel.
Der Dienst hat es dann auch richtig in sich. Zuerst habe ich 17 Patienten auf der Station, auf der ich aushelfen soll und die ich bis zu diesem Morgen nicht kannte. Inklusive drei Aufnahmen – zwei davon mit Verdacht auf Epilepsie. Das ist sehr spannend, aber eben auch aufwändig.
Um 16 Uhr bin ich noch nicht fertig, muss aber erstmal rüber in die ZNA düsen und den Rest später noch dokumentieren. Daraus wird allerdings nichts mehr bis zum nächsten Morgen gegen 7 Uhr. Als ich komme ist die Notaufnahme krachend voll und das wird sich den Abend und die Nacht über auch nicht ändern. Irgendwann um 23 Uhr kommt eine Patienten mit akut aufgetretener Sprachstörung und Hemiataxie. Wenn das mal keine Basilaristhrombose ist, denke ich mir und erinnere mich daran, dass unser Neuroradiologe heute krank ist, wir keinen Ersatz haben und die Patienten im Fall, dass sie eine Thrombektomie brauchen in die nächste große Klinik verlegen müssen. Der Radiologe meldet sich nach meiner CT – Angio und bestätigt meinen Verdacht. Also fange ich an zu verlegen. Nebenbei fällt noch unter Dokumentationssystem aus und ich schreibe so ziemlich den dilettantischsten Verlegungsbrief, den ich je geschrieben habe.
Das Bett habe ich in dieser Nacht nicht gesehen. 16 Aufnahmen werden es am Ende. Erst kurz vor 10, etwa 27 Stunden nachdem ich angefangen habe, fahre ich nach Hause.

***
Donnerstag.
Spätdienst.
Die Oberärztin aus der Psychosomatik ist wieder da und wir hatten am Nachmittag kurz telefoniert. Sie hat Dienst, muss also sowieso auf dem Gelände bleiben und wir beschließen uns kurz an der Rezeption zu treffen.
Sie wollte mir noch etwas geben, sagt sie. Ein Notizbuch und einen Stift hat sie mitgebracht. „Ich möchte, dass Sie sich an Ihre kreative Seite erinnern und die nicht vergessen“, sagt sie. Ich bin wirklich gerührt. Sie hat mich schon ein bisschen kennen gelernt über die Zeit.

Wir reden ein bisschen über den Wechsel zurück in die Neuro.
Es ist sehr ambivalent.
Auf der einen Seite habe ich den Eindruck, zurück in dieser Bubble zu sein, bringt eine ganze Menge Ruhe in dieses Umfeld. Ich tue wieder das, was alle um mich herum tun. Ich glaube dieses Medizinerleben in dem Ausmaß zu leben und leben zu müssen ist schon sehr speziell und wenn man nur ein paar Meter davon weg rückt und eine ganz andere Form von Freiheit spürt, dann kann man sich schnell nicht mehr vorstellen wie das ist, in den Fesseln der Klinik zu hängen und einfach nur noch zu funktionieren.
Auf der anderen Seite vermisse ich das auch. Es wird nicht mehr gehen einfach so zu planen auf irgndwelche Konzerte zu gehen und der Meinung zu sein, dass ein dienstfreier Tag das schon regeln wird, weil man in der Nacht zumindest drei bis vier Stunden geschlafen hat und das dann schon reicht. Man ist einfach tot nach diesen Neurodiensten – meist spürt man es mehrere Tage in den Knochen. Man hängt so viele Wochenenden auf der Arbeit, es gibt keine Freiheiten in den Dienstplänen, dass man sich überhaupt nur trauen könnte, irgendwelche waghalsigen „passt – schon – irgendwie – Dinge“ zu planen.

Und dann bedient dieser Job natürlich auch all das, was ich seit meiner Kindheit über das Leben gelernt habe: Du bist umso wertvoller, je mehr Du leistet. Dummerweise kann das nur in der Neuro nicht ganz klappen, weil dieser Standard immer höher gehangen wird. Nach meinem letzten Dienst hat niemand auch nur mit der Wimper gezuckt. Als wäre das alles völlig normal. „Normal“ hat in der Neuro jeden Bezug zur Realität und dem was menschlich auf Dauer machbar ist absolut verloren und doch habe ich manchmal den Eindruck, wenn „die Großen“ das für den Standard halten, dann ist das der Standard.

Und dann ist es natürlich auch manchmal einfach richtig cool, stundenlang über die Notaufnahme zu fegen, von einem Notfall zum Nächsten, nur wirklich dort zu sein. Im Alltag bin ich selten körperlich und geistig an einem Ort – da ist das schon irgendwie manchmal gut, alles mal auf einen Punkt zu konzentrieren.

Und manchmal vergisst man, dass Leben auch mal einfacher sein darf. Dass es nicht immer schwer sein muss. Dass man nicht immer kämpfen muss.

Das Team aus der Psychosomatik möchte sich bald mal wieder treffen und sie möchten, dass ich dabei bin.
„Wir schreiben ab und an ich versuche, Ihnen ab und an mal ein bisschen einen anderen Blickwinkel zu ermöglichen, sagt meine Oberärztin.“ Und irgendwie bin ich dafür sehr, sehr dankbar. 



***

Die Woche läuft im Prinzip wie geschmiert.
Ich bin mehr beim Kardiochirurgen als bei mir – da ich Spätdienst seit meinem Dienst habe und wir dementsprechend etwas ausschlafen können und er Urlaub hat, passt das ziemlich gut.
Und immer, wenn es diese Zeiten gibt, dann spüre ich so viel Ruhe in mir. Genauso soll es sein. Wir stehen gemeinsam auf, ich düse dann vor dem Dienst nochmal in meiner Wohnung vorbei, packe ein paar Sachen zusammen, gehe dann auf die Arbeit, bleibe dort 10 – 12 Stunden, je nachdem wie viel zu tun ist, und komme dann zurück zu ihm und wir gehen gemeinsam schlafen.
Tatsächlich schlafe ich auch einfach viel besser bei ihm. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich neben ihm schon mal die halbe Nacht wach war und das hat mich diese Woche wirklich schnell aus dieser Dienstmüdigkeit heraus geholt, weil ich die beiden Nächte danach wirklich gut geschlafen habe.
Und dann denke ich manchmal, es lohnt sich doch dafür zu kämpfen, auch wenn der Weg bis das zur Normalität wird, sicher noch weit ist. Aber immerhin hat er mich miteinbezogen beim Umbau seines Schlafzimmers diese Woche, als würde er wollen, dass ich mich dort auch wohl fühle.

Mondkind



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