Zwischen Urlaubs- und Dienstplanung
Der Stroke Unit- und Neuro – Alltag hat mich wieder eingefangen.
Und die Tatsache, dass die Stroke Unit manchmal eher an eine Station für internistische Polytraumen erinnert.
Heute hatte ich eine Patientin mit Sepsis, bei der irgendjemand einen epileptischen Anfall mit Schüttelfrost verwechselt hat. Ich hatte meinen Spaß mit ihr; fast hätte ich sie reanimieren müssen und das auch noch gerade, als die Angehörigen zu Besuch waren. Dann habe ich aktuell einen Patienten, der gestürzt ist und eine kleine Hirnblutung hat – ein viel gravierenderes Problem ist aber, dass alle Herzklappen hochgradig undicht sind und schon so viel Stau vor dem Herzen entstanden ist, dass die Leber sich dadurch schon geärgert fühlt und es zu ansteigenden Leberwerten kommt. Mit dem Atmen tut er sich natürlich auch schwer… Und dann habe ich noch eine Patientin, die gestürzt ist – immerhin ist sie mal im Rahmen eines Status gestürzt – und heute einen massiven Hb – Abfall bei einer Beckenfraktur hatte – da habe ich heute nach bestimmt zwei Jahren mal wieder EKs transfundiert…
Ansonsten ist da viel Verzweiflung.
Sehr, sehr viel Verzweiflung, die mich viele Tränen kostet, wenn ich eigentlich lernen sollte.
Der Kardiochirurg und ich sehen uns noch sehr sporadisch. Wir reden auch nicht mehr viel miteinander. Ich habe mit fast allen meinen Freunden mehr Kontakt, als mit ihm. Auch nicht viel, weil da eben auch einfach wenig Zeit ist, aber man schreibt sich mal, fragt, wie es dem anderen so geht.
Diesen Monat geht es nicht und heute haben wir mal die Dienstpläne für den nächsten Monat gesehen – auch im nächsten Monat werden wir kein einziges Wochenende miteinander verbringen. Jede Fernbeziehung funktioniert besser als das, was wir haben. Da hat man sich wenigstens ab und zu – wir haben uns de facto gar nicht mehr. Vielleicht hängt der Eine beim Anderem unter der Woche mal abends eine Stunde auf dem Sofa rum – jetzt aber auch schon länger nicht mehr.
Ich spüre keine Verbindung und alles was ich getan habe, hat überhaupt nichts genützt. Sei das nun, dass ich ihm einen achtseitigen, handschriftlichen Brief geschrieben habe und nochmal erklärt habe, was ich mir vorstelle, dass ich versucht habe, Dienste übereinander zu bekommen, dass ich ihn fünfhundert Mal nach dem Urlaubsplan und dem Dienstplan gefragt habe.
Aktuell sieht die Lage so aus: Wir kriegen keinen gemeinsamen Urlaub mehr – ich habe heute die Pläne in alle Richtungen umgedreht; es ist nur noch die zweite Dezemberwoche frei und das scheint so ziemlich die Einzige zu sein, in der er nicht kann. Er meinte dann, er kann seinen Urlaub ja noch mit ins nächste Jahr nehmen. Schön für ihn – bei uns aber strengstens verboten. Und dann nimmt er den im Januar und fliegt dann weg in der Zeit – ich sehe es kommen. Dann ist das genau das Gegenteil von dem, was ich wollte.
Und was den November anbelangt gibt es genau einen Tag, den wir gemeinsam frei haben.
Man muss sich natürlich auch fragen, was wollen wir mit gemeinsamen Urlaub, wenn ich ohnehin lernen muss, aber es geht ja schon um Basics. Dass wir das einfach mal hinkriegen, abends gemeinsam in einer Wohnung zu sein, morgens gemeinsam aufzuwachen. Das, was sonst irgendwie ein bis zwei Mal im Monat passiert. Bei uns klappen ja nicht mal die allergrundlegendsten Dinge. Selbst nach weit über einem Jahr noch nicht. Wenn allein das im Urlaub gehen würde, wären wir schon mal sehr viel weiter.
Langsam ist es wirklich kaum noch zu ertragen. Du denkst jeden Monat, dass es vielleicht mal besser wird, dass vielleicht mal zufällig irgendetwas zusammen passt, dass wir ein einziges Wochenende dieses Jahr gemeinsam frei haben können – wenn wir nicht gerade Urlaub haben, sondern einfach mal so (und die Wahrscheinlichkeit sollte es bei 52 Versuchen doch wohl geben), aber das geht eben nicht. Wir haben immer genau versetzt Dienst.
Man muss aber auch sagen, selbst wenn wir mal gemeinsam Urlaub hatten, hat es ja zuletzt nicht funktioniert. Slowenien wird wahrscheinlich die beste Woche dieses Jahr gewesen sein, wenn ich Ende des Jahres zum Jahresrückblick zurück schaue. Da gab es aber auch noch Verbindung und Hoffnung. Da war irgendwie noch klar: Wir verbringen den Urlaub zusammen. Nicht unbedingt, dass wir ständig aneinander kleben – das ging ja auch nicht, weil er ja Fliegen war – aber zumindest in einem gemeinsamen Projekt. Das gab es danach nicht mehr. Der Juni – Urlaub auf den ich mich ja in einer Erwartung von einer Wiederholung von Slowenien sehr gefreut hatte, wurde kurz vorher gestrichen, im Norden waren wir dann trotz einer gemeinsamen Woche Urlaub nur wenige Tage und die restlichen Tage hat man ihn natürlich nicht gesehen und vom September – Urlaub müssen wir gar nicht erst anfangen – den haben wir bis auf punktuelle Berührungspunkte irgendwie getrennt verbracht. Wenn man die Reisetage dazu zählt, waren es fünf, ansonsten waren drei Tage in zwei Wochen.
Und jetzt gibt es diese Möglichkeit Slowenien II zu erleben, eben nicht mehr – zumindest nicht dieses Jahr. Ich versuche mich damit zu trösten, dass es eben sicherlich ohnehin nicht geklappt hätte.
Ich glaube, manchmal kann ich das schon wieder ganz gut. Die Stille meiner Wohnung auch mal genießen. Zu sehen, dass das immerhin auch ein paar Freiheiten generiert.
Und manchmal drehe ich mich um und sehe eine pirouttentanzende Mondkind in der Studienstadt, die keine Ahnung hatte, wie schwer es noch werden würde. Dass Dinge, die mal selbstverständlich waren, das vielleicht nie wieder sein werden. Dass ein gemeinsames Leben vielleicht nicht mehr möglich sein wird. Ich habe heute über meine Oma nachgedacht, die in den knapp 20 Jahren in denen sie ihren Partner nun kennt, nie mit ihm zusammengezogen ist. Die lieben sich wirklich glaube ich, aber aus irgendwelchen Gründen wollen sie das nicht.
Und dennoch wünsche ich mir weiterhin ein anderes Leben. Und ich hätte mir auch wenigstens einen Abschied gewünscht von diesem alten Leben. Gelegentlich fühle ich mich immer noch wie eine Oma, die ihren Partner verloren hat und seitdem dümpelt alles so rum, ohne dass es jemals wieder wirklich gut geworden wäre, obwohl es immer wieder Momente von Hoffnung gegeben hat. Und manchmal denke ich mir, all diese Sehnsucht projiziert sich manchmal auf den Kardiochirurgen und dann kann ich nicht mehr sehen, dass er das alles auch nicht will. Vielleicht ist er ein Mensch, wie meine Oma und ihr Freund. Und das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, aber für mich ist es falsch. Ich möchte nicht so leben.
Ich spüre schon wieder diese alte Gereiztheit, wenn Du alles versuchst, aber nichts klappt. Wenn Du merkst, wie die Pflege Dich mit Samthandschuhen anfasst, weil sie befürchtet, dass Du gleich wieder ausrastest, aber die Anspannung ist so hoch, dass das Gegenüber Dinge abbekommt, die es nicht abbekommen sollte. Ich entschuldige mich hinterher immer, aber ich hasse diese Mondkind, die so ist. Und manchmal vermisse ich diese Zeiten, in denen Dienstpläne komplett egal waren, in denen ich um nichts kämpfen musste.
Dieses Jahr werde ich übrigens am 24.12 mal aus dem Dienst kommen. Das wird auch eine neue Erfahrung. Aber ehrlich gesagt – besser als den 24. komplett zu verschlafen und nicht zu spüren, dass man wieder nirgendwo hingehören wird, kann es eigentlich nicht werden.
Interessant ist, dass wir dieses Jahr einfach gar nicht gefragt wurden, ob wir Weihnachten oder Silvester arbeiten wollen, was ich schon ziemlich unkollegial finde. Dass man an einem von beiden Festen arbeiten muss, ist einfach so, aber normalerweise durfte man da Wünsche abgeben. Wenigstens an der Stelle hatte ich heute also ein bisschen Glück. Nichts ist mir heiliger, als der 31.12 und mein Jahresrückblick, mit dem ich diesen Tag normalweise verbringe…
Mondkind
Liebe Mondkind, Wie hat denn der Kardiochirurge auf deinen achtseitigen Brief reagiert? Hat er ihn gelesen? Es tut mir sehr, sehr fest leid für dich, wie die Situation ist. Zusammenziehen will wohl er nicht, oder? Weil dann hättet ihr -trotz Beruf- euch abends und zwischen den Diensten? Ich glaube, ihr habt ein ganz anderes Nähe-Distanz Bedürfnis & zwei Bindungsstile, die miteinander ziemlich unkompatibel sind (du: ängstlicher Bindungstyp, er: vermeidender Bindungstyp). Er hat Angst vor Nähe, du Angst vor Distanz. Da müsstet ihr drüber reden können...Wenn sich da nicht bald mal was ändert, würd ich mich an deiner Stelle schon fragen, ob dies nicht verlorene Zeit ist, die du evtl. mit der Suche nach einem Menschen füllen könntest, der deine Ansichten teilt, der besser zu dir passt...Weil irgendwann willst du ja auch eine Familie....Allerliebste Grüsse Nicole
AntwortenLöschenHey Nicole,
Löschensorry für die späte Rückmeldung erstmal. Mein Zeitmanagement ist eine Katastrophe aktuell...
Ja er hat den Brief wohl gelesen - hat er zumindest gesagt. Passiert ist danach aber nicht viel. Und nein, zusammen ziehen will er erstmal nicht. Wobei ich schon auch dafür wäre, dass jeder erstmal seine Wohnung behält und wir erstmal schauen, wie es ist. Und gerade in den Nachtdienstwochen von ihm sehe ich natürlich schon ein, dass da jeder auch einen ruhigen Rückzugsort braucht.
Naja, ich muss jetzt ohnehin echt mal zusehen, dass ich in puncto Facharzt voran komme. Ich denke, da werden viele Dinge von alleine ruhiger...
Liebe Grüße
Mondkind