53 Monate - von Briefen, Urlaub und dem Wir
Mein lieber Freund,
dritter des Monats heißt, dass ein Brief fällig ist. Wie geht es Dir auf der anderen Seite des Seins? Manchmal weiß ich schon gar nicht mehr, was ich schreiben soll, weil ich denke, dass sich unsere Leben mittlerweile doch ganz schön weit auseinander entwickelt haben müssen.
Aber gestern hatte ich mal wieder so einen Moment, in dem ich mich gefragt habe, wie verrückt das Leben eigentlich ist.
Wir haben gestern das Arbeitszimmer ein bisschen aufgeräumt. Ich habe mir überlegt, ich werde vielleicht mal versuchen, meinen Lernort zu verlagern. Langsam muss ich mir etwas einfallen lassen, um die Motivation ein bisschen bei der Stange zu halten. Im Großen und Ganzen mache ich das ja schon seit einem Jahr jetzt. (Meine Schwester wird nach dem Bestehen ihres Facharztes übrigens nicht müde davon zu berichten, wie SPONTAN sie jetzt wieder sein kann).
Naja – jedenfalls habe ich früher oft interessante Neurobriefe ausgedruckt von Fällen, die entweder recht kompliziert oder interessant, oder beides waren. Jedenfalls fiel dem Freund dabei ein Brief in die Hand, der offensichtlich von seinem Opa ist. Tatsächlich erinnere ich mich sehr gut an den Fall, weil das irgendwie so ein Lehrbuchfall war, die meisten da auch nicht so gut raus kommen , es bei unserem Patienten aber anders war und das glaube ich eines der ersten Male war, dass bei unserer abgespacten Diagnostik wirklich was raus kam. Ich hab den Brief nicht mehr zu Ende durchgelesen, weil sich das jetzt irgendwie falsch anfühlt. Jetzt ist dieser Patient ja plötzlich kein Unbekannter mehr, obwohl man jetzt auch nicht behaupten könnte, dass ich die Familie des Freundes kenne. Aber ich habe nochmal auf das Datum geschaut. Juni 2020. Ehrlich gesagt hatte ich gedacht, ich wüsste gar nichts mehr aus den Wochen davor und wenn Du mich gefragt hättest, wann dieser Patient bei uns war, hätte ich wahrscheinlich gesagt, so März oder April.
Es war aber so circa zwei Wochen bevor das Leben, so wie ich es kannte, vorbei war. Es war nichts unbeschwert damals – das war einfach so in den Wochen, bevor du gestorben bist. Natürlich war die Sorge groß – auch, wenn ich niemals damit gerechnet hätte, dass es so kommt, wie es dann eben war. Dieser Brief ist nicht nur eine seltsame Verbindung, von der ich bis jetzt nichts wusste, sondern auch eines der letzten Dokumente aus dieser „alten Zeit“. Ich kann mich erinnern, der Oberarzt und ich wollten damals die Epilepsiestation neu aufziehen, weil der Oberarzt von davor Chef in der Reha geworden war und die Station seitdem irgendwie keine kompetente Führung mehr hatte. Ich war schon der Alternativplan für den Oberarzt gewesen, weil die Kollegin, die das eigentlich hatte machen sollen schwanger geworden war. Und dann war ich auch weg und der Oberarzt hatte dann auch gekündigt und damit war dieses Projekt erstmal wieder eingefroren.
Naja, jedenfalls bin ich eben jetzt mit dem Enkel eben jenes Patienten zusammen. (P.S. Ich hab mich schon gefragt, ob wir uns damals wohl mal begegnet sind und ich das nur nicht mehr weiß? Aber er wäre mir doch sicher aufgefallen, auch wenn ich damals Dich hatte und an den Jungs nicht interessiert war, aber mh… keine Ahnung).
Indes Dezemberurlaub.
Schwierig. Sehr schwierig.
Ich weiß nicht, wie oft ich gepredigt habe, dass wir die dritte Woche ja ohnehin frei haben und als Bonus sozusagen die erste Woche noch dazu bekommen könnten – ich da aber wahrscheinlich recht viel arbeiten muss. Dementsprechend habe ich dann auch irgendwann mal meine Terminchen geplant. Naja – ich weiß nicht, ob er ab und an eine kleine Absence hat, oder was da los ist, aber natürlich: Die Dinge haben wieder nicht funktioniert. Ich versuche mittlerweile die Devise zu fahren, einfach nichts zu erwarten und mich dann doch zu freuen, wenn Dinge wider Erwarten doch klappen, aber manchmal funktioniert das nur so zu 70 oder 80 %.
Tatsächlich habe ich mich versucht nicht ärgern zu lassen, dass er auch seinen Dienst, den er mir versprochen hat zu verschieben, nicht verschoben hat und war mit zwei Freundinnen frühstücken. Die wollten dann am nächsten Tag ins Kino und haben mich gefragt, ob ich mitkommen mag – aber nachdem der Herr dann den Urlaubsstart wieder mal fernab von mir verbracht hat (wie eigentlich auch immer in der letzten Zeit), wollte ich dann schon etwas mit ihm machen. Es ist dann die Idee entstanden, dass wir ja zu Viert ins Kino gehen könnten. Ehrlich gesagt hätte glaube ich Keiner von uns gedacht, dass er da mitmacht, aber das hat tatsächlich mal geklappt und war auch sehr schön. Und hat irgendwie doch noch die Hoffnung geschürt, dass aus dem Urlaub ein bisschen etwas werden könnte, aber irgendwann landet man dann eben doch unsanft auf dem Boden der Tatsachen.
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Ich habe es ein bisschen hübsch gemacht auf meinem Schreibtisch... |
Wenn mich jemand fragen würde – naja, diese Frage höre ich ehrlicherweise oft – warum wir noch zusammen sind, würde ich sagen wegen des letzten Dezembers und Slowenien. Irgendwie hat der letzte Dezember echt gut geklappt. An den Wochenenden waren wir im Schnee, haben Plätzchen gebacken, Kakao mit Marshmallows getrunken, ich glaube irgendwann sogar mal einen Weihnachtsfilm geschaut, wir haben einen Weihnachtsbaum geschmückt und dann waren wir ja sogar noch in den Bergen. Und es ist nicht nur dieses „Wir sind zusammen weg.“ Da muss halt auch die Stimmung zwischen uns einigermaßen passen und das ging in diesen Tagen relativ gut damals. So war es auch in Slowenien.
Ich wäre schon sehr gerne ein paar Tage irgendwo gewesen in diesem Dezember – am Besten nochmal am selben Ort im selben Hotel, weil das wirklich richtig gut war und Aktion und Entspannung echt gut miteinander verbunden hat. Ich kam nach diesen drei Tagen echt so entspannt nach Hause, wie manchmal aus zwei Wochen Urlaub nicht. (Nur war ich super traurig, weil ich irgendwie gespürt habe, dass solche Momente von intensiver Verbindung eben ungefähr 0,5 % unserer Beziehung ausmachen und mit dem Ende eines Urlaubs normalerweise auch das verloren geht, wenn es zwischendurch mal da war. Die Dauerbindung, die wir hatten, dieses Vertrauen in den anderen, dieses Wissen sich auf den anderen verlassen zu können, zu spüren, dass man nicht gegen- sondern miteinander arbeitet, das gibt es nur sehr punktuell. Und dann ist das sehr schön und gleichzeitig sehr schwierig, weil mich dieses Wissen, dass es ja ab und an, ganz selten, mal geht mich in dieser sonst sehr destruktiven Beziehung kleben bleiben lässt).
Und gleichzeitig glaube ich aber, dass das jetzt auch so nicht möglich wäre. Ich hasse es, wenn ich ihn emotional irgendwo verliere und das ist eigentlich seit dem Frühling durchgehend der Fall und nur eher punktuell gibt es da ein Einheitsgefühl und dann bringt halt auch Urlaub einfach nichts. Wenn die Antennen ständig auch Hochleistungsempfang sind, aber das Grummeln des anderen irgendwie nicht deuten können. Wenn ich 27 Mal sage was ich mir wünsche und nichts davon ankommt. Weder was die Urlaubsplanung anbelangt, noch sonstige Kleinigkeiten. Ich bin gestern Abend um 23 Uhr noch zu ihm rüber gefahren, um bei ihm zu übernachten. Das bringt aber Null, wenn er sich grummelig auf seine Seite legt und morgens wieder aufsteht, ohne dass wir mal ein bisschen miteinander gekuschelt hätten. Wenn ich sowieso alleine einschlafen und aufstehen muss, kann ich das auch zu Hause haben. Dafür muss ich mich nicht kurz vor Mitternacht durch die halbe Stadt bewegen und mit der Packerei (es ist ja kaum zu glauben, aber ich schleppe auch nach anderthalb Jahren immer noch bei jedem Besuch alles hin und her) noch eine Stunde Zeit verlieren.
Es ist schon anstrengend und schwierig. Das was wir damals vielleicht an manchen Stellen zu viel durchdacht und zerkaut haben, tun wir jetzt auf jeden Fall zu wenig. Freitag spreche ich übrigens die alte Therapeutin wieder. Hihi, danach wäre sicher ein Cafe – Date fällig geworden. Hätte ich gewusst, dass wir wirklich nicht mehr weg fahren, hätte ich auch hinfahren können. Für mich ist das auch ganz viel emotionales zu Hause. Aber drei Tage weg fahren und noch zwei Tage für den Termin auf der Straße, erschien mir dann doch zu viel deshalb haben wir es irgendwann als Telefongespräch geplant und ich fahre dann nach dem Facharzt mal wieder hin.
Mal sehen, was ich mit ihr bespreche. Hinsichtlich des Facharztes gibt es sicher einiges – das Wichtigste wird wahrscheinlich sein, vorher die Nerven nicht zu verlieren trotz zu wenig Lernzeit. Manchmal denke ich mir, ich soll das wie ein Experiment sehen und nicht wie ultimativ persönliches Versagen, wenn ich da durch falle. Mit drei oder vier Wochen Lernzeit kommst Du halt nicht weit. Ich hab halt jetzt schon vier Ordner voll, dann noch einen mit Buchzusammenfassungen und einen Zusatzordner. Und da fehlt noch eine Menge, das formatiert und gedruckt werden mag. Und dann – naja, vielleicht hat sie noch ein paar Ideen auf Lager, was ich noch versuchen könnte, um mit dieser Beziehung auf einen grünen Zweig zu kommen. Ich sehe da langsam keine große Zukunft mehr für uns. Im Wesentlichen hat sich diese Beziehung dieses Jahr auf den Slowenien – Urlaub beschränkt; sehr viel mehr positive Tage am Stück – mal so mindestens Zwei, damit man nicht das Gefühl hat, dass man nach einem guten Moment direkt wieder eins auf den Deckel bekommt, um hier bloß nicht noch Höhenflüge zu entwickeln – gab es nicht. Wird es dann auch nicht mehr geben dieser Jahr, unser beider Dienstpläne nach dieser Urlaubswoche sind eine Katastrophe. Also insbesondere seiner. Und eben kein lang gepredigter Urlaub. Jedenfalls – ein Jahr miteinander kämpfen für eine Woche, in der es mal friedlich ist – na ich weiß ja nicht, ob das so eine tolle Relation ist.
Naja, Du siehst schon… es ist weiterhin kompliziert mit uns.
Allerdings werde ich glaube ich komplett crazy und das mental nicht gut schaffen, wenn ich im Dezember zwei Wochen nur lerne und zwei Wochen nur arbeite. Ich meine, ich habe immer im Dezember noch eine Woche Urlaub, um quasi auch ein bisschen freie Zeit um Weihnachten herum zu haben. Vielleicht muss ich die dritte Woche einfach noch ein bisschen nutzen.
Weißt Du, manchmal wünsche ich mir schon, ich hätte ein besseres Händchen für die Jungs gehabt. Eigentlich war es immer nur Stress. Dein Sterben wird mich länger beschäftigen und hat mich mehr geprägt, als diese Beziehung im positiven Sinn es je getan hat. Und wer weiß, was der aktuelle Freund und ich am Ende sagen? Ich hab`s versucht, weil es da mal Zeiten gab – die waren im Gesamten zwei Wochen lang - in denen war es mal gut und in denen lief das emotional gut zwischen uns und ich hab immer versucht das nochmal zu etablieren, aber wir haben es nie mehr hinbekommen… Na ich weiß nicht.
Vielleicht werde ich am Ende doch alleine alt.
So – halt die Ohren steif. Heute Abend ist AGUS – Gruppe, da werde ich wohl hoffentlich ein wenig sprechen können und danach wird es vielleicht etwas besser.
Und wir hören uns sicher um Weihnachten herum. Es gibt keinen Weihnachtsplan bisher – ich hab mich nicht getraut zu fragen, wo er am 24. Sein wird… Aber immerhin habe ich dienstfrei an dem Tag und ich vermute, etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Einfach schlafen. Vor Erschöpfung. Vielleicht gibt es manchmal keine bessere Option, als solch emotional aufgeladene Tage so zu verbringen.
Ich weiß, Du würdest das am Besten verstehen.
Bis bald
Ganz viel Liebe in Richtung Universum
Mondkind
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